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Wie nicht nur auf facebook und twitter, anderen Plattformen und in den allermeisten Medien, so ist auch hier auf HerrKules  deutlich geworden, dass die Empörung über die #allesdichtmachen Videos riesig war. Man kann die Positionen der Empörungswelle auf einige Grundmuster reduzieren:

  • Das Lob von AfD, Querdenkern und anderen vermeintlichen und tatsächlichen Rechten, Ganzrechten, Halb- und Vollnazis als Ausweis einer behaupteten Schnittmenge der Video-Aussagen mit dem Gedankengut der genannten Gruppierungen
  • Ein Mangel an Empathie mit den Corona-Erkrankten und Corona-Toten
  • Die Unangemessenheit von Satire (hier: Zynismus)
  • Das Projekt als Unternehmung selbstdarstellerischer Schauspieler, die teilweise „öffentlich-rechtliche Stars“ sind und jede Menge Kohle verdienen
  • Die Videos als professionelle  Inszenierung, aber als missglückte Satire

Daneben gibt es noch einige kleinere oder singuläre Argumentationsmuster incl. Verschwörungstheorien (inszeniert, Netzwerke usw.)

Auffällig ist, dass praktisch niemand sich in den Kritiken konkret mit einem Video beschäftigt hat (sollte ich einen Beitrag dieser Art übersehen haben, bitte ich um Entschuldigung, verbunden mit der Bitte, den Beitrag hier zur Diskussion zu stellen!), sondern die Urteile immer generell und pauschal gefällt werden. Dabei sind die Videos, wie könnte es anders sein, aus meiner Sicht inhaltlich und von der satirisch-ironische Qualität her durchaus unterschiedlich gut gelungen.

Vielleicht ist es, da der erste Pulverrauch verzogen ist, mal an der Zeit, ein Video konkreter anzuschauen, ohne dass gleich wieder mit den oben genannten Versatzstücken bzw. Abwertungsmustern  operiert wird!?

Warum das Video mit Richy Müller?

Nun, weil es zu den Beiträgen gehört, die häufig pauschal angegriffen worden sind: Müller, so war zu lesen und zu hören, mache sich mit seiner Tüten-Atmung-Nummer über die Patienten auf Intensivstationen lustig, die an Beatmungsgeräten hingen. Das sei aber zynisch und menschenverachtend und  beleidige die Kranken und die Intensivpfleger und Ärzte.

Meine These:

Diese Behauptungen laufen ins Leere. Die Kritiker(-innen) haben sich das Video bestenfalls angesehen, nicht aber den Text genau angehört. Mit Patienten auf Intensivstationen hat das Video rein überhaupt nichts zu tun! Es kritisiert eine Maßnahme der Bundesregierung!

Also zum Video selbst:

Das Setting:

Richy Müller steht vor einer Fototapete, die eine Großstadtkulisse zeigt. Er spricht langsam und ruhig, wobei er zwischen den Textzeilen abwechselnd in zwei Plastiktüten ein- und ausatmet, die er in der rechten(einatmen) und der linken Hand (ausatmen) hält.

Der Text: (aufgeschrieben nach  Sehen und Hören des Videos)

Hallo, ich bin Richy Müller, ich bin Schauspieler, und ich mache mir große Sorgen um das Corona-Virus.

Und deswegen atme ich immer aus dieser Tüte ein (rechte Hand) und in diese Tüte aus (linke Hand).

Auf diese Art komme ich nicht mit der Raumluft in Kontakt und atme auch nicht in diese aus. Somit schütze ich mich und andere.

Ich fände es gut, wenn sich andere Leute daran ein Beispiel nehmen würden. Denn es gibt so viele Egoisten und Undisziplinierte. Und die sind doch daran schuld, das alles so schlimm ist.

Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr.

Also: bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen.

(Kurze Pause)

Ich geh jetzt erst mal  Luftholen! (Abgang)

Zunächst: Schon die Ausgangssituation ist als absurd markiert: Müller (körperlich eher klein) steht vor ein Großstadtkulisse (als Fototapete erkennbar) und hat als Requisiten zwei Supermarkt-Einkaufstüten in der Hand. Er atmet – zwischen den gesprochenen Zeilen- tatsächlich in die Tüten ein und aus, die sich entsprechend aufblähen bzw. wieder zusammenfallen, was an das Aufblasen und Erschlaffen von Luftballons erinnert. Das Ganze hat fast den Charakter einer  Clownsnummer.

Müller beginnt mit einem sprachspielerischen Element. Er sagt,er mache sich Sorgen „um Corona“, obwohl es wohl (regierungstreu in Bezug auf  die Corona-Gefahr) heißen sollte „wegen Corona“. Dann steigt er in das Thema ein:

Worum es inhaltlich zunächst geht, ist die Thematik des Ausgehverbots und der Aerosole. Obwohl schon seit geraumer Zeit Aerosolforscher darauf hingewiesen haben bzw. hatten, ist eine der Regierungsmaßnahmen (auch in den Bundesländern) eine Ausgangssperre gewesen, die  in der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes (Notbremse) verschärft enthalten ist . Und dies, obwohl wenige Tage vor der Einbringung des Gesetzes führende Aerosolforscher sich in einem eindringlichen Appell an die Kanzlerin gewandt und darauf hingewiesen haben, dass in Innenräumen die Ansteckungsgefahr am größten, wogegen sie an frischer Luft nahezu gleich Null sei. Gegen diese Ausgangssperre, gebunden an einen Inzidenzwert, richten sich auch viele der in Karlsruhe anhängigen Verfassungsklagen!

Die Haltung der Regierung wird durch das Ein-und Ausatmen in die beiden Tüten ins Lächerliche gezogen. Besonders unterstrichen durch den Satz: „Auf diese Art komme ich nicht mit der Raumluft in Kontakt und atme auch nicht in diese aus“, was, physikalisch gesehen, natürlich absoluter Unsinn ist!

Gesteigert wird diese Kritik an der Regierung in Bezug auf das Ausgehverbot durch den Schlusssatz, der zwei Bedeutungsebenen hat:

1) Er spielt auf der einen Seite sozusagen mit dem Setting: Müller geht in die große Stadt hinaus, um für seine zwei Atmungs-Einkaufstüten, die er  mitnimmt, frische Luft zu besorgen, also Luft holen.

2) Zweites spielt der Satz mit der Alltagsredewendung, an die frische Luft zu gehen, was zurecht darauf hinweist, dass im Alltag die Luft in den Wohnzimmern allmählich „verbraucht“ ist, wogegen sie im Freien „frisch“ ist, er geht Luftholen. Durch die semantische Doppeldeutigkeit erneut im Video der Hinweis , dass die Maßnahme der Regierung (Ausgangsverbot) unter medizinischen Gesichtspunkten (Aerosole) völlig kontraproduktiv ist.

Von Intensivstationen ist hier überhaupt nicht Rede, hier wird so gut, wie man es nicht besser machen kann, auf sehr einfache und subtile Art und Weise zugleich beste Regierungskritik geübt, nämlich Kritik an einer Maßnahme, die wissenschaftlich völlig unsinnig ist.

Es gibt noch einen zweiten Aspekt im Text, nämlich wenn Müller auffordert, es ihm gleich zu tun und dies mit der Kritik an den „Egoisten“ und „Undisziplinierten“ verbindet. Hier bedient sich Richy Müller eines klassischen satirischen Stilmittels, nämlich der Ironie, denn das Gemeinte ist das genaue Gegenteil des Gesagten. Seine Methode der Zwei-Tüten-Atmung ist das genau Gegenteil von wissenschaftlich fundierter Maßnahme (wie die Ausgangssperre  eben auch unwissenschaftlich ist)! Dazu aufzurufen,  es ihm gleich zu tun, meint also, es als absurd, schädlich, falsch und  kontraproduktiv zu erkennen und zu benennen. Damit ist auch die „Schuldfrage“ anders zu beantworten, als es im Text zunächst erscheint. Die Schuld, wenn man davon sprechen kann, liegt also bei denjenigen, die unsinnige Maßnahmen ergreifen und uns dadurch in den Lockdown zwingen und schon seit Monaten dort halten.

***

Bei den meisten, ja, nahezu allen Kritiken war der Ausgangspunkt nicht der konkrete Text, sondern die „Gesamthaltung“ der Aktion an sich. Dass ausgerechnet einige sehr bekannte Film- und Fernsehschauspieler nun an die Öffentlichkeit gegangen sind und zeigen, dass sie nicht mit allem, was die Regierung verfügt, einverstanden sind, scheint an sich bereits eine Art Gotteslästerung zu sein. Regierungskritik als Kritik an den Corona-Maßnahmen  – und hier wird eine Fixierung auf die AfD, die Querdenker, die Aluhüte, die Coronaleugner, die Impfgegner  und sonstiges vorgebliches oder tatsächliches  „rechtes Gelichter“ deutlich – ist offensichtlich schon nicht mehr denkbar als völlig legitime Regierungskritik, ohne in den Dunstkreis dunkler Kräfte eingebunden zu sein (ob diese es nun überhaupt sind oder nicht). Und die, die die Schnittmenge feststellen, sind zugleich diejenigen, die die politische Disziplin der Regierungskritik weitestgehend genau der AfD überlassen, die ihnen dazu dient, Regierungskritiker zu diffamieren.

Wie die Regierungspolitik nun schon über einen langen Zeitraum hinweg jegliches Nachdenken über die eigenen Maßnahmen nahezu eingestellt hat und alternative Ansätze ausschließt (siehe Aerosole, siehe die Ansätze von Prof. Streeck), weil  die eigene Politik als „alternativlos“ deklariert wird, erklären weite Kreise unserer Gesellschaft das eigene Denken, vor allem aber die eigene Haltung als „alternativlos“. Dass ausgerechnet viele (ehemalige) Linke, Grüne, Alternative, Anarchos, Graswurzler, Bürgerrechtsbewegte, die einstmals zu den Verachteten und Angegriffenen gehörten („geht doch nach Drüben, wenn es euch hier nicht passt“), heute die Speerspitze eines neuen Jakobinertums und Vorreiter autoritären Denkens und autoritärer Regierungspropaganda sind, entbehrt nicht einer gewissen Tragik.

Und es scheint so, als hätten weite Kreise der Genannten neben ihrer einstigen liberalen, alternativen, progressiven  Haltung auch noch ihren Humor verloren.

Und das ist schon nicht mehr tragisch, sondern traurig!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Es gibt Tiefpunkte des TV Journalismus, einer davon war sicher das Tribunal von Johannes B. Kerner und Gäste gegen Eva Herrmann (aber die ist doch Rechtsesoterikerin…. da darf man schon mal jeglichen Anstand verlieren und deshalb wurde sie zu Recht eingetütet.!!!)

Ein neuer Tiefpunkt scheint mir das „Interview“ von Martin von Mauschwitz mit Jan Josef Liefers zu sein.

So wie Erich Mielke 1989 in der DDR-Volkskammer sagte: „Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein!“. –

versucht hier der beleidigte Journalist ein: „wir berichten doch alles, wir sind doch kritisch, wir sind regierungskritisch und du bist Querdenker AfD und naiv….“

https://youtu.be/aIfy3vlQZz0

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Mi.Rob.

Den Liefers haben sie bisher wohl noch nicht zum Schweigen gebracht, obwohl er schon einmal mit den Betonköpfen zusammengerasselt ist…
https://www.youtube.com/watch?v=IRFeltARl9c

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Heinz Niski

Schroeder & Somuncu erklären in ihrem Podcast, dass die Aktion von einem Querdenker (hier Dietrich Brüggemann) inszeniert wurde und dass das Stilmittel Ironie (ich bin Schauspieler und spiele eine Rolle, ich sage nun das Gegenteil von dem, was ich denke) die Position der Coronaleugner erhärten würde.
Somuncu: „wer kein Coronaleugner ist, wer mit den Maßnahmen (der Regierung) einverstanden ist, kann nicht gleichzeitig ironisch sagen, dass er nicht damit einverstanden ist“.
Sie beschreiben, dass sogar sie als „Experten“ (hier Kabarettisten) ihr Publikum durch zu viel Ironie und zu viele ineinander verschachtelte (Meta)Ebenen überfordert hätten und daran gescheitert sind, Erklärungen nachreichen mussten, was sie tatsächlich gemeint hätten. #allesdichtmachen wäre fehlgeleitete Ironie, schlechte Satire und eine miserable Kunstaktion. Weil die Schauspieler nicht wussten, was sie taten, könne man ihnen aber keinen Zynismus vorwerfen. (Florian Schroeder)

https://www.youtube.com/watch?v=3KHuB3B3KqE

Auf Netzpolitik.org wird etwas bemüht versucht zu beweisen, dass Brüggemann der Querdenker Szene zuzuordnen sei. Er würde oberflächliche Gesellschaftskritik verbreiten, pauschal Schutzmaßnahmen infrage stellen, gelegentlich totalitäre Züge beklagen.

Netzpolitik.org zu Brüggemann

Brüggemanns Blog findet sich hier: https://d-trick.de/blog/

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Heinz Niski

Dafür hat sich Somuncu für Jan Böhmermanns „wirklich gute“ Ziegenficker Schmähsatire umso mehr aus dem Fenster gelehnt

10.04.2016 Anne Will Zitat Somuncu:

Böhmermann deckt das auf, indem er noch ein drauf setzt, deswegen ist das auch gute Satire, denn sie deckt etwas auf, und sagt, das ist die Grenze zwischen den Standards die wir hier haben, und das ist das, was andere von uns fordern. Wir reden nicht über Geschmack, auch ich bin vielleicht Ihrer Meinung, dass man in der einen oder anderen Situation vorsichtiger, zaghafter muss es nicht unbedingt sein, aber genauer kann es sein, aber das ist das Recht des Künstlers, dass er selbst entscheidet, mit welchen Mitteln er Satire betreibt und das ist unser Grundrecht in Deutschland, dass wir das zu schützen haben, vor allem die Kanzlerin.

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Di.Niew.

Böhmermann vs. Erdogan war aber Kunst. Und frei.

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Den.Zitze

@B.M.
Guter Text. Manchmal denke ich, dass wir mit unserer Analyse zu komplizierte Sachverhalte voraussetzen. Wir müssen uns vielleicht einfach eingestehen, dass eine Aufführung von Faust im vollen Fußballstadion, vor einem Publikum in Erwartung eines Revierderbies, schon mal nicht gut ankommen kann. Die Aufführung war klar und auch das Ziel deutlich. Das deutsche Publikum ist möglicherweise von den Machern schlicht überschätzt worden. Das ist der eigentliche Skandal, nur bringt der den großen Portalen weniger Klicks als wilde Querdenker und Nazivergleiche, die, wie richtig im Text dargelegt, an der Oberfläche bleiben.

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anonym

Brüggemann taucht zusammen mit Svenja Flaßpöhler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mathias Richling und weiteren hier auf:

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/fuer-die-offene-gesellschaft-1

Die führen eindeutig nichts Gutes im Schilde.

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