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Es wird kein Zufall sein, dass die GRÜNEN sich im Entwurf ihres Bundestagswahlprogramms 2021 beim Titel nicht für politische Statements entschieden haben (etwa ökologisch, sozial, demokratisch), sondern für einen Supermarktwerbespruch:  „DEUTSCHLAND. ALLES IST DRIN.“ Ausgeliehen hat man sich, leicht abgewandelt, diesen Spruch bei der Supermarktkette REAL. Dort heißt er: „REAL. EINMAL HIN. ALLES DRIN.“ (1)

Wie bei REAL ist auch bei den GRÜNEN viel im Regal, so dass  nicht jedes Produkt getestet werden kann, sondern nur eines – sozusagen stellvertretend für alle. Unser Test-Beispiel soll der Abschnitt über Demokratie, Parlamentarismus und Mitbestimmungsrechte sein. An ihm kann man durchaus den gesamten „grünen Faden“, der sich durch das Programm zieht, erläutern und zugleich die „Weltsicht“ der GRÜNEN erkennen.

Die GRÜNEN sind einstmals als „basisdemokratisch“ gestartet. Dies galt sowohl innerparteilich als Ziel als auch für die politische Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland  insgesamt. Nämlich insofern,  als die GRÜNEN sich gegen die verkrusteten Strukturen der bundesdeutschen Parteienlandschaft wandten und  kritisierten, dass sich die etablierten Parteien das politische System (und damit das Land) zur Beute gemacht hatten. Anknüpfungspunkt war dabei für die GRÜNEN das Grundgesetz, hier besonders die Artikel 20 und 21. In Artikel 20/2 heißt es:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“  Und der Artikel 21/ 1 legt im ersten Satz fest:


„ Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

Den Parteien war im Grundgesetz eine MITWIRKUNG bei der Willensbildung zugesprochen worden (21/1), nicht aber die alleinige Herrschaft über politische Entscheidungen. Dies drückt sich im Grundgesetz in 20/2 mit dem Hinweis auf Wahlen und ABSTIMMUNGEN aus. Daraus leiteten die GRÜNEN ab, bestimmte Formen der direkten Demokratie auf Bundesebene einzuführen und zu stärken. Das mächtigste Mittel war dabei die Einführung der Möglichkeit des Volksentscheides auf Bundesebene. Dieses Instrument nahmen die GRÜNEN in ihre Programme der Jahre 1980, 1993 und 2002 auf. Die GRÜNEN gehörten auch zu den Unterstützern der Kampagne „Omnibus für Demokratie“, der ab 1987 durch Deutschland tourte und auf eine Anregung von Partei-Mitgründer Joseph Beuys zurückging. (2) Diese Kampagne setzte ebenfalls Volksentscheide auf ihre Agenda.


2020 aber dann die Kehrtwende: im November verabschiedeten sich die GRÜNEN von der über Jahre hochgehaltenen Forderung.

Dazu sagt Gerald Häfner, Mitgründer Die Grünen und langjähriger demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Dies ist kein Punkt wie andere. Es ist ein Scheidepunkt. Denn hier zeigt sich wie im Brennglas das Verhältnis zur Demokratie und den Menschen. Es war immer grünes Anliegen, die Bürger gegenüber den Institutionen zu stärken, Selbstbestimmung und Demokratie zu fördern. Die Grünen waren dabei die Vorreiter! Ein Abschied der Bundespartei von der direkten Demokratie wäre nicht nur ein Verrat an essenziellen grünen Grundprinzipien, es wäre auch eine arrogante Geste der Missachtung gegenüber Wähler:innen wie Bevölkerung, die in großer Mehrheit seit vielen Jahren Volksabstimmungen auf Bundesebene fordern.“  (3)

Im Entwurf des Wahlprogramms ist die Forderung nach Volksabstimmungen nicht mehr enthalten. Stattdessen präsentieren die GRÜNEN so etwas wie „direkte Demokratie light“, also ein Mogelprodukt in schöner Verpackung, wie es halt „light-Produkte“ in Supermarktregalen auch sind.

Mit Bürger*innenräten schaffen wir die Möglichkeit, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürger*innen direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder eines Bürger*innenbegehrens beraten zufällig ausgewählte Bürger*innen in einem festgelegten Zeitraum über eine konkrete Fragestellung. Sie erarbeiten Handlungsempfehlungen und geben Impulse für die öffentliche Auseinandersetzung und die parlamentarische Entscheidung.“

Aus einer Volksabstimmung, also einer Entscheidung aller Bürgerinnen und Bürger, wird nun bei ausgewählten Themen eine Form der Beratung mit Handlungsempfehlungen und Impulsen. (Programmentwurf S. 95)  einer zufällig ausgewählten Gruppe, wobei sogar noch die parodistische Form des Volksentscheids in Gestalt eines „Bürgerinnen*begehrens“ angeboten wird.

Hier lernen wir schon ein Element kennen, dass sich auch durch andere Programmteile zieht: einen ausgeprägten Hang zum etatistischen Denken, zur Bevormundung, zum Mangel an Vertrauen gegenüber dem Bürger und zu weiterer Bürokratisierung. Aus dem Entscheid des Volkes wird eine eingegrenzte Schrumpfform von Schein-Partizipation mit einer bürokratisierten und reglementierten Verfahrensweise.

Da lebt nicht Demokratie durch die Bürger, sondern die Reglementierung durch den Staat. Das zeigt sich auch an einem weiteren Punkt, nämlich an der Idee eines „Demokratieförderungsgesetzes“. Ist das schon alleine sprachlich ein Wortmonstrum, ein typisches Element der Sprache der Bürokratie, so wäre Demokratie zu fördern durch direkte Abstimmungsmöglichkeiten, nicht aber durch in ein weiteres Gesetz bestimmter  staatliche und regulierend eingreifender Maßnahmen. Die werden aber hier vorgeschlagen, wenn es heißt:

Eine lebendige Zivilgesellschaft ist elementar für die politische Auseinandersetzung in unserer Demokratie. Engagierte Menschen, vor allem Ehrenamtler*innen in Initiativen, Verbänden, Vereinen oder NGOs, stärken den Zusammenhalt, tragen dazu bei, wichtige Anliegen auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen und leisten ihren Beitrag zur Willensbildung.(…)  Mit einem Demokratiefördergesetz werden wir ihr Engagement nachhaltig, projektunabhängig und unbürokratisch finanziell absichern.“ (S.96 f)

Erinnerung: Laut Grundgesetz (21/1) sind es die Parteien, die zur Willensbildung beitragen, hier kehrt sich das Verhältnis um: Die engagierten Bürger und Bürgerinnen „leisten einen Beitrag zur Willensbildung“ – bestimmen und entscheiden  dürfen natürlich andere. Aber, so geht es weiter, sie werden dafür alimentiert.

Die Demokratie wird nach Auffassung der GRÜNEN dadurch gefördert, dass ein Gesetz die finanzielle Absicherung von NGOs und anderen regulieren soll. Die NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) werden also zu staatlich alimentierten Hilfstruppen der Regierung, denn sie werden danach streben (müssen), das zu tun, was regierungsgefällig ist, um an die staatlichen Mittel zu kommen. Man nennt sich zwar, das ist auch jetzt schon der Fall, eine Organisation, die nicht an der Regierung hängt, hängt aber an deren finanziellem Tropf. Und besonders der Hinweis, diese Finanzierung  erfolge unbürokratisch, ist dem Umstand geschuldet, dass das Gegenteil der Fall ist, ja, der Fall sein muss. Der Regierungsapparat wird um eine weitere Behörde oder Abteilung eines Ministeriums aufgebläht werden müssen, denn eine staatliche Instanz wird über die Auswahl des alimentierten Kreises (Anträge stellen, Anträge prüfen, Anträge entscheiden)  und  die zugeschusterten Finanzmittel  Aufsicht führen müssen, um die Verwendung von Steuermitteln kontrollieren zu können. Was hier letztlich entstehen wird, ist ein Bürokratieaufblähungsgesetz zur Schaffung von Stellen im öffentlichen Dienst, bei denen, das ist natürlich ein Vorteil, etliche Menschen einen beruflichen Unterschlupf finden können, die am Arbeitsmarkt ansonsten vielleicht nicht versorgt würden.

Gehen wir noch kurz in die Delikatessenabteilung oder die Abteilung „Paradoxes und Heuchelei“. Im Programmentwurf  (S.94) heißt es: .

Parlament stärken, Wahlrecht reformieren

Der Bundestag ist der zentrale Ort für öffentliche Debatten, Rede und Gegenrede und Entscheidungen unserer Demokratie. Für gute Gesetzgebung braucht es ausreichende Beratung und eine Stärkung der Kontrollrechte des Parlaments. Wir wollen die Rolle des Bundestages bei der Gesetzgebung ausbauen.

Dass die GRÜNEN meinen, ins Programm schreiben zu müssen, die Rolle des Parlaments bei der Gesetzgebung zu stärken, ist wohl ein Reflex darauf, dass auch die GRÜNEN sich schon längst der Dominanz der Exekutive bei der Gesetzgebung unterworfen haben. Die Legislative (der Gesetzgeber, das Parlament) ist längst zum Anhängsel der Regierung degeneriert. Die Neufassung des „Bundesinfektionsschutzgesetzes“ ist das jüngste Beispiel dafür, denn der Entwurf kam von der Regierung, nicht aus dem Parlament. Zudem: Besonders die GRÜNEN haben mit ihrer angekündigten Zustimmung zu diesem Gesetz (und ihrem Ruf nach weiterer Verschärfung) soeben gezeigt, dass sie gut mit einer Einschränkung der Rechte des Parlaments („Ermächtigung der Regierung“) und sogar Einschnitten in Grundrechte leben können.

Von ihnen wäre zu erwarten gewesen, dass sie am lautesten gegen die Einschränkungen von Grundrechten protestieren – schon allein vor ihrer eigenen Geschichte wäre das ihre Pflicht gewesen!

Stattdessen aber Floskeln über Demokratie in ihrem Programmentwurf, ein deutlicher Hang zum Etatismus, zur Stärkung des Staates gegenüber den Bürgern, denen man immer weniger an Eigenverantwortung überlassen möchte. Die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger ist vielmehr offensichtlich eine Gefahr, die man durch Regulierungen, Finanztransfers, bedeutungslose Gremien  ohne Entscheidungsmacht und den Ausbau von Bürokratie an die Kette legen möchte. Das ist der Kern des Warenangebots, das ist  das ALLES IST DRIN in diesem Wahlprogramm.

In der WELT schreibt Ulf Poschardt, Chefredakteur des Blattes, über die GRÜNEN:

Die Grünen sind das Sprachrohr und das Machtinstrument jener bürgerlichen Halbambitionierten, die sich in den öffentlichen Dienst flüchten oder in jene öffentlich finanzierten Institute, in denen dem Rest der Gesellschaft ihre eigene Lebensart als Ideal nähergebracht werden soll. Es ist ein intolerantes, humorfreies Milieu, dem die Moral stets mehr bedeutet als Freiheit oder Vernunft.“ (4)

Wo alles drin ist, kann nichts Echtes drin sein. Wer allen alles verspricht, kann kein Versprechen wirklich halten, sondern verkauft heiße Luft in XXL-Verpackung! Und verkauft die Käufer, also seine Kunden!

Also uns!

 

Kompletter Programmentwurf unter:

https://cms.gruene.de/uploads/documents/2021_Wahlprogrammentwurf.pdf

*http://www.prospekteschauen.de/real/einmal-hin-alles-drin-09-10-2017/

(2) https://www.omnibus.org/

(3) https://www.mehr-demokratie.de/news/voll/offener-brief-an-gruene-basis-zivilgesellschaft-braucht-den-bundesweiten-volksentscheid/

(4) https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus230496897/Die-Gruenen-Annalena-Baerbock-Anstaendig-erwachsen-aber-gefaehrlich-wie-noch-nie.html

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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