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Heute mit: ZEIT

In Zeiten wie diese bieten Tageszeitungen und Magazine aller Art gerne abgehalfterten Kleindarstellern, abgestandenen Schlagerfuzzis, verwelkten Möchtegern-Models und strunzdummen 1-c-Prominenten, die es einmal bis in die nach Körperschweiß duftenden Umkleidekabinen von Casting-Shows , in die zwielichtigen Bungalows von Liebesinseln, auf die ranzigen Matratzen von  Dating-Hotels oder in den Muff von Dschungel-Zelten geschafft haben,  die Möglichkeit, den Leserinnen und Lesern ihre Weisheiten preiszugeben, also Dinge zu sagen, die zumeist unter die Genfer Konvention gegen Folter fallen und deutlich machen, was der Begriff „komplette Halbbildung“ im Kern bedeutet. Häufig werden diese Existenzen danach gefragt, was sie jetzt mit ihrer Corona-Zeit anfangen – wahrscheinlich weil die Zeitungsjournos unterstellen, die befragten geistig Schiffbrüchigen turnten ansonsten täglich in Fernsehshows herum oder seien Hauptgäste bei einer Charity-Gala.

Meistens kommen dann so quietschgeile Auskünfte wie „Endlich habe ich mal Zeit, meinen Kühlschrank auszuräumen, mit dem Hund Gassi zu gehen, mit Freunden zu telefonieren und mich von meinem Partner zu trennen.“ Wirklich schlimm sind aber die Geistesgrößen, die auch noch meinen, die Menschen mit ihren sprachlichen  Bauklötzchen aus der Apoptheken-Rundschau und Weisheiten aus Frühstücks-Fernseh-programmen betören zu wollen, so etwas wie „Endlich habe ich einmal Zeit, mein inneres Selbst zu optimieren“ oder „Ich genieße es, dass ich diese Zeit nutzen kann, um meine work-life-balance neu zu justieren“ oder „Jetzt telefoniere ich mit den Menschen, die mir zeigen, dass ich ihnen wichtig bin.“



Das ist natürlich alles ganz wichtig zu wissen, gleichwohl aber kilometerweit von den Alltagsproblemen normaler Menschen entfernt.

Etwa kilometerweit von den Problemen derjenigen  alten Menschen, die stundenlang telefonisch versuchen, einen Impftermin zu bekommen. Und wenn sie dann endlich die Terminvergabedienstleister erreicht haben, den Hinweis bekommen, es am Folgetag zu versuchen. Aber wer telefoniert schon nicht  gerne! Mit Menschen, die einem wichtig sind.

Oder kilometerweit entfernt von den Menschen, die in größeren Landkreisen leben und schon auch mal eine Strecke von um die 60 Kilometer bis zu „ihrem“ Impfzentrum bewältigen müssen, was bei den gegenwärtigen Straßen- und Witterungsverhältnissen am besten mit einem Schlitten erfolgt: warum nach 50 Jahre Ehe nicht mal wieder mit der Angetrauten Schlitten fahren? Das kann eine so langjährige Beziehung doch nur auffrischen!

Gute life-work-balance bekommt man in Gelsenkirchen in diesen Zeiten allerdings kaum hin. Jedenfalls dann nicht, wenn man seinen Führerschein gemacht oder wieder erworben, aber noch nicht erhalten hat und zwischen drei bis fünf Monaten auf einen Termin warten muss, weil, wie Stadtsprecher Martin Schulmann ausführte,  die „Personallage in der Fahrerlaubnisbehörde aktuell stark eingeschränkt“ sei und „zudem einige Kolleginnen und Kollegen in der Pandemie-Lage nicht im Kundenkontakt arbeiten.“ Vielleicht könnte man ja aushilfsweise bis Ende Februar Friseurinnen und Friseure an den Ausgabestellen für Führerscheine (nehme ich zurück, der Begriff ist kontaminiert), gemeint sind Fahrerlaubnispapiere ,  beschäftigen. Die Haarkünstler haben ja bis zum 1. März frei und könnten, so ganz nebenbei, danach den Fahrerlaubnisabholenden (m/w/d) auch noch einen flotten Schnitt zum Dokument verpassen. Dann würde sich in der Pandemie-Lage auch die Personallage in Richtung  Balance einpendeln.

Ganz groß in Hinsicht auf work-life-balance ist aber Minister Kretschmer (nicht verwechseln mit Kretschmann). Er mutierte soeben zum Gedanken-Mutanten, der Gedanken nicht nur hat, sondern auch noch ausspricht.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (45, CDU) hat sich anscheinend gedacht, wenn schon nicht wirklich gearbeitet wird, dann besteht eine life-work-balance darin, dass wir als Kompensation für das Nicht-Arbeiten eben auch ein Nicht-in-Osterurlaub –Fahren aussprechen? Und das kann ich ja einfach mal als Aushilfs-Absolutisten-König im Stile des Sonnenkönigs Ludwig XIV. verkünden: „Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben. Zu große Mobilität etwa durch Reiseverkehr und Tourismus bereits im April ist Gift.“ Gesunkene Inzidenzen- wurscht? Freie Intensivbetten – wurscht? Weltweit sinkende Zahlen laut WHO – wurscht? Zahlreiche Landkreise schon auf die 35 zu und etliche bereits darunter – wurscht? Trotz der (angeblich) so gefährlichen Mutanten ein Absinken aller Infektionswerte – wurscht? Kretschmer muss irgendwie Gefallen daran finden, Menschen – zumindest gedanklich – einzusperren. Er gleicht dem Busfahrer, dessen Macht, so Manfred Poisel, darin besteht, seine Fahrgäste durch Nicht-Öffnen der Türen kurzzeitig in Haft zu nehmen.

Vielleicht geht Kretschmer mit diesem einen Satz in das Große Buch der deutschen Geschichte ein und noch in Jahrhunderten werden sich Jungen und Mädchen über ihre Geschichtsbücher oder Geschichts-Apps beugen und sich staunend die Augen reiben und sagen:

„Frau Lehrerin, hier steht, dass dieser komische Mann mal Teilnehmer in einem Dschungelcamp gewesen ist. War das so etwas wie eine Irrenanstalt?“

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Di.Niew.

Warum diese unglaubliche Aussage von Kretschmer nicht einen medialen Aufschrei zur Folge hatte… wer weiß das schon!

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Di.Niew.

Das scheint bräsige Dummheit zu sein.

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