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„Frankfurt a.M. (epd). Aus Sicht der obersten Repräsentantin der deutschen Protestanten, Annette Kurschus, könnte Deutschland deutlich mehr geflüchtete Menschen aufnehmen. Die Aufnahme von Flüchtlingen finde aus christlicher Sicht „ihre Grenze da, wo es zur Selbstaufgabe kommt“, sagte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : “Ich meine, dass wir diese Grenze noch lange nicht erreicht haben.“*

Das ist ja ´mal ein grandioser Standpunkt. Bis an die Grenze zur Selbstaufgabe muss ein Staat also kommen, um Flüchtlinge nicht mehr aufnehmen zu müssen. Und von dieser Grenze sind wir, nach Auffassung von Frau Kurschus, noch weit entfernt. Woraus sie dieses Wissen und diese Erkenntnis schöpft, außer aus der „christlichen Sicht“, die sie für sich beansprucht, wird nicht klar. Und das sagt die Ratsvorsitzende einer Institution, der, gleich der katholischen Kirche, die Kundschaft in Scharen davon läuft, so dass Gotteshäuser geschlossen werden müssen und profaniert werden – auch in Gelsenkirchen.**  Nun weiß ich nicht, ob der Heilige Geist oder der Weingeist Frau Kurschuss das Hirn so vernebelt hat, dass sie nicht mitbekommen hat, dass es Städte, Kreise und Bundesländer gibt, die schon längst an der ökonomischen und sozialen Belastungsgrenze angekommen sind und diese sogar überschritten haben. Von den politischen Friktionen einmal ganz abgesehen.

Diese Erkenntnis scheint aber, außer bei der „obersten Repräsentantin der deutschen Protestanten“, nahezu überall in der Gesellschaft angekommen zu sein – und -oh Wunder! – sogar bei führenden Köpfen der GRÜNEN. Und die haben bekanntlich jahrelang jeden, der auf das wachsende Problem der unkontrollierten Zuwanderung aufmerksam gemacht hat, ganz schnell in die dunkelbraune Ecke gestellt und als Nazi verunglimpft. Von einem Problembewusstsein ist selbst im aktuellen Entwurf des Bundesvorstandes der GRÜNEN zur Europawahl 2024 noch nichts zu lesen. Da werden nicht die Probleme der Gemeinden und Kreise beschrieben, sondern dramatisierend die Grenzschutzbemühungen an den europäischen Außengrenzen als unethisch  dämonisiert, wenn es heißt: „Die Glaubwürdigkeit der europäischen Werte und damit auch der Einfluss europäischer Politik nach außen setzt indes die Achtung von Recht und Werten im eigenen Handeln voraus. Mit dieser Erkenntnis ist es schwer vereinbar, dass das europäische Versprechen von Humanität und Rechtsstaatlichkeit für Tausende jährlich an Stacheldraht und Patrouillenbooten zerschellt. Dem Versuch, Geflüchtete rechtswidrig zurückzudrängen, stellen wir uns entschieden entgegen. Menschen, die bei uns in Europa ankommen, müssen zuverlässig registriert, erstversorgt und menschenwürdig untergebracht werden.“ ***

Sieht man einmal von den Satzbausteinen aus der Grabbelkiste landläufiger Floskeln ab (europäische Werte, europäisches Versprechen, Glaubwürdigkeit) und den Elementen aus Drehbüchern für miese Thriller (Patrouillenboote, Stacheldraht) und billige Sozial-Kitsch-Dramen (zerschellende Humanität), ist diese Passage bar jeglicher Kenntnis der tatsächlichen Lage vor Ort und klingt fast so, als hätte Frau Kurschus an diesem Abschnitt des Entwurfs mitgeschrieben, denn schließlich, so heißt es im Entwurf des Programms, muss ja jeder, der „bei uns in Europa ankommt“ auch „zuverlässig registriert, erstversorgt und menschenwürdig untergebracht werden.“ Illegale Migration gibt es in diesem Gedankengebäude ebenso wenig wie das Recht jedes Staates zu bestimmen, wer sich in seinen Grenzen bewegen kann und wer nicht. Und es wird völlig verkannt, dass ein Teil des Problems darin besteht, dass Migranten, die im Schengenraum angekommen sind und nicht mehr bedroht und verfolgt werden oder einer Bürgerkriegssituation ausgesetzt sind, trotzdem aber, die Regeln missachtend, weiterreisen nach Deutschland, um erst hier Asyl zu verlangen.

Während das Europawahlprogramm des Bundesvorstandes also noch auf Kurschus-Linie ist, haben sich nun Winfried Kretschmann und Ricarda Lang (Sprecherin des Bundesvorstandes!) etwas anders positioniert: „Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang drängen auf eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ sprechen sie sich für einen „neuen demokratischen Grundkonsens“ in der Migrationspolitik aus. „Wenn die Kapazitäten – wie jetzt – an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen sinken.“ (…) Asylverfahren müssten schneller werden und es müsse klarere Konsequenzen für diejenigen geben, die nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen.“****

Diese Positionierung von Kretschmann und Lang erfolgt sicherlich hinsichtlich der von Kanzler Scholz einberufenen „Asyl-Konferenz“. Den GRÜNEN droht die Gefahr, als handlungs-und regierungsunfähig in die Ringecke zu geraten, wenn Beschlüsse auf Bundes- und Länderebene erfolgen sollten, die über ihren Kopf hinweg gefasst werden. Zudem haben mit Sicherheit die letzten Wahlergebnisse in Bayern und Hessen sowie die anhaltend schlechten Umfragewerte, die die Grünen auf die Verliererstraße gebracht haben, dazu beigetragen, diesen für GRÜNE bisher nahezu undenkbaren, auf jeden Fall nicht aussprechbaren Vorstoß zu machen. Dass dieser Vorstoß auf blankes Entsetzen und Ablehnung innerhalb der grünen Reihen stößt, auch wenn es einige positive Reaktionen gibt, war zu erwarten.  Svenja Borgschulte, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht, wird im „Tagesspiegel“ mit der Aussage zitiert: „Diese Debatte ist unehrlich, von rechts getrieben und es ist nur noch frustrierend, grünes Mitglied zu sein“.

Sieht man einmal von dem bekannten Muster ab, bei dem ein Berücksichtigen der Realität natürlich „von rechts getrieben“ ist, lässt sich fragen, was Borgschulte meint, wenn sie von einer „unehrlichen Debatte“ spricht. Wo stehen die GRÜNEN also wirklich? Auf dem Boden des vom Bundesvorstand entworfenen Programms zur Europawahl, mit all den bekannten luftigen Formulierung im Kurschus-Denke-Stil, oder auf der Seite des (vielleicht nur taktisch geleiteten) pragmatisch orientierten Ansatzes von Kretschmann und Lang? Ist der vor der Konferenz beim Bundeskanzler platzierte Beitrag des Duos also lediglich Theaterdonner oder schon Vorzeichen einer Palastrevolution oder doch nur eine Schmierenkomödie? Das kann man mit Sicherheit noch nicht sagen.

Aber eines ist mit Sicherheit zu sagen : Es wird vielen Mitgliedern der GRÜNEN so gehen wie Frau Borgschulte, wenn sie meint:

„Es ist nur noch frustrierend, grünes Mitglied zu sein!“

* https://www.ekd.de/kurschus-deutschland-koennte-mehr-menschen-aufnehmen-81266.htm

**siehe etwa hier: https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchen-drei-stadtteile-bald-ohne-evangelische-kirche-id234034371.html

*** https://cms.gruene.de/uploads/documents/230914-EWP24-Was-uns-schützt_digital.pdf

****https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ricarda-lang-und-winfried-kretschmann-reduzierung-der-fluechtlingszahlen-19283532.html

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Pet.Teut.

Frau Kurschus steht – wie beim Thema „gewaltfreie Waffen liefern“ – erneut eher für den gesellschaftspolitischen „Kurzschluss“.

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