Folge 1: Bohnerbesen und Kohlentröte
Spiegelblanke schwarze Fliesen und schwarz-weiß gesprenkelte Treppenstufen aus Steinzeug. Und darauf: ein Läufer aus Linoleum – ein rot-braunes ornamentales Muster mit der optischen Anmutung von Erbrochenem. Das zog sich im Hausflur vom Erdgeschoss bis ins oberste Stockwerk, in dem wir wohnten. Zweieinhalb Zimmer mit Bad auf etwa 60 Quadratmetern. Über uns der von allen Mietparteien als Trockenboden genutzte Dachstuhl, unten die Keller und die Waschküche.
Und das bedeutete: Wäsche in Körben über vier Etagen nach unten in den Waschkeller bringen und dort waschen. Übrigens in einem „Waschtrog“ mit Wasserdruckmotor und vier großen „Paddeln“, anschließend im Spülbecken spülen und mit einer Handmangel das Wasser bis auf Reste raus pressen. Und dann die feuchte Wäsche auf den Trockenboden bringen. Und wenn sie trocken war, in die Wohnung transportieren – zum Bügeln. Ein Knochenjob, dieses Waschen und Wäscheschleppen, den zumeist meine Mutter erledigte.
Ähnlich war es mit den Kohlen und Briketts, mit denen geheizt wurde. Von der Straße in den Keller schaufeln, Briketts stapeln. Bei Bedarf aus dem Keller in die Wohnung schleppen, die Asche in den Ascheneimer bringen (damals noch aus Metall – und tatsächlich einem Eimer ähnlicher als einer Tonne wie die heutigen Plastikmodelle). Das war zumeist der Job meines Vaters – und später meiner.
Für diesen Kohlentransport aus dem Keller in die Wohnung gab es ein Hilfsmittel – die Kohlentröte oder auch Kohlenschütte. Ein längliches, schlankes Blechteil mit Tragegriff und einer lang gezogenen Öffnung zum Aufnehmen der Kohlen.
Hatte irgendwas von einem Fisch, der einfach sein Maul öffnet, um seine Nahrung aufzunehmen, wenn er durchs Wasser streift.
Aus diesem Teil konnten die Kohlen in den Ofen geschüttet werden, ohne dass man eine Schaufel benötigte. Das Fischmaul diente also zur Aufnahme der Kohlen und zugleich zur Abgabe in den Ofen, um tagsüber zu heizen. Zur Nacht wurde der Ofen mit Briketts befüllt – bei gedrosselter Luftzufuhr.
Die Briketts wurden stramm in Zeitungspapier eingewickelt und glühten so langsam vor sich hin, so dass am folgenden Morgen noch Restglut vorhanden war, die dann die neu eingefüllten Kohlen entzünden konnte.
War die Kohlentröte also eine Erfindung, die eine unangenehme, aber notwendige Arbeit erleichterte, war – aus meiner damaligen und heutigen Sicht – der Bohnerbesen ein reines Terrorinstrument. Regelmäßig, das war in der Hausordnung so vorgeschrieben, mussten der Flurbereich und die zur Etage gehörenden zwei Treppen nicht nur gefegt und gewischt werden, sondern auch gebohnert.
Der Bohnerbesen bestand – wie jeder Besen- aus einem Stiel und Borsten. Diese Borsten saßen aber an einem fürchterlich schweren Block aus Eisen, der durch sein Gewicht Bohnerwachs in die Fliesen und den Bodenbelag einrieb, wozu man ihn, wie beim Wischen, mit Kraft über den Boden hin- und herschieben musste.
Ein hartes und körperlich schweres Geschäft, das so zu betreiben war, dass der Boden nach dem Bohnenvorgang glänzte wie eine Speckschwarte. Das Bohnern war Teil des ausgeprägten Nachkriegsputzfimmels, der die Funktion hatte, den „inneren Dreck“, die nicht aufgearbeitete Vergangenheit, durch äußeren Glanz zu überdecken.
Beide Geräte, die Tröte und der Bohnerbesen, sind im Laufe der Zeit überflüssig geworden.
Heute drehen wir die Heizung auf, und für das Putzen haben wir flüssige Hochleistungsmittel.
Aber beide Geräte erinnern an die Zeit meiner Kindheit, in der ich noch auf einige Reste der Trümmerlandschaft in Gelsenkirchen schauen konnte, die der Weltkrieg hinterlassen hatte.
[…] Le Temps Perdus […]
Von fachkundiger Seite (Tante S. und Cousinen A. und L.) bin ich darauf hingewiesen worden, dass die oben gewählte Formulierung zum Bohnerbesen ungenau bzw. missverständlich ist. Deshalb: der Bohnerbesen diente zum Polieren, meint: Wachs wurde auf dem Boden/Bodenbelag aufgetragen, und danach kam der Bohnerbesen zum Einsatz, sozusagen als “finisher”, der Glanz erzeugte. An der Schwere des Vorgangs und der “historischen” Einordung ändert diese Klarstellung aber nichts.
Soweit zur Klarstellung.
Bernd Matzkowski
Und schon habe ich meine Kindheit wieder vor Augen. Das lief damals wohl überall gleich hab. Heute klingt es herrlich nostalgisch, damals war es knochenarbeit….