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Reisenotizen: (Rovinj/Istrien) – Padua/Venedig/Verona (Italien) – Lindau a. Bodensee (Deutschland); zurückgelegte KM gesamt: 3087,6; Reisedauer: 2 ½ Wochen

Das Schwert Siegfrieds an Kroatiens Küste (Rovinj 1)

Der Mann neben mir am Strand von Rovinj ist muskelbepackt und sieht durchtrainiert aus. Und er hat ein Piercing durch jede der beiden Brustwarzen. An seinem Körper gibt es kaum eine Stelle ohne Tätowierungen: Texte, Zeichen, Symbole, dazu ein riesiges Schwert mit verziertem Griff auf dem Rücken – vom Nacken bis zu den Lendenwirbeln. Und Schriftzüge in Frakturschrift. Ich beginne zu lesen: Lohengrin und Tannhäuser links und rechts die Rippen herab, Parsifal prangt auf dem Bauch. Die kleineren Zeichen identifiziere ich teilweise als Symbole aus der nordisch-germanischen Sagenwelt und der Welt der Wagner-Opern. Was mich zu dem Schluss führt, dass es sich bei dem Schwert auf dem Rücken nur um Balmung, das Schwert Siegfrieds, handeln kann. Ich denke: Frag einfach mal! Was ich höflich und in zweifelhaftem Schulenglisch auch mache! Der Mann ist erfreut, als ich ihn anspreche. „Sie kennen Wagner?“, fragt er mich – ebenfalls auf Englisch – einleitend. Und beginnt einen kleinen Vortrag über Wagner-Opern, die er über alles liebt. Erzählt mir, dass er Spanier ist, aber wegen der Musik (Bach, Bach!) Deutschland mag, wohin er auch schon wegen des Besuchs von Wagner-Aufführungen mehrfach gereist ist. Er freut sich, dass er einen Menschen trifft, der Wagner kennt, was an Badestränden von Urlaubsorten offensichtlich wohl nicht häufig vorkommt. Als er sich entschließt, eine Runde im Meer zu schwimmen, verabschiedet er sich freundlich. Und die auf zwei – natürlich tätowierten – Beinen wandelnde Wagner-Welt taucht im sanften Wasser der Küste Istriens unter. Was Richard W. dazu wohl sagen würde?

Von Badehosen und Fahrrädern (Rovinj 2)

Einflussreiche Mitreisende aus dem Kreise der Familie bedrängten mich mit der Aufforderung, mir doch endlich mal eine neue Badebuxe zuzulegen. Da das Drängen anhielt, suchte ich nach einiger Zeit ein Geschäft auf, das derlei Kleidungsstücke im Angebot hatte. Farbenfrohe Schwimmhosen mit fröhlichen Mustern – sogar in meiner Größe. Es gab Hosen (ausschließlich von einer Firma!) mit Fischen und Schildkröten und anderen putzigen Lebewesen. Der Firmenname sagte mir nichts. Deshalb war ich verwundert, als die freundliche Verkäuferin als Preis 230 EURO aufrief – für die farbenfrohen gemusterten Hosen. Die unifarbenen Kleidungsstücke kosteten dagegen nur schlappe 200 EURO! Ich verzichtete auf eine Anprobe und verließ den Laden mit einem freundlichen DANKE! Ich informierte mich vor dem Geschäft über die Produkte und konnte u.a. lesen: „Auf diesen Moorea Ronde Badeshorts für Herren mit ihren bunten Schildkröten tummeln sich Meeresbewohner auf stilvolle Weise. Der legendäre Vilebrequin-Print präsentiert sich in sportlichen Farben auf diesen klassischen Shorts mit drei Taschen und einem Kordelzug mit Kappen am Elastikbund.“ Vilebrequin-Print hin, Schildkröte her – 230 EURO für eine Badebuxe! Die Firma Vilebrequin bietet auf ihrer Webseite auch Modelle für über 500 EURO an, die der Laden allerdings nicht im Angebot hatte. Schade, sonst wäre ich noch ins Überlegen gekommen, weil 500 EURO für eine Badehose natürlich ein Statement sind, eine Hose für 230 EURO ist dagegen einfach nur überteuert. Einige hundert Meter weiter entdeckte ich in einer der zahlreichen Touristenfallen in der Auslage Vilebrequin-Badehosen, die der seriöse Fachverkäufer mir als absolutes TOP-Produkt zum TOP-Preis von 45 EURO und garantiert „echt“ anpries. In etwa so echt wie die Fußball-Trikots, die für 20 EURO und weniger angeboten werden, wenn man etwas handelt. Der Hit bei den Original-Produkten besteht u. a. darin, dass die Muster, etwa die Schildkröten, bei Berührung mit Wasser einen 3-D-Effekt entwickeln! Bei den Fake-Produkten, so meine Vermutung, schwimmen die Schildkröten bei der ersten Berührung mit Wasser sofort weg ins offene Meer! Ich nahm das Super-Angebot nicht an!
Unmittelbar neben dem Busbahnhof, nur wenige Schritte von den Badehosen entfernt, gibt es eine Fahrradwerkstatt, betrieben von zwei Brüdern. Eine echte Prutschbude – klein, eng, dunkel. Aber mit Fahrradverleih! Fahrräder, also keine Pedelecs oder E-Bikes. Ich suchte mir ein Modell aus, machte eine Probefahrt – die Straße rauf und runter. Passte! Kosten: 11 EURO am Tag, der Start-Tag wurde nicht gezählt. Kein Ausweis, keine Kaution. Einer der Brüder kommt mit einem sehr kleinen zerfledderten Notizheftchen, trägt das Datum ein und fragt nach meinem Namen. Mit Bleistift trägt er etwas ein, was Bernd heißen könnte. Hotel? Ich zeige ihm die Zimmerkarte des Hotels. Er nickt und sagt in einem Englisch, das meinem nicht unähnlich ist, so etwas wie: Wenn du das Fahrrad bringst, rechnen wir ab. Dann gibt er mir noch ein Schloss, dessen Kabel jeder geübte Fahrraddieb in zwei Sekunden mit den Zähnen geknackt hätte. Das war´s dann erst mal. Einen Tag vor der Abreise bezahle ich, er streicht meinen Namen in seinem Heftchen durch. Am Folgetag (Sonntag) binde ich das Fahrrad mit dem Monsterschloss vor dem Laden fest und gebe den Schlüssel, wie vereinbart, beim Kiosk gegenüber ab.

Europa geht auch ganz unkompliziert! Ohne Belege, ohne Quittung, ohne Personalausweis, an der Steuer vorbei, ohne viel Heckmeck, auf Vertrauensbasis! Und ohne Schildkröten auf der Buxe!

Politisch völlig unkorrekt! (Verona)

Verona, die Stadt, in der Shakespeare mit Romeo und Julia das wohl bekannteste Liebespaar der Weltliteratur leben, lieben und sterben lässt!100 Jahre gibt es schon die Opernfestspiele in der Arena von Verona. Während unseres Aufenthalts wurde „Carmen“ von Georges Bizet aufgeführt. An solche Open-Air-Inszenierungen in einer Arena, in die über 20000 Menschen passen, darf man nicht die Maßstäbe eines üblichen Opernhauses anlegen, was die Inszenierung angeht. Es wird ja nicht nur ein Musikstück verkauft, sondern ebenso das Bauwerk und seine Geschichte, die Luft, die italienische Nacht, das Ambiente unter dem Sternenzelt, die Menschen. Es gilt hier zu beachten, was der Direktor im „Vorspiel auf dem Theater“ (Goethe, Faust 1) zu sagen weiß:
Besonders aber lasst genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So dass die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“
Es wird also alles aufgeboten, was die Theatermaschinerie an Kulissen, Mitwirkenden, Kostümen, Chorsängerinnen und Sängern, Tänzerinnen und Tänzern zu bieten hat. Pferde, Kutschen, Jongleure, zwei Tanzgruppen auf den Seitenbühnen, Dutzende von stummen Rollenträgern, die die Bühne bevölkern, Schnickschnack aller Art – und zwischendurch singen tatsächlich die Protagonisten (mehr oder weniger gut). Und das Ganze dauert dann – mit zwei großen und einer kleineren Umbaupause – über vier Stunden (Schlussapplaus nicht mitgerechnet). Aber danach wird man belohnt, denn man wird nicht nur in die wunderbare italienische Nacht entlassen, sondern auch noch von Cafés und Restaurants vor der Arena empfangen, die alles servieren, was die Speisekarte hergibt – und wenn es um 1.30 Uhr auch noch eine Pizza ist.
Aber die Oper selbst, die immer noch ein Repertoire-Hit mit einigen weltbekannten Arien ist, weist Libretto-Passagen auf, die heutzutage so herrlich unkorrekt sind.
Etwa wenn die Zigarettenfabrik-Arbeiterinnen in der Pause die Fabrik verlassen und – Zigarette rauchend – singen:
Seht, wie Rauchwolken ziehn
In die Lüfte kräuselnd dahin
Und verbreiten holde Düfte.
Sanft betäubet, schlürft den Rauch.“
Und Carmen später ergänzen wird, wenn sie die Leichtigkeit des Herzens und der Liebe besingt:
Seht, wie Rauchwolken zieht dahin durch die Lüfte. Ach! Sie verbreiten die lieblichen Düfte und
Ziehn sanft sich kräuselnd dahin.
Duft´ger Rauch, leicht wie Hauch!“ (1. Akt)
Und dürfte Carmen eigentlich heute noch singen:
Die Liebe von Zigeunern stammt
Fragt nach Rechten nicht,
Gesetz und Macht.“

Was die Zigaretten und ihren Duft angeht: In der Arena von Verona herrscht natürlich striktes Rauchverbot – selbst für E-Zigaretten. Die Wirklichkeit trifft also auf einen musikalischen (Rück-)Spiegel, in dem wir eine Zeit sehen, die wir schon lange hinter uns gelassen haben. Selbst auf dem Platz vor der Arena, wo natürlich kein Rauchverbot herrscht, sind Raucher eine verschwindend geringe Minderheit. Und Arbeiterinnen einer Zigarettenfabrik habe ich dort nicht gesehen. Aber Carmen, auch wenn José sie am Ende ersticht, ist und bleibt unsterblich – in Verona und auch anderswo!

Zwei Männer am See (Lindau)

In the shuffling madness
Of the locomotive breath
Runs the all-time loser
Headlong to his death.

(Jethro Tull, Locomotive Breathe)

Womit kann, womit muss man rechnen, wenn man sich ein Landhotel rund 10 KM vor Lindau als Herberge ausgesucht hat? Bestimmt nicht damit, dass an der Rezeption ein Stapel mit LPs liegt aus den besten Zeiten der Rock-Musik in den 60er und 70er Jahren. Und auch nicht damit, dass in fünf vom Chef der Herberge selbstgebauten Bilderrahmen aus Holz die Original-Plattencover von fünf Jethro-Tull -LPs hängen. Und auch nicht damit, dass der Herbergsvater sich auch noch die Zeit nimmt, um mit Lust und Laune und nicht unberechtigtem Stolz dem interessierten Gast weitere Raritäten aus seiner Sammlung zu zeigen. Das ist zum Einstieg bei der Ankunft mindestens so gut wie das Appartement, das Abendessen und das Frühstück sein werden und es die ganze (liebevoll gestaltete) Gartenanlage samt Katzen, Ziegen und anderem Getier ist.
Mit dem zweiten Mann am See kommen wir beim Abendessen ins Gespräch. Er sitzt am Nachbartisch und äußert sich begeistert über das Hotel und das Essen. Wir stimmen ihm zu. Er ist aus Stuttgart mit dem Rad (kein-E-Bike) gekommen, hat die rund 210 KM in zwei Tagen geschafft und fährt am Folgetag mit dem Zug zurück nach Stuttgart. Als wir die Frage, woher wir kommen, zunächst mit „Gelsenkirchen“, dann mit „Schalke“ beantworten, erklärt er uns, dass er sich besten auskenne mit Gelsenkirchen und Schalke. Seine Frau käme ursprünglich aus Lemgo, einer Hochburg von Schalke-Fans, und sie und die beiden Söhne seinen „blau und weiß“ durch und durch.
Gute sechshundert Kilometer trennen uns noch von der Arena – aber Schalke ist überall! Ein gutes Omen: Kurz vor dem Wolkenbruch am Sonntag sind wir wieder zuhause!

Nachtrag: Auf den 3087 KM der Fahrt hat uns eine App begleitet, die, wie auch immer das funktioniert, vor Blitzern warnt. Wenn man sie benutzt, was wir natürlich nie getan haben, legt sie sich „hinter“ die Navigation und meldet sich mit dem Satz: Die App läuft im Hintergrund!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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