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Lieber Som Jo tien,

zunächst einmal mein Dank für den Beitrag, der alle an der Zukunft der Stadt Gelsenkirchen Interessierten auf die vielleicht wegweisende oder weichenstellende Veranstaltung im Rathaus am kommenden Donnerstag hinweist. Ob es sich um dabei eine Form von angekündigtem kalten Staatstreich auf kommunaler Ebene handelt, weil hier rechtmäßig Gewählte mit ihrer Mehrheit ebenfalls rechtmäßig Gewählte in ihren Rechten beschränken, mag an anderer Stelle debattiert werden. Jedenfalls ist überdeutlich, dass oppositionelle Ansichten auf dem Weg über die Veränderung der Geschäftsordnung des Rates (Bestimmung der Redezeiten) nicht nur minimiert, sondern – in der Praxis – teilweise ausgehebelt werden, weil in den zugeteilten Redezeitkontingenten eine sachgerechte Stellungnahme überhaupt nicht mehr erfolgen kann. Soweit in Kürze dazu!

Mir geht es hier um den Charakter der Veranstaltung, den Sie mit ganz unterschiedlichen Begriffen aus der Sprache der Literatur-und Theaterwissenschaft belegen, wodurch eine Orientierung vielleicht erschwert werden kann. Sie verwenden die Begriffe „Episches Theater“, „Polit-Theater“, „Drama wagnerscher Dimension“, „Schauspiel“ sowie Theaterbegriffe wie Generalprobe, Requisiten, dramatischer Verlauf.

Um mich nicht zu verzetteln und gar das Lesepublikum zu langweilen, beschränke ich mich auf zwei Begriffe, nämlich episches Theater und Theater „wagnersche Dimension“.

Wagner entwarf Umrisse seiner Vorstellungen von der Kunst u. a. in der Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft“. Wagner ging es um ein Zusammenspiel der Künste als „Gesamtkunstwerk“, in dem Musik, Theater, Architektur, Malerei und Bildhauerei sich zu einem Gesamtkunstwerk fügten, wobei, das muss nicht lange erläutert werden, in den Opern Wagners die Musik die dominante Gattung war, obwohl Wagner die Verselbständigung der Musik gegenüber dem Text (Libretto) aufheben wollte. Sein Vorbild war die Einheit der Kunst wie in der Antike, sein Ziel war das „Reinmenschliche“***

Ganz im Gegensatz dazu steht das „epische Theater“ Brechts, das er später bevorzugt auch „dialektisches Theater“ nannte. Zwar verbindet auch Brecht in seinem Konzept unterschiedliche Gattungen (Drama, Epik- und Lyrik) mit dem Bühnenbau und der Musik, aber nicht im Sinne eines „Gesamtkunstwerks“, sondern um „Gegensätze“ zu gestalten, Einfühlung zu vermeiden und den Zuschauer „wach“ zu halten und aus ihm nicht nur einen Betrachtenden, sondern einen „Denkenden“ und „Verändernden“ zu machen. Dazu gehören z.B. Elemente wie das „Aus-der-Rolle-Treten“ einer Figur, die sich an das Publikum wendet oder das eigene Handeln (den Dialog) durch ein Lied kommentiert, das dieses Handeln kritisch hinterfragt. Die Gegensätzlichkeit der Elemente ist ein Verweis auf die Gegensätze in der Gesellschaft, auf ihre Widersprüche, ihre Antagonismen (politisch z.B.  Bourgeoisie und Proletariat, Kapitalismus-Kommunismus).

Es sollte deutlich geworden sein, dass beide Theaterformen als beschreibende Begriffe für das angekündigte Spiel am Donnerstag überdimensioniert sind, denn der Inhalt des Gebotenen ist für diese beiden Formen zu dürftig, auch wenn man sagen könnte, dass ein dialektisches Element im Sinne Brechts darin besteht, dass sich hier Laiendarsteller zu einer politischen Größe aufpumpen, als sei ihr Wirken auf die Rettung der Menschheit ausgerichtet.

Wenn wir dem Inhalt der Veranstaltung mit Begriffen des Theaters gerecht werden wollen, dann bewegen wir uns im Feld von Theaterformen wie Possenspiel, Hanswurstiade, Commedia dell´arte, Farce, Kasperletheater und ähnlicher Genres. Aber selbst diese Bezeichnungen scheinen mir noch zu hochgegriffen. Am ehesten passt – aus meiner Sicht – der Begriff „Schmierenkomödie“. Wenn wir ins „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“ blicken, finden wir die Erklärung „niveauloses Stück, dessen Komik auf billigen, abgeschmackten Einfällen beruht“. Und zu den Darstellern kann man lesen, dass diese versuchen, mit „theatralischem Gebaren“ auf eben diese abgeschmackte Weise auf „jemanden zu wirken“.

Das gilt in erster Linie für das Ensemble „Die fantastischen Vier“, die sich selbst als die „Konsensparteien“ sehen, also als eine Art schauspielernde Nachfolgeorganisation der Blockparteien in der ehemaligen DDR. **** Da die Mehrheiten im Rat festgezurrt sind und man sich – bitte, bitte! – nicht der Illusion hingeben sollte, noch so gute Argumente könnte eine Rücknahme der Vorlage bewirken, sollte man, als Zuschauer oder unmittelbar Beteiligte, diese Veranstaltung als das nehmen, was sie ist: ein niveauloses Stück! Aber immerhin: Der Eintritt ist frei!

Und man kann ja auch George Bernhard Shaws Aussage über das Theater auf das Ratsschauspiel übertragen:

Auch Schlafen ist eine Form der Kritik, vor allem im Theater.“

***Kritische Aspekte, etwa den Antisemitismus Wagners, behandele ich in diesem Kontext ebenso nicht wie marxistische/kommunistische Versatzstücke in der Anschauung Brechts.

**** Vielleicht sollten sich die GRÜNEN an ihre erste Periode im Rat der Stadt Gelsenkirchen erinnern – noch in der Amtszeit von OB Werner Kuhlmann und der Beton-SPD mit absoluter Mehrheit, als man damals versuchte, die GRÜNEN in ihren Rechten zu beschneiden, ihre Anträge abgebügelt wurden  und sie sich Beschimpfungen und Häme ausgesetzt sahen.

 

Ratssitzung und zugleich Episches Theater im Ratssaal am Donnerstag, 21. März 2024, 15 Uhr, im HSH.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ro.Bien.

Schade. Zuviel der Worte auf zuviele Worte.

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Ali-Emilia Podstawa

Machen wir es kurz: Mutter Courage wird weiter am Mikrofon zerren, mit ihren Söhnen Eilif, Schweizerkas sowie Tochter Kattrin im Ratssaal herumsitzen und ihren Geschäften nachgehen.

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