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Georg Trakl (1887-1914) – ein melancholischer Blick in die Vergangenheit 

 

Die schöne Stadt

Alte Plätze sonnig schweigen. Tief in Blau und Gold versponnen Traumhaft hasten sanfte Nonnen Unter schwüler Buchen Schweigen. Aus den braun erhellten Kirchen Schaun des Todes reine Bilder, Großer Fürsten schöne Schilder. Kronen schimmern in den Kirchen. Rösser tauchen aus dem Brunnen. Blütenkrallen drohn aus Bäumen. Knaben spielen wirr von Träumen Abends leise dort am Brunnen. Mädchen stehen an den Toren, Schauen scheu ins farbige Leben. Ihre feuchten Lippen beben Und sie warten an den Toren. Zitternd flattern Glockenklänge, Marschtakt hallt und Wacherufen. Fremde lauschen auf den Stufen. Hoch im Blau sind Orgelklänge. Helle Instrumente singen. Durch der Gärten Blätterrahmen Schwirrt das Lachen schöner Damen. Leise junge Mütter singen. 25 Heimlich haucht an blumigen Fenstern Duft von Weihrauch, Teer und Flieder. Silbern flimmern müde Lider Durch die Blumen an den Fenstern.

Der in Trakls Gedicht vermittelte Eindruck einer Stadt ist durch idyllische Bilder geprägt, in ein verklärtes Licht und durch Töne in wohlige Klänge getaucht. Das Gedicht besteht aus sieben vierzeiligen Strophen mit umarmendem Reim und durchgängig vierhebigem Trochäus. Eine Besonderheit besteht darin, dass in den Strophen die Reimworte der ersten Zeile in der letzten Zeile wiederholt werden. Dadurch entsteht der Eindruck von sieben Stationen, von sieben Einzelbildern, die in ihrer Gesamtheit das Stadtbild aufbauen. Diese Stationen sind alte Plätze (1), Kirchen bzw. Kirchenstufen (2 und 5), Brunnen (3), Tore (4), Gärten (6) und Häuser (7). Akustisch wird zudem, über einen Marschtakt und Wacherufen, in der fünften Strophe die Anwesenheit von Militär vermittelt, in der Stadt scheint sich also ein Garnisonsstandort zu befinden.

Die erste Strophe vermittelt ein optisches und akustisches Bild von alten Plätzen. Hier herrscht Stille vor. Die Plätze sind in die Farbtöne GOLD und BLAU versponnen, was den Eindruck erweckt, das Leben auf ihnen habe sich seit vielen Jahren nicht geändert. Eine wärmende Sonne bescheint diese Plätze, auf denen Bäume stehen (Buchen). Gleichzeitig wird das Motiv des Träumens eingeführt (Traumhaft hasten sanfte …), das in der dritten Strophe noch einmal aufgenommen wird. Schon hier wird deutlich, dass es nicht um ein reines Abbild einer Stadt geht, nämlich um Salzburg, die Geburtsstadt Georg Trakls, sondern eher um ein in einem Klang- und Lichtkosmos aufgefangenes Stimmungsbild.

Die zweite Strophe gewährt einen Einblick in das Innere von Kirchen, die braun erhellt sind. Dass dem dunklen Farbton BRAUN (der die farbliche Kennzeichnung des Kirchengestühls sein könnte) ein starker Helligkeitswert zugesprochen wird (erhellt), steht im Zusammenhang damit, dass in der zweiten Strophe dem Tod jegliches Bedrohliche genommen ist (des Todes reine Bilder). Die Harmonie der Stimmung wird durch das Schimmern von Kronen und die schönen Schilder unterstützt. Die schöne Stadt ist auch eine Stadt vergangener Zeiten, an die die Große(n) Fürsten erinnern, die in den Kirchen bestattet sind. Das Motiv des Stillstands wird aufgebaut, wobei Stillstand hier als positiv gemeinter Kontrast zur Hektik und Dynamik der Metropolen zu verstehen ist.

Der erste Satz der dritten Strophe handelt von Rösser(n), die aus einem Brunnen (auf-) tauchen.1 Die Verse drei und vier führen das Traummotiv fort: Am Brunnen spielen Knaben wirr von Träumen. Akustische Elemente werden insofern aufgegriffen, als die Knaben leise spielen (auch dadurch entsteht ein Bezug zur ersten Strophe).

In der vierten Strophe werden Mädchen an Toren erwähnt, die ins farbige Leben schauen (also in das Spiel von Licht und Schatten, in die farbig-bunte Welt der Stadt) und warten. Einerseits schauen die wartenden Mädchen scheu, andererseits wird betont, dass ihre feuchten Lippen beben. In Verbindung mit der Torsymbolik (Eintritt in eine verborgene Welt) entstehen hier deutlich sexuell konnotierte Bezüge (wahrscheinlich eine Anspielung auf Trakls Bordellbesuche).

In der fünften Strophe geraten Kirchentreppen ins Blickfeld, auf denen Fremde einer Mischung aus verschiedenen Klängen lauschen: Glocken- und Orgelklänge vermischen sich mit einem Marschtakt und Wacherufen. Die Fremden hören intensiv den Klängen zu (lauschen).

Wie die fünfte Strophe entwickelt auch die sechste ein Klangbild, wobei die Klangfarbe wechselt. Statt der dunklen Töne in der 5. Strophe bestimmen nun helle Töne, getragen durch das e, das i und das ei, die Klangfarbe. Dieser neue Klang wird schon im ersten Vers veranschaulicht: Helle Instrumente singen. Und auch die letzte Verszeile, die das Verb singen wieder aufgreift, unterstreicht diesen Klangeindruck. Das Lachen schöner Damen (dritter Vers) schwirrt durch Gärten – auch hier eine leichte Form der (Klang-)Bewegung mit aufgehelltem Ton.

Die siebte Strophe verbindet visuelle, akustische und olfaktorische Eindrücke. Wie sich in der fünften Strophe Klangquellen zu einem Ton vermischen, so vermischen sich nun verschiedene Duftquellen (Weihrauch, Teer und Flieder) zu einem Duft, der belebt wird und durch die Alliteration (heimlich haucht) als zart (hauchen) gekennzeichnet ist. Die drei genannten Duftquellen, die für sich jeweils einen intensiven, teils gegensätzlichen Duft hervorrufen, amalgamieren hier zu einer als angenehm empfundenen Duftkomposition (es ergibt sich eine Parallele zu den verschmelzenden Tönen/Klängen in den Strophen vier und fünf).

Durch die von Blumen umrankten Fenster blicken Lider, die als Pars pro toto für Menschen stehen. Die Blicke der Menschen sind durch einen gewissen Grad von Uneindeutigkeit gekennzeichnet, denn das Attribut müde steht klanglich und inhaltlich im Gegensatz zum Verb flimmern, das zudem durch das Farbadjektiv silbern (Adverb zu flimmern) lautlich und inhaltlich veredelt wird. Bei einem ersten Blick auf das Gedicht könnte der Eindruck entstehen, hier ginge es um das Abbild einer Stadt mit ihren Plätzen, Häusern, Kirchen, Gärten und Brunnen, durch das uns ein Einheimischer – die Menschen auf den Kirchenstufen werden als Fremde bezeichnet – führt, um uns zu touristischen Attraktionen zu geleiten. Die Tiefenstruktur des Gedichtes offenbart aber etwas anderes: Es geht um Sinneseindrücke, die die einzelnen Strophen kunstvoll miteinander verschränken und ein Gesamtbild aus Klängen, Farben und Bewegungen aufbauen.

Es geht in diesem Gedicht also nicht darum, etwas zu zeigen, sondern etwas sinnlich wahrzunehmen, wobei diese Wahrnehmung durch Leichtigkeit (zittern, flattern, hallen, schwirren, hauchen) und Helligkeit (sonnig, erhellen, helle Instrumente, silbern flimmern) geprägt ist und mehrfach an die Grenze zum Träumerischen kommt oder diese überschreitet (Strophen 1, 3, auch 7 – silbern flimmern müde Lider). Diese Sinnlichkeit, durchzogen auch von einem teilweise rückwärtsgewandten Blick in eine längst vergangene Epoche (die Fürstengräber, die Kronen), wird auf der Ebene der Klanggestaltung des Gedichtes selbst fühlbar gemacht und wird durch einige „Einsprengsel“ (die drohenden Blütenkrallen, die wirren Träume der Knaben, das Hasten der Nonnen) andeutungsweise als gefährdet oder brüchig markiert. Trakl zeigt hier nicht den Moloch Großstadt, sondern ein ‚unzeitgemäßes Gegenbild‘.

Diese schöne Stadt wird nicht vom Rhythmus der Maschinen bestimmt, sondern sie folgt noch einer ganz eigenen Melodie. Kein Arbeiter taucht bei den genannten Menschengruppen auf, kein Fahrzeug bewegt sich durch diese Stadt, kein Kino, kein Café, keine Leuchtreklame, keine Mietskasernen und keine Lautstärke scheint es hier zu geben. Die Metropolen Berlin und Wien mit ihren Millionenmassen werden in diesem Gegenbild hinterfragt, einem Gegenbild, das aus Klang, Farbe, Licht und Traum besteht.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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