St. Antonius Kirche Feldmark nach der Entweihung. Die Broken Window Theorie wurde Realität. Wer Verslumung, Verfall, Dystopie abbildet, beschäftigt sich mit einem vorübergehenden Phänomen, das in ein, zwei Generationen entweder durch Ordnungsmaßnahmen der Ämter oder durch die Entwicklung der Individuen und somit der Gesellschaft, geheilt sein wird.
Sagten und sagen mir Menschen, die ich schätze, achte, respektiere, die bei mir Ängstlichkeit und Mutlosigkeit konstatieren, während ich sie entwurzelt in Eskapismus Wolken verorte.
Wir werden uns in diesen Fragen nicht mehr annähern, vielleicht sogar darüber einen Knacks durchleben müssen. Weil wir alle wissen, dass die Zeit der besser als die der Elterngeneration gestellten, vorbei ist.
Das Bild der Tempelstufen bekam ich von einem mir nahe stehenden Menschen, der wie viele andere an dieser Veränderung des Umfeldes leidet. Nicht durch Verheißungen in kommenden Generationen getröstet wird, sein will.
Degenhardt kam mir in den Sinn.
Für wen ich singe.
Umsturz. Rebellion. Holzschnitt. Wut.
Die neuen Spießer, ewig Gestrigen kommen heute als Woke, Orwell sprechende daher. Geschichtslose. Amnesierte, vor Rührung über sich selbst weinend, wenn sie für Frieden und Freiheit andere in Schützengräben steigen lassen oder Kosten für Integration, Dekarbonisierung den Schwächeren aufbürden.
Die Wut nicht versaufen, herauslassen.
Ende der 60er Jahre.
Kämpfen wir also! Gegen wen noch mal? Die Woken, die Larmoyanten? Immer eine geeignete Zielscheiben für die vielen Pfeile, die wir Besseren noch im Köcher haben. Wieviel Selbstgewissheit muss man haben, um von dieser immer wieder erhobenen Anklage irgendeine positive Wirkung zu erwarten!
Man hat die Tuberkulose soweit eingedämmt, dass sie ihren Schrecken verloren hat, hat Diphtherie und Kinderlähmung ebenso zurückgedrängt und hat dafür gesorgt, dass es einen hohen Standart sozialer Absicherung gibt. Ich sehe den Anteil nicht, den die Ankläger der Armut und der Benachteiligung daran hatten. Und ich sehe nicht, welchen Nutzen für die gesellschaftliche Entwicklung die Jagd auf Dummheit und Ignoranz zum Zweck des scharfzüngigen Verspottens haben könnte. Aber sicher scheint mir, dass sie einer diffusen Unzufriedenheit eine eher selbstgefällige Stimme verleiht.
Wenn die Zeit derer, die es besser als ihre Eltern hatten, vorbei ist: wollen wir sie zurück? War die Prosperität denn das Ergebnis eigener Leistung, war kulturelle Geschlossenheit denn kulturelle Integrität? Ich glaube, man muss sich etwas vormachen, um nicht die Entwicklungen von heute damals angelegt zu sehen. Unser Beitrag zur Zukunftsentwicklung heute? Anklage, Depression? Eine politische Kraft, der sich die degenhardtsche Wut und Verachtung anschließen könnte, ist ja vor lauter Verzweiflung nicht in Sicht…
Die Ankläger von Armut und Benachteiligung haben in den letzten 100 Jahren den größten gesellschaftlichen Entwicklungssprung aller Zeiten geschafft. Führend daran beteiligt waren Klagende wie z.B. Marx, Engels, Rosa Luxemburg, die frühen Sozialdemokraten, welche die Demokratisierung der Gesellschaft voran trieben, die Emanzipation ermöglichten, die eine Bildungsrevolution in Gang setzten, die sozialen Errungenschaften und auch technologischen Fortschritt ermöglichten.
Immer wenn es zu viele sich beklagende gibt, erfindet sich der Kapitalismus neu.
Ihr Hinweis, dass die Nörgler und Ankläger nichts vernünftiges Zustande bringen, keine Krankheiten heilen, gesellschaftlich also überflüssig und nutzlos sind, trifft natürlich besonders jene, die in der Kunst und Kultur unterwegs sind, Bücher schreiben, Theater spielen, Musik erfinden und weitere gesellschaftlich “nutzlose” Tätigkeiten verrichten. Da schaut zwischen Ihren Zeilen eine Intellektuellen Feindlichkeit hervor, die es immer mal wieder hier und da gibt. Unter Pol Pot wurden Brillenträger ermordet, weil die Ableitung galt: Brille = liest wahrscheinlich Bücher = ist Intellektueller = nutzloser Schädling.
Die diffuse Unzufriedenheit, die Sie vermuten, ist für viele Menschen eine konkrete und vermeidbare Belästigung, Ausdruck einer egoistischen, antisozialen Haltung und ein Statement gegen den Common Sense, gegen den Gemeinsinn, das Gemeinwohl. Sie sehen dort anscheinend die Dämonen kultureller Geschlossenheit, die von einigen Makeln befreit werden muss, z.B. durch freizügigen Umgang mit öffentlichem Raum, durch andere Interpretationen von Regeln. Andere sehen darin die Vorboten von Rückschritten sozialer und kultureller Errungenschaften, Zeichen kommender dystopischer Orte.
Gut beobachtet ist, dass es keine politische Kraft gibt, die sich der degenhardtschen Wut anschließen könnte. Nicht aus Verzweiflung. Eher aus Gelassenheit und dem Wissen, dass das Pendel der Entwicklung mal in die eine, mal in die andere Richtung geht.
Ich kannte mal einen, der wegen beharrlicher Kritik an den Schattenseiten seiner Gesellschaft geächtet war und als Nazi diffamiert wurde. Das tat ihm weh, weil er das Gute, die Sauberkeit und die Ordnung, den Schutz der Ordentlichen im Sinn hatte und nicht den Krieg und den Massenmord (auch wenn er niemals sagte, wie man das leisten kann und erkennbar einem modernen chinesischen System mit besten Referenzen auf diesen Gebieten nicht zugeneigt war). Aber als er mit den Fragwürdigkeiten seiner blockierten Wahrnehmung konfrontiert wurde, da zog er im Spiel der Meinungen doch gerne rasch die Trumphkarte des Totalitarismusvorwurfs.
Zwischen mir und Pol Pot, dem Massenmörder mit intellektueller Provenienz,dürfte jedenfalls ein rettender Abstand liegen, so dass ich mich berechtigt fühle, diesen Teil nicht auf mich zu beziehen, sondern als demagogischen Ausrutscher anzusehen.
Ja, Nazi wird man heutzutage schnell. Besonders, wenn Begriffe wie “Sauberkeit & Ordnung” als Alleinstellungsmerkmal unterfütternd mit ins Spiel gebracht werden und der Protagonist keiner Ideologie anhängt. Wie die Pattsituation aufzulösen ist, dass wir uns wechselseitig blockierte Wahrnehmung zuschreiben, weiß ich nicht.
Zitat: “Und ich sehe nicht, welchen Nutzen für die gesellschaftliche Entwicklung die Jagd auf Dummheit und Ignoranz zum Zweck des scharfzüngigen Verspottens haben könnte.”
Ich vermute hier den Kern unserer Differenzen.
In meinem Beitrag kann ich keine “Jagd auf Dummheit und Ignoranz” erkennen und auch kein Verspotten.
Wahrscheinlich meinen Sie die Farbe von HerrKules.
Darüber könnten wir reden. Sloterdijks “Kritik der zynischen Vernunft” neu interpretieren?
Oder eingestehen, dass die Blasphemie als Königsdisziplin des Spottes, die Grundsteinlegung für gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen war und ist und deshalb von religiösen Fundamentalisten mit Folter und Mord geahndet wird?
Was Sie als “Dummheit und Ignoranz” deuten, nehme ich als ausgeklügelte Güterabwägung und Strategie zur Verschaffung von kurzfristigen Vorteilen für sich oder seine Gruppe wahr.
Die Opfer- und Täterrolle vermischt sich, weshalb ich zwischen den Stühlen sitzen bleiben werde.
Und ich sehe nicht, welchen Nutzen für die gesellschaftliche Entwicklung die Jagd auf Dummheit und Ignoranz zum Zweck des scharfzüngigen Verspottens haben könnte. Aber sicher scheint mir, dass sie einer diffusen Unzufriedenheit eine eher selbstgefällige Stimme verleiht.
Das „scharfzüngige Verspotten“ geschieht nicht aus Selbstgefälligkeit, sondern aus Mangel an echter politischer Macht. Es ist eine Ersatzhandlung für politisches Handeln. Die alten Hofnarren und die jetztzeitigen Satiriker greifen zum sprachlichen Schwert oder Florett, um etwas zu zeigen, was verbesserungswürdig ist. Der gute Dürrenmatt, der die Tragödie für überholt hielt, weil seiner Meinung nach die Darstellung der Welt als Ganzes, als gedachte oder wirkliche Einheit, nicht mehr möglich sei, stellte deshalb die These auf „Uns kommt nur noch die Komödie bei“. Seine These setzte er in Dramen wie „Die Physiker“, „Der Besuch der alten Dame“ und „Romulus der Große“ um.
Auch wenn ich Dürrenmatts komödiantische Dramen sehr mag, mag ich doch auch den „Griff zum Hammer“, wie es ein weltbekannter Reformer, Revolutionär, Erneuerer und Kritiker von Dummheit und Ignoranz in seinen jungen Jahren machte. Wir können über diesen Unzufriedenen lesen:
13 Kurz vor dem jüdischen Passahfest reiste Jesus nach Jerusalem. 14 Dort sah er im Vorhof des Tempels viele Händler, die Rinder, Schafe und Tauben als Opfertiere verkauften. Auch Geldwechsler saßen hinter ihren Tischen. 15 Jesus machte sich aus Stricken eine Peitsche und jagte die Händler mit all ihren Schafen und Rindern[a] aus dem Tempelbezirk. Er schleuderte das Geld der Wechsler auf den Boden und warf ihre Tische um.
Jesus jagt die Händler aus dem Tempel (Matthäus 21,12‒13; Markus 11,15‒17; Lukas 19,45‒46)
Satire: Ja!
Diskursverengung: Nein!
Christine Prayon alias Birte Schneider bringt es auf den Punkt und beschreibt, dass nicht nur die Macher, sondern oft auch das Publikum im ideologischen Käfig gefangen ist und intellektuell mit dieser Kulturtechnik überfordert sind.
Böse Zeiten.
https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/639/birte-spielt-nicht-mehr-mit-8943.html