4.9
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Und sie laufen! Nass und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen:
welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd ich nun nicht los.
(aus J.W. Goethe, Der Zauberlehrling)

Natürlich ist der Name, den die Pattexkinder sich gegeben haben, fürchterlich anmaßend, weil nahezu apokalyptisch-biblisch. Aber das kann man den Prä- und Postpubertären kaum übel nehmen, denn wenn sie überhaupt Religionsunterricht hatten, dann waren die Themen sicher eher: Homophobie, Transgender in der Schule, Rassismus, ökologische Computernutzung, veganes Backen mit Bio-Hefe und ohne Ei, ökologisch passgenaues Kleiden in Klimamembranen-Klamotten aus Schafswolle und das Stricken von Smartphone-Schutzhüllen bei Vollmond während eines Tagespraktikums auf einem Demeter-Hof. Nicht aber das Studieren der Bibel – und gar des Alten Testaments. Und erst recht nicht das Studium der Offenbarung des Johannes mit seinen Armageddon-Visionen, also jener Endschlacht zwischen den Heerscharen Gottes und dem Teufel samt Anhang, die die letzte Generation der Menschen erleben wird.
Hier sind wir aber nicht im Theologischen, sondern im banalen Politischen einer nahen Zukunft. Dazu die ZEIT:
Die gerechte Zukunft soll damit beginnen, dass elf Aktivisten auf den beiden Autobahnauffahrten der A 103 in Berlin-Steglitz stehen und warten, was passiert. Die Aktivisten gehören zur Gruppe Die Letzte Generation, die so heißt, weil ihre Mitglieder die Letzten sind, die eine Klimakatastrophe noch abwenden könnten, davon sind sie überzeugt. Drei Jahre, sagen sie, blieben noch – danach sei es zu spät. Kipppunkte würden erreicht, eine Katastrophe mit weltweit 3,5 Milliarden Klimaflüchtlingen in den nächsten fünfzig Jahren sei dann nicht mehr zu verhindern. Die Störung des Verkehrs soll Bundeskanzler Olaf Scholz dazu bringen, seinen Klimakurs zu verschärfen.“*
In drei Jahren also ist es zu spät – dann kommt die Klimakatastrophe über uns, da sind die auf Straßen Hockenden sich sicher. Aber immerhin geht die Welt nicht unter, nur, das haben sie wohl im Grundkurs Mathe mit ihrem Taschenrechner aus nachhaltigem Birkenholz ausgerechnet, dass dann eben in den nächsten 50 Jahren, immerhin soll es die Welt so lange noch geben, sich 3,5 Milliarden Menschen wegen des Klimas auf die Flucht machen werden. Diese große Katastrophe wollen sie also abwenden!
Da muss man schon etwas auf sich nehmen – nur zu viel freie Zeit darf es nicht kosten. Besonders dann nicht, wenn man sie in einer Zelle verbringen muss. Da wird aus dem „Ich muss die Welt retten“ schnell ein „Mimimi“. Oder, wie auf der Webseite der „Letzten Generation“ ein Pascal schreibt:
Berlin 10.02.2022 – Die Polizei greift bei den Störungen der Initiative “Essen Retten – Leben Retten” immer härter durch. Teilnehmende Menschen sitzen bislang bis zu 36 Stunden in Einzelzellen.“**
Das ist natürlich schon empörend, wie in Berlin mit „teilnehmenden Menschen“ umgegangen wird, nahezu ohne Anteilnahme. Aber immerhin dürfen sie in den Zellen sitzen, was sie auf den Straßen ja auch gemacht haben – also nicht wirklich ein großer Unterschied!
Und so ganz ohne Anteilnahme müssen sie ja nicht sitzen! Und das schreibt auch Pascal mit abklingender Empörung und ansteigender Begeisterung: „ Umweltministerin Lemke verteidigt den zivilen Widerstand der Menschen und sieht die Politik in Pflicht zu handeln, um die Pariser Klimaziele einzuhalten.“**
So kann man Kinderherzen erfreuen – ein paar schnell hingeworfene Worte der Solidarität, die es kostenfrei gibt. Ein wenig Legitimation für Ordnungswidrigkeiten und Gesetzesbrüche – und schon ist man bei den Letzten die Erste! Und ist auch ganz schnell wieder weg – was der Pascal natürlich in seiner naiven Gutgläubigkeit nicht wissen konnte: Als erste von 3,5 Milliarden ist nämlich Steffie Lemke geflohen, nachdem sie sich doch, was die Belobigung der Störung des Straßenverkehrs angeht, etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. „Um es klar zu sagen: Ich halte diese Autobahn-Blockaden für falsch„, sagte die Grünen-Politikerin der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft.“***
Der Vorgang an sich, als Einzelfall gesehen, ist banal, eigentlich keine Zeile wert. Aber er ist symptomatisch! Vor allem für die GRÜNEN. Er macht den Grundwiderspruch deutlich, in dem sie sich seit geraumer Zeit, besonders aber seit dem Eintritt in die Regierung befinden – den Widerspruch zwischen den einstigen hehren Zielen und der notwendigen Geschmeidigkeit bei der Anpassung an die gegebenen (Mehrheits-)Verhältnisse. Nichts macht das deutlicher als die Aktion der Letzte-Generation-Aktivisten, die Landwirtschaftsminister Özdemir Berge von Pferdemist in die Gänge des Ministeriums gekübelt haben (die Reinigung wird natürlich aus den Steuermitteln bezahlt, die die Menschen aufgebracht haben, die anderntags auf dem Weg zu Arbeit am Weiterfahren gehindert worden sind). Eigentlich müsste Özdemir Anzeige erstatten (Hausfriedensbruch) und die Reinigungskosten, u.a. für Teppiche, einfordern. Würde er sicher umgehend machen, wenn Corona-Spaziergänger diese Aktion unternommen hätten. Dann würde er gewichtige Worte finden, die Bedrohung durch Rechte beschwören und auf die Einhaltung von Gesetz und Ordnung dringen. Und Frau Lemke würde sich ihm anschließen: Spaziergänger, die sich auf die Straße setzen, das geht gar nicht!
Aber das Problem für die GRÜNEN besteht darin, dass sie diese Aktivisten, egal ob sie sich FFF oder Letzte Generation nennen, gehätschelt und gepäppelt und sich bei ihnen rangewanzt haben, denn sie brauchten ihre Stimmen bei der Wahl, um noch ein paar Prozentpunkte rauszuholen. Und jetzt haben sie diese Teilnehmer an den Kinderkreuzzügen als Plagegeister an der Backe, weil die glauben, die GRÜNEN würden ihre Wünsche in Realpolitik umsetzen. Denn sie wissen ja (noch) nicht, dass sie nur gebraucht wurden, um an die Macht zu kommen, jetzt aber lästig sind wie Wespen auf dem Pflaumenkuchen. Das darf man aber nicht laut sagen, denn die nächsten Wahlen stehen vor der Tür. Also muss man ihnen gegenüber den „So-tun-als-ob-Kurs“ fahren, ihnen sozusagen verbal die Köpfe tätscheln. Und das hat Lemke zunächst mit ihrer Einlassung getan, und auch Özdemir wird Streicheleinheiten finden – und gleichzeitig den Koalitionsrahmen nicht verlassen. Letztlich schauen die GRÜNEN auf diese „Aktivisten“ wie die Pharisäer auf einen Sünder, dessen Sünde in einem Mangel an Wendigkeit besteht, die aber bei den GRÜNEN in voller Blüte ist. Allerdings bei Beibehaltung eines Doppelkerns, nämlichen der irrigen Auffassung, der Welt ihren (den grünen) Weg vorgeben zu können und den Hang zu einer moralinsauren Erziehungsdiktatur, was das Leben der Menschen angeht.

*https://www.zeit.de/2022/05/letzte-generation-aktivismus-klimakrise?utm_referrer=https%3A%2F%2Fmetager.de%2F
**https://letztegeneration.de/blog/2022/02/36h-einzelzelle-und-dann-ab-auf-die-strasse-umweltministerin-lemke-haelt-das-fuer-legitim/
***https://www.n-tv.de/ticker/Umweltministerin-stellt-klar-Autobahnblockaden-falsch-article23121873.html

Kursivsetzung/Fettdruck in den Zitaten durch mich B.M.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

na ja…. es erinnert mich daran, dass auch ich die eine oder andere Aktion von zivilem Ungehorsam gemacht habe, dafür wahlweise Tipps wie „geh doch nach Drüben“ – „schneid dir die Haare“ – „geh erst mal arbeiten“ zu hören bekam. Auch damals sind viele recht schnell „vernünftig“ geworden, haben Karriere beim „Klassenfeind“, in den Parteien, im Staatsdienst oder in der SPD und in der Stadtverwaltung gemacht. Diejenigen, die ihren Idealen treu blieben, galten schnell als Deppen, wunderlich, exzentrisch.
Das wird auch alles schon in der Bibel beschrieben, wer sich ein wenig kurzweilig nachbilden möchte, sollte sich „Unter Pfarrerstöchtern“ auf sein Mobilgerät laden und beim langen Kleben auf dem Asphalt und in der grünen Minna nach hören. Es lohnt sich sehr und ist ein toller Überblick über die 2000-jährige christlich-jüdische kulturelle Prägung unserer Gesellschaft. https://www.zeit.de/serie/unter-pfarrerstoechtern
Was mir in den letzten Tagen häufiger in den Sinn kam, sind die Selbstverbrennungen der buddhistischen Mönche in Vietnam. https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%ADch_Qu%E1%BA%A3ng_%C4%90%E1%BB%A9c
Diese Form der Selbstaufgabe als politisches Statement empfand ich schon als Kind als schrecklichen Irrtum, nicht nur weil die teilweise wöchentlichen Berichte darüber im Fernsehen Traumatisierungspotential hatten. Zum Glück ist da heute die Woke Zensur Polizei vor und verhindert solche verstörenden Berichte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstverbrennung
Das bisschen Störung des Verkehrs wird unsere Gesellschaft verkraften, die paar Watschen und Knuffe für die angeklebten, angeketteten durch verblendete, konsumwillige Systemhuren, werden die woken Ungehorsamen auch überleben.

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Last edited 2 Jahre zuvor by Heinz Niski
Mi.Robi.

Bin sowieso dafür, dass nur noch Demos erlaubt werden, die der Politik Begründungen geben, Steuern zu erhöhen.
Wo kämen wir denn hin, wenn hier jeder frei seine eigene Meinung sagen dürfte?
Zum Glück zeigt unsere Polizei schon einmal, wie man mit widerspenstigen Geistern umzugehen hat. Die Zustimmung der stillen Mehrheit sollte ihnen sicher sein.

https://www.youtube.com/watch?v=VjFCmRGKoVE

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Heinz Niski

ich finde, dass sich die Polizei sehr vernünftig verhalten hat. Als Beobachter musste ich einen Fremdschamreflex unterdrücken, als die ersten Faschismus Rufe kamen. Du bist viel zu intelligent, den „Freiheits-Spaziergängern“ dort einen „Widerstands-Geist“ andichten zu können. Du funktionalisierst die Aktion für … deinen gefühlten Kampf gegen das Böse. Kann man machen, machen ja fast alle. Aber die Aktion selber schien mir ziemlich dröge-deutsch-phantasielos zu sein. Aber wenns hilft nicht gechippt zu werden und nicht durch eine Maske vergiftet… kann man machen.

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Mi.Robi.

Vielen Dank für deine Worte und Gedanken, die ebenso wie der Rufe am Rande der Veranstaltung als Teil einer bunten Meinungsvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft verstehe.
Den Begriff „Faschismus“ habe ich für mich bisher gar nicht so exakt definiert bekommen, obwohl ich mich sogar durch faszinierende Begriffe wie Faszie gewühlt hatte. Aber vielleicht ändern sich Bedeutungen im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung halt mir der Zeit wie z.b. die mittelalterliche Bezeichnung einer alten Ledertasche.
Aber vielleicht magst du dein Weltbild vor Ort noch einmal ergänzen lassen? Bei meiner Suche nach dem Gutem würde ich mich auf eine weitere Erfahrung freuen, sich trotz teils unterschiedlicher Ansichten zu schätzen und zu mögen. Das fände ich in gesellschaftlich unruhigeren Zeiten sehr tröstlich. Ein gemeinsamer Spaziergang an der frischen Luft bietet eine sehr gute Gelegenheit dazu. Dazu möchte ich Dich gerne einladen.

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Heinz Niski

Spazieren gehen, können wir machen. Ich schlage Himmelsleiter oder Mechtenberg vor. Da ist viel Luft. Oder wir gehen gleich in eine Kneipe.. ich war schon ewig nicht mehr in der Kenke. Oder lecker Essen? Von mir aus können wir dabei eine neue Faschismustheorie entwickeln und in eine alte Ledertasche stecken. „Vor Ort“ dieses Spaß- und Fantasiebefreite Tauziehen zwischen den Verwaltungsbeamten und dem BRD Widerstand 2.0 als Bildungsangebot wahrzunehmen, fällt mir sehr, sehr schwer. Deshalb: nein Danke, ich nutze diese Zeit anders.

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Mi.Rob.

Na immerhin gehst du noch spazieren, ohne dich gleich als Nazi zu fühlen.
Auf das Angebot komme ich bei Gelegenheit gerne zurück. Denn die in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Mindestabständen abgebrochenen gesellschaftlichen Brücken können nur in Gemeinschaft wieder aufgebaut werden.
Heute unabhängig vom Wetter spazieren zu gehen, sehe ich in meiner Tradition der „Krabbelgruppe“, wo ich halt gerne den Niedergang und Verfall in diesem Falle ausgedienter Industrieanlagen in Augenschein nahm. Ich weiss noch, dass das nie so dein Ding war, weswegen ich deine Zurückhaltung auch zuzuschauen, durchaus nachvollziehen kann.
In Kneipen würde ich auch sehr gerne mal wieder gehen und so ein frisches Pils in Gemeinschaft zu geniessen.
Doch wegen meinen persönlichen Lehren aus der Geschichte möchte ich mich nicht an Diskriminierung und Ausgrenzung beteiligen noch entsprechend priviligiert werden – egal ob wegen Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sex. Orientierung, Weltanschauung oder in diesem Fall halt Impfstatus. Da bin ich lieber solidarisch mit den Ausgeschlossenen und bleibe solchen Gelegenheiten lieber fern.
Ich denke, du hast dafür Verständnis

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Heinz Niski

Projektionsfläche für falsche Kausalzusammenhänge oder Mythen, Legenden zu sein, nehm ich sportlich und als Kunstaktion. Dein Text hat was von diesem Typen aus „Ritter der Kokosnuss“ – du weisst schon, der, der sich auch noch ohne Extremitäten als unbesiegbar, als Sieger wähnt. Kompromissvorschlag: wir nehmen uns ein Sixpack, suchen uns einen schönen Stromkasten und tüttern dort ein wenig über Dies & Das.

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Last edited 2 Jahre zuvor by Heinz Niski
Mi.Rob.

Tatsächlich unternahm ich unabhängig vom Freizeitangeboten wie Demos und Gegendemo in Zeiten des Gewerbeverbots mit Freunden Wandertage weitcweg von allem. Die waren immer sehr schön, zumal man draussen in Bewegung sehr gut denken und reden kann, wie ich finde.
Ja Monty Phyton. War bereits aktuell, bevor man(n) die Frauenquote allein durch Willenerklärung für sich nutzen konnte.
https://youtu.be/T9hpAaQgbJI

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Cle.Gedön.
Last edited 2 Jahre zuvor by Heinz Niski
Mi.Rob.

Jede Friedensinitiative ist einen Versuch wert.comment image
Und da der Sturm mir den Aluhut vom Kopf geweht hatte, kann ich ja zum Eigen- und Fremdschutz immerhin noch Maske tragen.

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