Es war unabweisbar: Langsam, aber sicher neigte sich die Waage zu unseren Gunsten, und das drückte sich auf den Parteitagen aus. Hier die Abfolge des letzten Aktes im erweiterten Telegrammstil.
Am 10.5.1973 forderte der Parteitag den alten UB-Vorstand unter Führung von Werner Nuth zum Rücktritt auf.
Wieder befolgte nur ein Teil des Vorstandes den Willen des Parteitags. Es verblieb ein „Rumpfvorstand“ von sieben oder acht Leuten, unter ihnen – wie sollte es anders sein? – Löbbert, Nuth und Urban. Neuwahlen waren dennoch unumgänglich geworden, sodass der entsprechende Termin auf den 4.8.1973 festgelegt wurde. Im Juli 1973 veröffentlichten die Jusos in einer Auflage von 500 Stück ein von mir geschriebenes Sonderinfo mit dem Titel „Für einen neuen Anfang“. In dem Papier wurde noch einmal die Kritik an den innerparteilichen Zuständen pointiert zusammengefasst.
Die Kritik gipfelte in dem auf den alten UB-Vorstand gemünzten Satz: „Politisch ideenlos, ohne Impulsgebung für Partei und Öffentlichkeit, faul und träge schleppt er sich bis zur Neuwahl, um dann das alte Spielchen fortzusetzen.“ Der letzte Teil des Infos stellte unsere Gegenvorschläge vor und endete mit dem Appell, die Chance für einen Neuanfang zu nutzen. Unterschrieben wurde die Kampfschrift von Kurt Woiwod, Alfred („Aki“) Broekmann, Gerd Dannapfel, Paolo Lavista, Willi Maszun, Jörg Reimann, Joachim Poß und mir. Auf dem Parteitag vom 4.8.1973 wurde unserem Appell leider nur teilweise gefolgt. Zwar konnte Heinz Meya den UB-Vorsitz erobern, aber in der Gesamtzusammensetzung des Vorstands gab es immer noch (unter Aufbietung der letzten Reserven mit z. T. politisch unmöglichen Personen) eine Mehrheit der Altvorderen. Das war nicht nur für Heinz Meya eine schwierige Situation, die er aber in der Folgezeit zu meistern verstand.
Randnotiz: Zu den „politisch unmöglichen Personen“, wie ich sie genannt habe, gehörte ein gewisser Gustav Herzmanatus aus dem Bergbaubereich. Er tanzte noch nicht einmal einen Sommer. Jahre später tauchte sein Sohn Klaus in der SPD auf, um sich und seine Angetraute sofort für Funktionen und Mandate zu empfehlen. Da beide nicht auf Gegenliebe stießen, war es schnell zu Ende mit der sozialdemokratischen Überzeugung. Klaus Herzmanatus „konvertierte“ problemlos und ist heute CDU-Stadtverordneter. Manchmal ist man sogar für Austritte dankbar.
Zurück zum „Übergangsvorstand“. Dieser letzte Erfolg von Löbbert und seinen Mannen erwies sich rasch als Phyrrussieg, war die „durchmischte“ Wahl des Vorstandes doch nur ein finales Aufbäumen vor dem endgültigen Untergang. Inzwischen hatten sich die neuen Koalitionen gebildet (siehe letztes Kapitel), die schlussendlich den dann folgenden Vorstand so besetzten, dass die einst so mächtige Löbbert-Gruppe nur noch Geschichte war. Im Januar 1975 fand die Wahlkreiskonferenz (WKK) zur Aufstellung der SPD-Kandidaten/innen für die Kommunalwahl im Mai 1975 statt. Hier wurde nun für alle Augen sichtbar, wie tiefgreifend sich die Mehrheitsstrukturen in der GE-SPD verändert hatten.
► Der amtierende Oberbürgermeister Josef Löbbert wie auch der amtierende SPD-Ratsfraktionsvorsitzende Willibald Heinrichs wurden nicht mehr aufgestellt.
► Die halbe Ratsfraktion wurde durch neue Leute ausgewechselt.
► Einmalig war der Vorgang, dass drei Jusos (und zwei andere Kandidaten) durch Wahl der Konferenz die von den jeweiligen Ortsvereinen vorgeschlagenen Kandidaten ersetzten.
Hintergrund: Obwohl die WKK rechtlich die alleinige und verbindliche Entscheidung über die Kandidaten fällt, ist es in der SPD ein ungeschriebenes Gesetz, dass die von den Ortsvereinen Nominierten auch gewählt werden. Das war so, und das ist noch immer so. Insofern war diese WKK die bislang erste und einzige Ausnahme, die dieser informellen Vereinbarung nicht folgte.
Erklärbar wird dies nur durch den damaligen Einfluss des Lili-Kreises und dem politischen Gewicht der Jusos. So kam es, dass Lutz Dworzak, Hans Frey und Jörg Reimann nach dem Willen der Gesamtpartei für den Rat der Stadt kandidierten. Sie wurden nominiert, obwohl sie von ihren OVs ursprünglich nicht gewollt waren (d. h. von den Resten der Löbbert-Truppe, die in diesen OVs noch Mehrheiten hatten). Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch dieses Problem auflöste.
Insgesamt kandidierten sechs Jusos (dazu kamen Poß, Rauer und Ingo Westen), wodurch zugleich ein Verjüngungsschub bei der neuen Ratsfraktion „in spe“ stattgefunden hatte, den es, soweit ich das überblicke, in der gesamten Geschichte der Gelsenkirchener SPD noch nie gegeben hatte und auch nachher nicht mehr geben sollte.