Das Stadtmarketing befiehlt im Imperativ unter der Adresse visit.gelsenkirchen.de einen Besuch Gelsenkirchens. Weil ich schon da bin, will ich wissen, wohin ich abkommandiert würde, wenn ich nicht schon hier wäre. – Ein Selbstversuch in Sachen Stadtmarketing und Tourismusförderung.
Eingerahmt von einem – warum auch immer – Fliederfarbenden Framework empfängt mich ein Bewegtbild mit blühenden Alleen im Nordsternpark. Nacheinander werden Luftaufnahmen aus dem Park, eine Ansicht der Fassade des Stölting-Gebäudes am Hafen Graf Bismarck, eine Draufsicht der Halde Rheinelbe gezeigt, dann ein Kameraschwenk über Consol, die Veltins-Arena, kurz ein Blick über die Ebertstraße bis hin zum Musiktheater und schließlich, wie könnte es anders sein, Schloss Berge. Die Bilder fliegen wortwörtlich über den Bildschirm. Seit einiger Zeit scheinen Fotos aus der Drohnenperspektive das neue Normal zu sein. Die moderne Variante des Diaabends, den frühere Generationen nach 14 Tagen Urlaub im Bayrischen Wald gezwungenermaßen erleben durften.
Ob es Sehenswürdigkeiten oder Highlights sein sollen, weiß ich noch nicht. Ich will es aber wissen und klicke auf „Highlights“. Ein Bildschirm füllendes Foto der Halde Rheinelbe erscheint. Genauer gesagt ist es die Himmelstreppe auf der Halde Rheinelbe mit Spiegelung im Teich am Fuß der Aufschüttung ebenda. Darunter steht ein tiefgründiger Text geschrieben: „Blau und Grün – das ist Gelsenkirchen“. Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen, aber gut, dass das Stadtmarketing solche Dinge weiß, dann kann ich es wieder vergessen. Die Texter schreiben weiter, und zwar irgendwas über Schalke 04, in dessen Arena „internationale Stars wie Ed Sheeran oder Taylor Swift sich zu spektakulären Konzerten“ einfänden, also doch nichts über Schalke 04. Ist das Konzert von Ed Sheeran nicht Jahre her und war es nicht ausgesprochen unspektakulär, schießt es mir durch den Kopf. Es ist Ende April 2024, also war Taylor Swift noch nicht da. – OK, ich lass das Erbsenzählen. Es geht nicht um das was ist, sondern das, was sein sollte. Marketing eben.
Fernweh soll Reisewillige durch Bildsprache und kreative Textkompositionen packen. Ja, da will ich hin, sollen Betrachter ausrufen, wenn sie – wie auch immer – auf diese Seite gelangen. Besonders auf diesem Portal, das Besucher in eine Stadt locken will, deren Tourismus-Faktor in der öffentlichen Wahrnehmung bei 0,1 von 100 Punkten zu liegen scheint, ist das eine echte Herausforderung. Ich fühle nach, wie es den Marketingmachenden auf dem Amt wohl ergangen ist, als die Oberbürgermeisterin unangekündigt mitten in die Frühstückspause hineinplatzte und sagte: “Macht doch mal so eine digitale Ansichtskarte zum Anlocken von potentiellen Umsatzgeneratoren für unsere Smart-City. Ich guck mir das Ergebnis nächste Woche an und dann geht das – Hopp – online, oder wie man das sagt.”
Während das nächste Hochglanzfoto meine Augen blendet, beginne ich mich zu entspannen. Ich empfinde Gelsenkirchen plötzlich ganz tief in mir. Mit allen Sinnen fühlend lese ich tonlos weiter: “Nordsternpark – Schauplatz der IGA 2027.” Kerl, das ist erst in drei Jahren. Muss ich dieses Jahr noch nicht hin. Das sagt mir mein Gefühl. Was soll das? Wo ist denn hier der rote Faden? Wieso sagt mir keiner, was ich jetzt schon erleben kann in dieser maßlos unterschätzen Stadt? Ich dreh weiter am Mausrad. Jeweils ein Foto mit Begleittext kraucht von unten nach oben über den Bildschirm: Eins zur ZOOM-Erlebniswelt, noch eins zum Musiktheater im Revier, eins zur Halde Rheinelbe (schon wieder) und dem dortigen Skulpturenpark – muss man gesehen haben. – Ok, das waren die Highlights.
Was kann jetzt noch kommen? Ab zu den Sehenswürdigkeiten. Es werden genau 14 aufgelistet – darunter alle „Highlights“. In kleinen rechteckigen Kästen werden manchmal Öffnungszeiten angezeigt, manchmal nicht. Ganz wichtig: Die Halde Rheinelbe ist immer geöffnet. Das ist beruhigend für Sprayer. Ich will nach Afrika, also in den Zoo und lese: „heute geschlossen“. An einem Freitag? Ja, Afrika hat geschlossen, der Zoo ist geschlossen oder andersherum. Auf diesem Portal ist der Zoo immer geschlossen, egal welchen Tag man auf der Detailseite zu dieser Sehenswürdigkeit anwählt. – Hat wohl keiner gemerkt. Oder niemand außer mir kam bislang auf die Idee, sich in Sachen Tourismusinformation auf dieser Seite zu informieren.
Ich könnte ja auch zum Ausschlafen nach Gelsenkirchen reisen, denke ich und sichte das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten. 19 Hotels, 28 Privatunterkünfte, 22 Reisemobilstellplätze und 3 Pop-Up-Campingplätze lese ich. Mehr als ich erwartet hatte und deutlich weniger als es für eine Stadt mit 270.000 Einwohnern angebracht wäre. Eine interaktive Karte und ein Filter werden zur Schaffung von Übersicht und Auswahl angeboten. Ich probiere es aus und klicke herum.
In den Filtereinträgen finden sich die meisten Stadtteile mit ihrem Namen wieder, außerdem Beckhausens „Sutum“ und der fiktive Stadtteil „City“. Herten und Westerholt kann man auch auswählen, da gibt es Zeltplätze während der EM 2024. Es wird unterschieden zwischen „Bulmke-Hüllen“ und „Bulmke“. Niemand weiß warum, aber so ist es. Schließlich lese ich für mich vollkommen neue Wortschöpfungen wie „Glamping“ und „Pop-Up-Camping“. Glamping? Was ist denn Glamping? Ich kann mir nichts darunter vorstellen und schmeiße eine Suchmaschine an, die sich zufällig in Reichweite befindet. Glamping ist ein Kofferwort für Glamourous Camping, finde ich bei Wikipedia. Ein Kofferwort, das hört sich schon nach Reise an. Oder anders ausgedrückt: Man sagt damit, dass man für richtig viel Asche in Nienhausen oder auf Zeche Ewald unter primitiven Bedingungen pennen kann. Geschäftstüchtige Holländer werden während der EM Zelte mit der Grundfläche eines Waschlappens für 125,- € die Nacht anbieten. Oder einen 6 Quadratmeter großen Kunststoffkoffer, in den ein Bett für zwei Personen hineingepresst wurde. Das kostet 300,- € pro Nacht. Oder man bucht das Deluxe 2-Person Glamping-Tent. Macht 325,- €. – Ja, warum eigentlich nicht? Es gibt ja nur die paar vorhin aufgezählten Unterkünfte in Gelsenkirchen. Da kann der Preis schon ein wenig in luftige Höhen flattern. Ich klick noch ein wenig in der Auswahl herum und finde per Zufall eine Ferienwohnung. Wusste gar nicht, das der Nachbar seine Hütte dafür anbietet. – Nun denn.
Zurück zur Hauptseite, Stadtrundfahrten & Führungen anklicken. Überraschung: Hier steht mehr als auf allen anderen Seiten zusammen. „Sondertouren“, gleich viermal, kulinarische Stadtrundgänge in der Altstadt und/oder Buer, Besuch der neuen Synagoge, des alten jüdischen Friedhofs, des neuen jüdischer Friedhofs, des alten jüdischen Betsaals. Ja, schön, wenn man da mal reingucken könnte. Ist allerdings nur an ganz wenigen Tagen im Jahr möglich. Man braucht also jede Menge Glück, um ausgerechnet dann zufällig nach Gelsenkirchen reisen zu wollen. Im Oktober ginge das zum Beispiel. Natürlich lockt das Stadtmarketing mit dem Kunstmuseum und dem Musiktheater und es gibt Mythos-Touren. Die Heimatvereine bieten Schlurfen mit Dönekes hören durch die Siedlungen an. Oder geh doch gleich mit Olivier Kruschinski auf Tour, da kann man Schalke erleben.
Nach dem Zusammenzählen der konkret angebotenen Termine fällt das Angebot an Touristenaktionen dann doch übersichtlich aus. – Klasse statt Masse?
Ich zupfe am Browserfenster. Irgendwas stimmt mit meiner Gleitsichtbrille nicht. Die Fotos werden teilweise bis zur Unkenntlichkeit verzerrt dargestellt. Eine Straßenbahn, so schmal wie ein Aktenordnerrücken. Das Kunstmuseum, mit Fenstern wie Schießscharten. Ui, da hat der Webdesigner oder seine Kollegin wohl vorzeitig eine Krankmeldung eingereicht. Oder das Budget war plötzlich alle. Gestern noch Geld in der Kasse und heute nicht mehr. Die Brötchen zur Frühstückspause werden auch immer teurer.
Das also ist das „Offizielle Tourismusportal für Gelsenkirchen mit Tipps zu Sehenswürdigkeiten, Urlaub, Hotels, Restaurants, Shopping, Veranstaltungen und Tagungen“. Man muss neidlos anerkennen: Sowas hat nicht jede Stadt. Halb fertig ist besser als nicht angefangen. Sieht aus wie gewollt und fast gekonnt. Passt also wie Arsch auf Eimer zu Gelsenkirchen, wo angeblich alles blau und grün sein soll. Boah, dieser Fliederton macht mir zu schaffen. Wer nochmal nachgucken will: visit.gelsenkirchen.de
19 Hotels? Da könnten die WAZ Redakteure doch mal für eine Selbsterfahrungsübernachtung ausschwärmen und aus dem Land der Ödnis und der Dönerbuden Michelin- und Erlebnissterne vergeben.
Wurden Stundenhotels mitgezählt?
Der letzte Satz mit Link ist fahrlässige Körperverletzung und sollte strafrechtlich verfolgt werden. Schämen Sie sich, Redaktion HerrKules!
Die Welt wird uns sowas von die Bude einrennen!
Meine Güte, was für ein dilettantischer Webauftritt…
Erschreckend. Verstörend. Belastend. Kriegen wir aus dem Job-Roulette des ÖD eigentlich nur die größten Nieten? Die dann noch Agenturen beauftragen, die wahrscheinlich Webdesign in einer Fortbildung der BA gelent haben und das am Fliesentisch bei Mutti abarbeiten.
Die ausführende Agentur ist die gkd-el. Eine Stadtochtergesellschaft, die in unseriöser Konkurrenz zu freien Wirtschaftsunternehmen steht.
ach was. Subventionierung ist doch ein Kern der Sozialdemokratie. Irgendwo muss die überflüssige Kohle doch hin.
Tourismus in Gelsenkirchen klingt wie Festmahl auf der Giftmülldeponie.
Endlich ist die Gelegeheit reif oder schon verpasst. Das Magazin muss unbedingt eine Alternativ-Sightseeing-Abenteuer-Tour jenseits des Mainstreams anbieten. Wir bieten Ghetto-Touren mit echtem Grusel-Faktor an – und abschließender Einkehr in einschlägige Wirtshäuser..um das Gesehene mit einem Weizenjunge oder zwei zu verarbeiten. Natürlich anständig bezahlt, versteht sich. Ein unvergessliches Erlebnis.
erzähle ich seit Jahren…
geht ja keine/r mit mir mit….alleine ist doof…
Hingerissen
Hähä … Klasse ! Endlich werdet ihr wieder lokal anstatt Euch am Bundesgeschurbel abzuarbeiten … Wie wäre es denn weiterführend mal mit bspw. dem Klimanotstand , Flächenversiegelung , Starkregegenereignissen und anderen Scherzthemen – !