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„Hier gackert, kollert und kreischt das Huhn in hysterischer Aufregung. Es klingt, als würde der Vogel gleich in einer Wolke aus Federn explodieren. Das ist der wichtigste Alarmruf des Huhns, der Angst ausdrückt und den anderen Vögeln gleichzeitig mitteilt, dass sie sich schnellstens davon machen sollen. Die Ursachen können zum Beispiel Fahrzeuge oder Hunde sein, Menschen, die versuchen, das Huhn aufzuheben, oder natürlich Fressfeinde.“ ***

Nicht dass ich hier Politdarsteller und ihre weiblichen Gegenstücke mit Hühnern gleichsetzen will. Solcher Art Tiervergleiche sind nicht nur unstatthaft, sondern in diesem Fall auch unzutreffend, denn Hühner legen immerhin Eier oder können auch als Suppenhuhn oder Brathähnchen durchaus von Nutzen sein. Letzteres sind Politiker bestenfalls für Kannibalen! *****Aber die sich überschlagenden Reaktionen auf die neusten Wahltrends haben mir doch in Erinnerung gerufen, was passiert, wenn der Fuchs auf den Hühnerhof kommt (siehe oben).

Die INSA-Umfrage der letzten Tage (Zeitraum 17.7.23 -21.7.23) hat folgende Ergebnisse gebracht (in Klammern das Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl):

CDU/CSU      26,0% (24,1)

AfD                 20,6% (10,3)

SPD                17,8% (25,7)

GRÜNE          14,5% (14,8)

FDP                   6,9% (11,5)

LINKE           4,6%     (4,9)

Die CDU/CSU konnte sich, gemessen an den Ergebnissen der Bundestagswahl, geringfügig verbessern, wogegen SPD und FDP deutlich an Stimmen verloren haben und GRÜNE und LINKE auf dem Niveau des Wahlergebnisses stehen. Dagegen hat die AfD ihre Zustimmung verdoppelt und zugleich den bisher höchsten für sie jemals gemessenen Wert erzielt. Die drei Ampel-Parteien kratzen gemeinsam gerade mal an der 40%-Marke, hätten also, wäre das Umfrageergebnis das tatsächliche Wahlergebnis, keine Mehrheit mehr.

Der eigentliche Triumph der AfD leuchtet aber hinter den Zahlen auf, die noch lange nicht Auskunft geben über das tatsächliche Wahlergebnis einer zukünftigen Bundestagswahl. Der eigentliche Triumph besteht nämlich in der Panik-Reaktion auf dieses Ergebnis, die – um im Bild zu bleiben – etwa der Reaktion auf dem Hühnerhof gleicht, wenn der Fressfeind kommt. Es ist eine große Koalition der Hysteriker, die sich gegenseitig die Schuld für den „Aufstieg“ der AfD geben – nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch innerhalb der einzelnen Parteien, wie etwa aktuell in der CDU/CSU, wo eine letztlich banale Aussage von Friedrich Merz im ZDF-Interview zum Verhalten gegenüber der AfD auf kommunaler Ebene zum Anlass parteiinterner Kritik, Abgrenzungen und von Grabenkämpfen geworden ist. Derweil kann sich die AfD gemächlich zurücklehnen und einfach nur bis zur nächsten Umfrage abwarten.

Dabei hat der Aufstieg der AfD nicht gestern erst gestern begonnen und er ist auch nicht nur einer Partei und einem Politikfeld zuzuschreiben, sondern einer Gemengelage geschuldet, die über einen längeren Zeitraum hinweg „gewachsen“ ist.

Zu einigen Faktoren

A.) Die Bindungskraft der alten Volksparteien (CDU/CSU und SPD) ist verloren gegangen. Einerseits dadurch, dass die Gesellschaft weitaus mehr aufgefächert (differenziert) ist als in den Gründungsjahren der Bundesrepublik und den Folgejahrzehnten. Diesen Verlust der Bindungskraft sieht man ebenso in den Gewerkschaften, den Kirchen und sozialen Verbänden und anderen Organisationen (Kirchengemeinden, Pfadfinder und andere Jugendverbände). Andererseits spielt neben der gesellschaftlichen Aufsplitterung auch eine Rolle, dass die großen Parteien inhaltlich kaum noch unterschiedlich wahrgenommen werden – und dies wiederum auf zwei Ebenen. Politisch-inhaltlich sieht man sich nahezu einer Einheitssoße gegenüber, die von einigen Grundpositionen mit einer hohen Schnittmenge bestimmt wird (etwa zum Thema Klimaschutz), und politisch-taktisch sind Koalitionen zwischen CDU und SPD nicht die Ausnahme, sondern schon fast die Regel, jedenfalls offensichtlich jederzeit möglich. Die Differenzen scheinen so gering zu sein, dass es eigentlich völlig egal ist, welche der beiden Parteien letztlich „meine“ Stimme bekommt. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass nicht nur die inhaltlichen (politisch-programmatischen) Grenzen verschwommen sind, sondern dass keine der großen Parteien überzeugendes Personal aufzubieten hat, sondern überwiegend  „Konfektionsware“. Weder von Merz noch von Scholz kann man eine mitreißende Rede erwarten, sondern doch eher graues Einerlei. Wer schon einmal ein Rededuell wischen Strauß und Wehner erlebt hat, weiß, was ich meine. Und wenn man sich fremdschämen möchte, muss man nur Scholz nur  neben Helmut Schmidt oder Willy Brandt stellen.

B.) Als ein weiterer Faktor ist zu nennen, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung den Eindruck gewinnen muss, dass eine kleine Blase von Politikern, die alle „grün lackiert“ sind und vom „wirklichen Leben“ der Menschen weit entfernt sind, einer Agenda folgt, die auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden soll, ohne Rücksicht auf die Alltagstauglichkeit dieser Agenda und das Leben der „kleinen Leute“. Unterstützt werden diese häufig im Gewande von Moralaposteln auftretenden Weltretter dabei, so sehen es viele Bürgerinnen und Bürger, von einem medialen Kartell, dessen Predigten aus den öffentlich-rechtlichen Kanälen ins Wohnzimmer gespült werden und von den Seiten der Tageszeitungen und Magazine auf die Morgenlektüre am Frühstückstisch überspringen und als Bevormundung wahrgenommen werden. Es sind, so glaube ich, überhaupt nicht (nur) die handwerklichen Fehler, die etwa im Kontext des „Heizungsgesetzes“ gemacht worden sind, die die Abkehr der Menschen von SPD, CDU, FDP und GRÜNEN und die Hinwendung zu AfD begünstigen, sondern der Ton der Besserwisserei und der moralischen Überlegenheit, gepaart mit einem Mangel an Selbstkritik und einem Überschuss an Arroganz, vorgetragen im Stil von absolutistischen Dekreten oder unumstößlichen Entscheidungen päpstlicher Reichweite. Dass die CDU/CSU von den Zustimmungsverlusten der Ampel-Parteien nicht wirklich profitieren kann, ist dem Umstand geschuldet, dass die CDU/CSU zwar nicht im Bund, aber doch in den Ländern regiert (mit wem auch immer) und als wirkliche Alternative nicht mehr wahrgenommen wird. Sie wird als Teil der „grünen“ Blase empfunden mit der einen oder anderen kleinen Abweichung, aber nicht mit grundsätzlicher Oppositionshaltung bzw. einem ehrlichen Kurswechsel.

C.) Die Bevölkerung sieht sich im Alltag mit zahlreichen seit Jahren nicht gelösten oder sogar anwachsenden Problemen konfrontiert. Zu nennen sind (Auswahl):

der Verfall der Infrastruktur (Straßen, Brücken, Bahn, öffentlicher Personennahverkehr), die immer nur noch schleppend vorankommende Digitalisierung im Privatbereich (Ausbau der Glasfasernetze) und die geringe Servicequalität der öffentlichen Verwaltung

die Defizite im Bildungsbereich (Ausstattung der Schulen, Mangel an Lehrkräften) und auf dem Wohnungsmarkt

die Überforderung bei der Integration von Zuwanderern (unabhängig vom Status oder Grund der Zuwanderung)

der Verlust staatlicher Autorität (Gewalt auf den Straßen, das Verkommen von Wohnvierteln durch Vermüllung, marode Gebäude) und der Mangel an Einhaltung von Regeln des Zusammenlebens

die Betonung der Interessen kleiner und kleinster Gruppen und das Gefühl, die Mehrheit werde mit ihren Interessen nicht berücksichtigt und „normale Lebensverhältnisse“ würden als „rückständig“ diskriminiert

wachsende Abgaben, steigende Preise (Energie, Wohnungsmarkt, Lebensmittel) und Zusammenbruch der sozialen Daseinsfürsorge (Krankenhaus, Pflege) auf der einen Seite und steigende Belastung für diese Bereiche (Sozialabgaben) auf der anderen Seite – bei einer wachsenden Zahl an Menschen, die in die Sozialsysteme „einwandern“ und diese ausnutzen

Bevormundung in vielen Bereichen des Alltags (Sprache, Lebensgewohnheiten)

die Diskreditierung als „Putin-Freund“, Nazi, Schwurbler, Populist, Rechtsextremer bei abweichenden Meinungen gegenüber dem Meinungs-Mehrheits-Kartell (Erfahrung aus der Zeit der Corona-Maßnahmen) und zugleich mangelnde Fähigkeit der Regierenden zur Selbstkritik (Corona)

Für diese Bereiche und ihre Defizite machen die Menschen nun das Kartell der „Einheitsparteien“ verantwortlich, weil sie die Erfahrung machen, dass diese Parteien, in welcher Konstellation oder Koalition auch immer, diese Probleme nicht lösen können (oder sie nicht sehen), sie aber durch ihr Handeln und Nicht-Handeln eher vergrößern.

Und jetzt?

Besonders die CDU/CSU ist aufgerufen, ihr Profil tatsächlich zu schärfen – nicht nur in Abgrenzung von der SPD, sondern besonders in der Abgrenzung von den GRÜNEN, die, zumindest im Bund, der Schwanz sind, der mit dem Hund wackelt. Die CDU/CSU müsste weitaus schärfer eine Abgrenzung vom Zeitgeistigen auf allen Ebenen vollziehen, um deutlich zu machen, dass sie tatsächlich – wie von Merz propagiert – eine Alternative ist. Sie dürfte auf den verschiedenen Politikfeldern nicht sofort einknicken und  Positionen räumen, wenn ihr der Wind des „Mainstreams“ und des WOKEN entgegenweht und die Sekte der Weltverbesserer und der Klimareligion einen „shitstorm“ inszeniert.Dies setzt auch voraus, dass sie wieder zu einer politischen Partei wird und sich nicht mit der Rolle eines Kanzlerinnenwahlvereins begnügt! Ob das (noch) machbar ist nach den Merkel-Jahren?

Und die anderen?

Die bisherige Haltung des „Parteienkartells“ gegenüber der AfD hat sich als nutzlos erwiesen. Vielmehr ist der Aufstieg der AfD genau durch diese Haltung begünstigt worden. Man hat, etwa im Bundestag, aber auch in der Stadtverordnetenversammlung in Gelsenkirchen, immer wieder den Weg beschritten, die AfD durch Verfahrenstricks oder Verfahrensänderungen von bestimmten Posten auszuschließen (Bundestagsvizepräsident, Ausschussvorsitze). Einer inhaltlichen Auseinandersetzung ist man zumeist aus dem Weg gegangen, weil man der Auffassung war, es genüge, die AfD als „rechtsextrem“ oder sogar „nazistisch“ zu „labeln“, um die Wähler von ihr wegzutreiben. Wie wir sehen können, funktioniert diese Strategie nicht: die AfD kann sich immer wieder in die Rolle des Märtyrers begeben, der von einer großen Koalition der anderen Parteien ausgegrenzt wird, weil sie die inhaltliche Auseinandersetzung scheut.Es reicht nicht, die AfD zu „labeln“! Der Begriff „nazistisch“wird in diesem Zusammenhang  mehr und mehr verschlissen, ist mittlerweile zu einer inhaltsleeren Hülle geworden, ein Begriff, der auf der anderen Seite aber durch seinen inflationären Gebrauch in Bezug auf die AfD die Zeit des NS-Regime eher verkleinert, seine Verbrechen verniedlicht.

Auf einer Wand habe ich vor ein paar Tagen den Schriftzug „FACK AFD“ gelesen (wirklich so geschrieben!) Ein geistiger Erguss, der niemanden von der Wahl der AfD abhalten wird! Mal abgesehen von der Beantwortung der Frage, wie man den Imperativ praktisch umsetzen soll !

 

https://blog.omlet.de/2020/08/21/huhnerlaute-und-was-sie-bedeuten/#:~:text=Hier%20gackert%2C%20kollert%20und%20kreischt,sich%20schnellstens%20davon%20machen%20sollen.

*****Wieso fressen Kannibalen so gerne Politiker? Sie haben viel Sitzfleisch und wenig Rückgrat.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Fra.Prez.

Kluge Analyse

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mar.lak.

bei Sawsan Chebli hab ich aufgehört zu lesen.

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ann.schwen.

Das gleiche Szenario wie vor ein paar Jahren mit den Linken. Niemals werden wir mit den Linken zusammenarbeiten. Und schwups. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Kann man doch nicht mehr ernst nehmen.

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Mi.Rob.

Sind nicht alle Parteien mit Mandaten von den Linken unterwandeer worden, so dass ihre Unterscheidbarkeit weggefallen ist?

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Ro.Bien.

Habt ihr das Interview mit Welge gelesen? Oha! Die Gute sieht mitgenommen aus – und macht sich direkt unbeliebt. Leider hat man den Eindruck, dass neben großartigen Millionenförderungen mit erwartungsfrohen Lösungen ab in 10 Jahren, sich bis dahin jede/r um seine/ihre Nachbarn selbst kümmern soll…und der Beitrag in der Mitte aufhört…

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Heinz Niski

ich gehe gleich mal vor die Tür und bin „ein bisschen offensiver meinem Nachbarn gegenüber“ – wie sie das wohl gemeint hat?

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Mi.Rob.

Ganz genau kann ich mich in politisch trubeligen Zeiten nicht mehr erinnern.
Doch war es nicht Angela Merkel, die angesprochen auf den Einzug der AfD-Politiker in die Mandatsträgergemeinschaften auf kommunaler, regionaler und Bundesebene lapidar meinte:
„Nun sind sie halt da.“
?

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