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König Peter wird von zwei Kammerdienern angekleidet.

Peter (während er angekleidet wird) Der Mensch muß denken und ich muß für meine Unterthanen denken, denn sie denken nicht, sie denken nicht. – Die Substanz ist das ‚an sich‘, das bin ich.(Er läuft fast nackt im Zimmer herum.)Begriffen? An sich ist an sich, versteht ihr? jetzt kommen meine Attribute, Modificationen, Affectionen und Accidenzien, wo ist mein Hemd, meine Hose? – Halt, pfui! der freie Wille steht davorn ganz offen. Wo ist die Moral, wo sind die Manschetten? Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung, es sind zwei Knöpfe zuviel zugeknöpft, die Dose steckt in der rechten Tasche. Mein ganzes System ist ruinirt. 

(Georg Büchner: Leonce und Lena, I/2)

Auf den ersten Blick muss man nicht unbedingt auf den Gedanken kommen, Georg Büchner habe mit seinem König Peter aus dem Lustspiel „Leonce und Lena“ nicht nur die Karikatur eines deutschen Provinzfürsten des 19. Jahrhunderts gestaltet, sondern auch das Abziehbild eines neuzeitlichen Staatenlenkers deutscher Provenienz vom Schlage eines Robert Habeck. Und doch sind, beim zweiten Blick, deutliche Parallelen erkennbar – wenngleich König Peter aus dem Reiche Popo keinen Doktorgrad hat, nicht salbungsvoll reden kann und auch ganz generell, anders als Minister Habeck, wirklich dumm wie eine Schnitte Graubrot ist. Aber der Rest stimmt! Auch Habeck traut seinen Untertanen kein selbstständiges Denken zu – er muss für sie denken, er muss ihnen sagen, wie sie zu heizen haben, wie sie ihre Wohnung dämmen müssen. Auch er glaubt, die Moral auf seiner Seite zu haben – vor allem die höhere Moral, die über den Alltag weit hinausreicht. Die Moral, die hinterm Horizont noch weitergeht und die Beglückung der Menschheit einschließt – samt der Rettung des Planeten! Aber die wichtigste Parallele besteht darin, dass Peter und Habeck sich für die „Substanz an sich“ halten und zugleich große Jammerlappen sind, die sich über die „schändlichste Verwirrung“ beklagen, was nichts anderes bedeutet, als dass die Welt und die Menschen (ihr „System“) nicht unbedingt funktionieren, wie es ihr Gedankengebäude vorsieht.

Im Zusammenhang mit den jüngsten peinlichen Auftritten Habecks (ARD-Tagesthemen, Parlament) hat mich jemand gefragt, ob bei den GRÜNEN, bei denen ich doch lange Mitglied gewesen sei, schon immer ein ausgeprägtes MIMIMI geherrscht habe, also dieses weinerlich-jammervolle Gefühl unverstanden, nicht geliebt, ja – sogar verfolgt zu sein, wie es jetzt Habeck mit seinen öffentlichen Auftritten und seinen Verschwörungsmythen an den Tag gelegt habe. Nun, meine jahrelange Mitarbeit bei den GRÜNEN in zahlreichen kommunalpolitischen Funktionen hat sich vom Wirkungskreis her auf Gelsenkirchen beschränkt. Schon von daher bin ich nicht geeignet, zu dieser Frage umfassende und letztgültige Antworten zu geben. Mein Horizont beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Lokalpolitik – zur Landes- und Bundespolitik habe ich keine Verbindungen gehabt. Aber eine Einschätzung ist doch machbar, wenn man (kurz) betrachtet, woher die GRÜNEN kommen und welchen Weg sie gegangen sind.

Die GRÜNEN, das ist kein Geheimnis und keine neue Erkenntnis, haben sich aus außerparlamentarischen Gruppen und Bewegungen gebildet: Öko-, Frauen-, Anti-Atom- und Friedensbewegung auf der einen Seite, auf der anderen Seite mehr oder weniger marxistisch-maoistisch geprägte Klein-und Kleinstgruppen des linksradikalen Spektrums und der Ausläufer der APO. Wer also vor dem Aufstieg der GRÜNEN Mitglied in dieser Partei war, war es gewohnt, im Feuer der Ablehnung, der Verachtung, des Spotts, der generellen Gegnerschaft der damals etablierten Parteien zu stehen. Da waren MIMIMI-Attitüden wenig hilfreich: da musste man, zumindest verbal, noch die „Steinewerfer-Mentalität“ eines Joschka Fischer haben oder es gewohnt sein, bei der Straßenagitation als Kommunist beschimpft zu werden, der doch besser „nach drüben“ gehen soll (gemeint war die noch existierende DDR). Besonders hier im Ruhrgebiet, in der Kohle-, Stahl- und Eisen-Herzkammer der SPD, kam man als Fräulein Verständnisvoll nicht weit – und als einfühlsamer grüner Softie auch nicht! Ganz im Gegenteil: aus den aggressiv-pöbelnd vorgetragenen Angriffen der heimischen Beton-SPD, auch der Gewerkschaften gegenüber den „Öko-Fuzzis“ war Honig zu saugen, getreu dem Motto von MaoTse-Tung „Wenn der Feind uns bekämpft, ist das gut und nicht schlecht“ (26.5.1939)

Verfolgt man den Weg der GRÜNEN seit diesen ersten Tagen der jungen Partei, dann ist er, von der einen oder anderen kleinen „politisch-konjunkturellen Delle“ einmal abgesehen, die Geschichte eines Aufstiegs sondergleichen. Nichts steht dafür als Symbol mehr als die Ernennung Joschka Fischers zum Minister in Hessen durch Holger Börner, der einige Zeit vorher die GRÜNEN noch mit der Dachlatte verhauen wollte. Dieser Aufstieg ist aber mehr als der Einzug in die Kommunal- und Landesparlamente, das Europa-Parlament und den Bundestag. Die GRÜNEN haben es nämlich geschafft, dass ihr ideologischer Überbau weitaus wirkungsmächtiger ist, als es die Zahl der Ministerposten und Sitze in Parlamenten ausdrückt. Genau das kann man besonders im Moment erkennen: Die GRÜNEN haben nicht nur wichtige Posten unterhalb der Ministerien besetzt (Abteilungsleiter, Referenten), sondern über Jahre hinweg ein Netzwerk persönlicher und ideologischer Verflechtungen etabliert. Hinzu kommt, dass große Teile der Medienlandschaft in Redaktionsstuben von Zeitungen und Funk- und Fernsehstudios der GRÜNEN Ideologie mit all ihren Schattierungen einschließlich des Sprach- und Sprechwahns und des woken Zeitgeistes mit all seinen Abstrusitäten, kindischen Elementen und Irrationalismen  anhängen und alles mit „grünem Anstrich“ hätscheln, aufpäppeln und wenig kritisch begleiten.

Was noch eine Rolle spielt, so komisch das klingen mag, ist eine Entpolitisierung der GRÜNEN selbst, was  ein „Einschlafen“ der innerparteilichen Debatte angeht. Die GRÜNEN haben seit Eintritt in die Ampel und Beteiligung an der Regierung in NRW nahezu alle vorher in Stein gemauerten Grundüberzeugungen geschleift – ohne große Debatten. Man kann alte Positionen aufgeben, wenn sie der Wirklichkeit nicht mehr entsprechen. Das ist in Ordnung – aber dies in einer politischen Partei zu tun, ohne Kontroversen auszutragen, ohne eine Debatte zu führen, macht eine Partei zu einem besseren Kaffeekränzchen. Man schaue etwa auf die Seite der Gelsenkirchener GRÜNEN nach Beiträgen zu umstrittenen Fragen: Atomausstieg, Ukraine-Krise, Corona und Impfpflicht, Energie und Naturschutz. Man wird dort keine nennenswerten Beiträge finden – auch kaum Hinweise zu Diskussionsabenden zu diesen Themen. Was wichtig ist: Oben-ohne für Frauen im Schwimmbad, Zebrastreifen in Regenbogenfarbe und – ach nein, Katzenbilder noch nicht!

Vor diesem Hintergrund kann man Habecks Jammerei einordnen (von seiner Persönlichkeit einmal ganz abgesehen): Er ist ein Profiteur des grünen Aufstiegs, der grünen Suprematie im Bereich des politisch-ideologischen Zeitgeistes. Er ist es nicht gewohnt, im Kreuzfeuer einer harten Kritik zu stehen – weder innerparteilich noch in der Öffentlichkeit. Er war bisher „Everybodys Darling“ und war für viele „der bessere Kanzlerkandidat“ (nur leider im falschen Körper). Und er war und ist als Minister und in der Partei von Menschen umgeben, die ihn anhimmeln, ihm zuarbeiten, ihm dankbar sind, einen Posten bekommen zu haben und selber wichtig zu sein, die ihn hofieren und seine Worte aufsaugen.

Nun hat er ein wenig Gegenwind, ein wenig nur – noch nicht einmal eine, norddeutsch gesprochen, „steife Brise“. Und schon, um König Peter zu zitieren, ist sein „System ruinirt“ und das große MIMIMI setzt ein!

Ein Waschlappen bleibt ein Waschlappen, auch wenn er aus nachhaltig gewonnener Schafwolle bei Vollmond mundgeklöppelt worden ist!

 

https://www.youtube.com/watch?v=_goMQolXcbs  (The Muppet Beaker and Mimi)

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Soziokulturell ist mir ein Habeck näher als die Söders und Lindners, die Unterschiede zu den Kühnerts und Klingbeils sind kaum messbar. Alle machen in Selbstreflexion, Verständigungs- und Verhandlungsbeziehung, statt auf Konfrontation und Demolition Man. Als Konsument der Polit-Inszenierung komme ich wieder auf meine Kosten, Feingeister, listige Schlangen, dumme Schöne, martialische Amazonen, Bauernschlaue, Aristokraten und weiteres buntes Volk fluten über die Talkshows und ausgewählte Berichterstattungen mein moribundes zoon politikon (so viel diverse Sprache musste jetzt sein).
Egal über welche Quotenregelung, über welches Minderheitenticket Menschen in Ämter geraten, am Ende überleben die mit den biegsameren Seilschaften, die mit den narzistischeren Persönlichkeitsmerkmalen.
Es bleibt alles so, wie es ist. Die öffentlich so empfundene Entpolitisierung der Grünen Basis ist Teil dieses Spiels. Sie starten alle mit guten Absichten, nur wenigen merkt man zu Beginn die Karrieregeilheit an. Manche haben das Unglück, die Leiter herauf zu fallen und sind dann plötzlich wer im Job, Rat, Land, Bund, EU.
Hinter dem neuen Woken verstecken sich in der Regel anpassungsfähige eiskalte knallharte.

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Klau.Holl.

Dein biblisches Bild ist schon irgendwie passend. Nur um zum Erlöser werden zu können, muss man zuvor auferstanden sein und DAFÜR muss man vorher gekreuzigt werden. Ich erinnere gerne an den „Propheten“ Brian und sein Leben:
Zur Kreuzigung? Nächste Tür rechts, jeder nur ein Kreuz! – Habeck will wohl die Kreuzigungsgruppe anführen. Nur lässt er irgendwie den Kopf hängen…

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Ro.Bien.

Bitte nicht so schluderig: Kaugummi-Reinungsentferner für 280.000 Euro noch ergänzen. Und zu Habeck: eben nicht im falschen Körper.

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Fra.Prez.

Bravo

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