0
(0)

Es war im Jahre 2021 unseres Herrn, einem Jahr, in dem Menschen Forschungsroboter zum Mars schickten, so als gäbe es keine Grenzen für den Weg der Menschheit bis in fernste Fernen des Universums, andererseits aber die Menschen Geschäfte aller Art, Gaststätten, Hotels und Läden schließen und ihrer eigenen Bewegungsfreiheit engste Grenzen setzen mussten, als, um genau zu sein, am 1. März dieses Jahres Herr GRUBER um kurz vor neun Uhr in der Früh,  nachdem er festen Schrittes und mit einem Gefühl der Genugtuung auf dem lächelnden Gesichte, zuvor, wie schon lange nicht mehr, den Schlüssel zweimal im Schloss umgedreht hatte, so dass das Schloss, nur für ganz feine Ohren zu hören, sich mit einem fast befreit klingenden, der Lautstärke eines seufzenden Wisperns nicht unähnlichem Geräusch aufgetan hatte, die Eingangstür seines Bistros öffnete, auf die Straße trat, einmal tief durchatmete, um dann die Ketten, mit denen Tische und Stühle verbunden waren, um sie vor dem Weggetragen-Werden zu schützen, zu lösen und das Mobiliar danach mit einem feinen Ledertuch, das er bei sich führte, von Schmutz zu säubern.

Während dieser mit beschwingter Leichtigkeit ausgeführten Tätigkeit dachte GRUBER darüber nach, ob er seine Speisenkarten auf der Seite mit Fleischgerichten, die neben vegetarischen und  veganen Speisen immer noch ihren dominanten  Platz einnahmen, nicht mit einem Spruch verzieren sollte, den er jüngst gelesen hatte, nämlich  der Feststellung,  es sei eine Enttäuschung , dass sich Vegetarier zum Zwecke der Vermehrung der Fleischeslust hingeben würden. GRUBER nahm sich vor, während er später seinen Grill anfeuern würde, weiter darüber nachzudenken. Just in dem Moment, in dem er seine pflegerische Tätigkeit für Tische und Gestühl beendet hatte, öffnete sich die Tür der Boutique LENA, die schon seit gut fünf Jahren ihren Platz neben seinem Bistro hatte. Die Inhaberin, die nicht LENA, sondern VERA hieß und, wie ein kleines Schildchen für Kontaktaufnahme in Notfällen ebenfalls verriet, den Nachnamen Krupp trug, allerdings nicht auch nur von Ferne mit jener Dynastie verwandt war, die einst durch Eisen, Stahl und allerlei Kriegsgerätschaften zu unermesslicher Größe und noch unermesslicherem Reichtum aufgestiegen war, vielmehr bäuerliche Vorfahren im vormaligen Sudetenland aufzuweisen hatte, was GRUBER in einer der vielen Stunden, die er nun schon sein Lokal seit Monaten wegen der GVBO , der Guten-Virus-Bekämpfungs-Verordnung geschlossen halten musste, mal , er hasste dieses Wort, gegoogelt hatte, weil er , wie er sich eingestehen musste, doch ein gewisses Interesse für LENA-VERA in sich hatte aufsteigen fühlen, wobei er sich allerdings nicht sicher war, ob LENA-VERA nicht schon längst Kontakt zu jenem Buchhändler aufgenommen hatte, dessen Laden das dritte Geschäft in ihrer kleinen Erlebnis- und Handelszeile war, die GRUBER durchaus als eine optimale Verbindung sah, weil in den drei Ladenlokalen doch nahezu alles Sinnliche und Genussvolle zu erstehen war, was die menschliche Existenz über profane Alltagseinkäufe nahezu ins Erhabene veredelte: Bücher, schöne Kleidung, gutes Essen samt feinen Getränken, eine Trias der Lebensfreude. LENA-VERA warf ihm, einen Rollständer mit Frühjahrsmode auf die Fläche vor dem Schaufenster ihres Ladens ziehend, einen freundlichen Blick zu, um dann aber, ein Gefühl der Enttäuschung stieg in ihm hoch, gleich wieder in ihrem Geschäft zu verschwinden. Während GRUBER sich seiner Enttäuschung hingab, für die es, so wusste er in seinem tiefsten Inneren, letztlich keine Berechtigung gab, denn er hatte  zu keiner Zeit seinerseits ein Signal der Zuneigung in Richtung LENA-VERA gesandt, sondern sein Interesse an ihr nur mit sich selbst ausgemacht, schob der Buchhändler WALDENSTATT, ein vitaler Mittvierziger, der schon das eine oder andere Viertel Rotwein bei GRUBER genossen hatte und auch gelegentlich bei ihm zu Mittag aß, immer wieder gerne das Saltimbocca-Gericht verzehrend, das Gruber natürlich, wie es sich gehörte, mit Schnitzel vom Kalb zubereitete und dessen Kick von der immer frisch zubereiteten Olivenölbutter herrührte, einen Rollwagen mit Taschenbüchern auf das graue Pflaster der Einkaufsstraße, wohl nur zufällig  in dem Moment, als LENA-VERA wieder aus dem Laden trat und gleichzeitig die letzten Töne der Glocken des Doms gegenüber in einer tiefe Stille sich aufgelöst hatten. In die Stille hinein rief WALDENSTATT, sie ohne Umschweife und mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit duzend, zu GRUBER und VERA-LENA herüber: „Ihr auch, prima! Hast du einen frischen Espresso für mich?“ „Und für mich einen Cappuccino?“ schloss sich LENA-VERA an. GRUBER rückte an einem der Tische, auf den ein Frühlingssonnenstrahl ein goldenes Dreieck zauberte, drei Stühle zurecht und betrat seinen Laden, um umgehend die M100 Attiva von La Cimbali anzuwerfen, die ihm schon seit Jahren bei der Zubereitung von Kaffeespezialitäten treue Dienste leistete.

Als er wieder nach draußen trat, für sich selbst hatte er ebenfalls einen Cappuccino zubereitet, und die Getränke auf dem Tisch platzierte, sagte WALDENSTATT: „Schaut mal darüber, der Hassan! Und daneben der schräge Meyer!“ Hassan war der Inhaber des Kebab-Hauses auf der anderen Seite des Platzes, und der schräge Meyer war Gottfried Meyer, dem das Foto-Studio gehörte und der eines seiner Schaufenster regelmäßig mit mehr oder weniger, meistens weniger, geschmackvollen Akt-Bildern dekorierte, was ihm das Attribut „schräg“ eingebracht hatte.

„Haben die sich abgesprochen?“ warf LENA-VERA in die Runde, was WALDENSTATT mit der Gegenfrage beantwortete: „Haben wir uns abgesprochen?“

Der schräge Meyer schob mittlerweile, unterstützt von Hassan und einem seiner Mitarbeiter, zwei Lautsprechertürme samt Verstärkeranlage und einem Soundsystem auf die Straße, verkabelte diese Gerätschaften, legte, soweit das aus der Position der drei vor GRUBERS Bistro nun mit nahezu entspannter Selbstverständlichkeit sitzenden Geschäftsnachbarn zu sehen war, ein Verlängerungskabel samt Verteilerdose aus seinem Foto-Laden bis hin zur Musikanlage, drehte  an einigen Knöpfen, betätigte Schalter und Regler, bis, zur Überraschung der drei Zuschauer des Geschehens, Tangomusik erklang. Ein Klatschen brandete auf.

Als die drei Kaffeetrinker sich in die Richtung  umdrehten, aus der die Beifallsbekundungen kamen, sahen sie, dass die an der Längsseite des Platzes aufgereihten Geschäfte, ein Asia-Shop, eine Wäscherei, ein Elektronik-Geschäft und ein Second-Hand-Laden, ebenfalls geöffnet hatten und die Inhaber, Geschäftsführer, Mitarbeiter, gleich wer auch immer sich dem Laden zugehörig fühlte, die Beifallsklatscher waren.

Wenige Augenblicke später erschienen Menschen auf der Fläche vor der Musikanlage, die, auffällig extravagant gekleidet, sich zu Paaren fanden und mit ersten Tangoschritten begannen. Es dauerte nicht lange, bis die Menschengruppe auf dem Platz größer wurde. Angestellte und Kunden aus den drei Banken, die den Platz säumten, gesellten sich ebenso hinzu wie Verkäuferinnen und Kunden des Back-Shops und eines Blumenladens, der bereits geöffnet hatte. Taxifahrer, die ihre Fahrzeuge verlassen hatten, kamen hinzu, Erzieherinnen aus dem nahe gelegenen Kindergarten samt der Kinder, Laufkundschaft und Menschen, die aus der U-Bahnhaltestelle ans Tageslicht kamen. „Los, kommt mit!“ forderte LENA-VERA die beiden Männer auf, zog sie von ihren Stühlen, hakte sich bei ihnen unter, WALDENSTATT links und GRUBER rechts, und führte sie zu der Gruppe der Tanzenden , von denen sie alsbald ein Teil waren, wobei GRUBER, obwohl Tangoschritte ihm völlig fremd waren, als Partner einer der Erzieherinnen sich unbeholfen wiederfand, wogegen WALDENSTATT und LENA-VERA sich kunstvoll im Tango wiegten.

Von Ferne waren die Sirenen von Polizeiwagen zu hören. GRUBER blieb ganz ruhig, sah seine Tanzpartnerin an, die Gefallen daran gefunden hatte, ihn, sanft und bestimmt zugleich, zu führen, lächelte in sich hinein und dachte: „Sollen sie kommen. Entweder sie tanzen mit oder wir verjagen sie. Ab heute kehrt die Freiheit zurück!“ Und als ob die anderen auf dem Platz seine Gedanken hätten lesen können, ließ sich ein vielstimmig-einstimmiges „Genau! Genau so und nicht anders!“ hören. GRUBER sah seine Tanzpartnerin an. „Ich heiße übrigens BRUNO!“

ENDE.

Anfang?

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
2 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Di.Niew.

Ich frag mal VERA-LENA.
Guter Plan!

0
0
An.Rollf.

ein wirklich schöner Traum !☺️

0
0