0
(0)

III. Kunst und Kultur: die Welt der Freiheit

Wie und warum es dazu kam, dass sich Many neben der Erwerbsarbeit in der Freizeit der künstlerischen Arbeit zuwendete, hat er selbst beschrieben: „Noch bis in die sechziger Jahr hinein wurde der Bergbau genauso geführt wie im Krieg und davor: militärisch, – unter dem Motto ‚Kohle oder Blut am Stempel’.

Zu dieser Zeit arbeitete ich mehr als sechs Tage in der Woche und nicht nur acht Stunden am Tag. Wer konnte da noch malen und zeichnen? Als ich 1965 aus tiefster Unzufriedenheit heraus mich meines zeichnerischen Talents erinnerte und anfing, die ersten Volkshochschulkurse zu besuchen, wusste ich nach ganz kurzer Zeit, hier ist etwas, das ich nie aufgeben werde.“ Seit 1965 nutzte er nun seine knappe freie Zeit, um als Autodidakt seine kreativen Fähigkeiten mit künstlerischen Mitteln produktiv zur Entfaltung zu bringen. Er machte sich mit den verschiedensten Techniken der bildenden Kunst vertraut und perfektionierte in seine Fertigkeiten Kursen der Volkshochschule. Bei Kurt Janitzki, einem Kunstlehrer, dem er und viele andere Gelsenkirchener Künstlerinnen und Künstler den Einstieg in die professionelle künstlerische Arbeit verdanken, vervollkommnete er sein Zeichentalent vor allem im figürlichen und im Aktzeichnen.

Zeichenstift und Notizbuch sind nun seine ständigen Begleiter – leichtes Gepäck, um festzuhalten, was er sieht und wahrnimmt und was ihn zur weiteren künstlerischen Gestaltung anregt: Menschen, reale Landschaften und fiktive Räume. Er skizziert Bild- und Gestaltungsideen, die er später ausführt und vollendet. Doch die Maloche im Pütt, lässt Many nicht los. Die Spannung eines Lebens zwischen über und unter Tage, findet auch in seiner Kunst ihren Niederschlag. Denn „vor Ort“ heißt, in bis zu 1000 Metern tief in der Erde unter dem Druck eines mächtigen Gebirges schwer arbeiten zu müssen. Fremdbestimmte Erwerbsarbeit und selbstbestimmte Kunst, zwei widerstreitende Seelen in Manys Brust, vereinen sich in seinen Kunstwerken zu einer ebenso faszinierenden wie kritischen Symbiose.

Auch wenn er sich bescheiden als „Freizeitmacher“ bezeichnet, will Many kein Hobby- oder Gelegenheitskünstler sein. Seine Kunst entsteht nicht mal eben so nebenbei. Ernsthaft und fleißig, professionell und lustvoll erarbeitet er sie sich ganz nach dem Motto des genialen Münchner Komikers Karl Valentin „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“.

1970 präsentiert er zum ersten Mal seine Arbeiten öffentlich in einer Ausstellung in der Buchvitrine Lothar Junius. Von da an ist Many als Künstler in Gelsenkirchen präsent. Er mischt sich ein und prägt „die Szene“ mit. In der Region, im Land und weit darüber hinaus wird man auf ihn aufmerksam. In zahlreichen Ausstellungen stoßen seine ungewöhnlichen Arbeiten, die sich mit den geologischen Strukturen und den spezifischen Techniken des Bergbaus befassen, auf großes Interesse. Denn wer weiß schon, wie es in einer Zeche unter Tage aussieht und was dort geschieht? Regelmäßig beteiligt er sich an Projekten und Wettbewerben. 1977 gewinnt er in Oberhausen den Preis „Das Revier als Faszination“. In Gelsenkirchen hat er u.a. die U-Bahn-Station „Am Trinenkamp“ mit seinem Werk „Unter Gelsenkirchen“ gestaltet. Sie kann jederzeit bei einer Fahrt mit der Linie 301 besichtigt werden.

IV. Der Kulturraum „werkstatt

Öffentlichkeit ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Kunst kulturelle, soziale und politische Wirkungen erzielen kann. Kunst, die sich nicht öffentlich zeigt oder zeigen kann, kann auch nicht wahrgenommen werden. Aber wer seine Kunst öffentlich zeigt, setzt sie und sich selbst der Kritik, dem Räsonnement und auch der Nöhlerei, aus. Dessen war sich Many von Anfang an bewusst: Er wollte Kunst – und nicht nur seine eigene – unter die Leute bringen. Deshalb gründet er 1976 mit seinem Steigerkollegen Rolf Feddern, dem freien Künstler Berni Woschek sowie den Goldschmieden Michael und Klaus Schadek die Künstlergruppe „werkstatt“ in einem ehemaligen Ladenlokal am Marientor in Buer.

Als die Goldschmiede ausscheiden, werden sie durch Rüdiger Goeritz und Maria Hilliges ersetzt. Diese Künstler wollen die Prozesse des Entstehens von bildender Kunst öffentlich machen und die Kunst ins Alltagsleben bringen. Damit folgten sie Hilmar Hoffmanns Devise „Kultur für alle“, die der „Hochkultur“ die „alternative Kultur“ und aktuelle Kunst gegenüber stellte.

In den Städten entstand die „Kulturladen“-Bewegung freier Initiativen, die der Alltagskultur als „Soziokultur“ Raum zur Kommunikation und Begegnung geben wollten. Kunst war nicht mehr „schöner Schein“, sondern zum kommunalen Politikum geworden. So gab es auch in Gelsenkirchen neben der „werkstatt“ u.a. damals die „Jazz & Art Galerie“ (1974), das „Komic“ (1975), die „Mantelfabrik“ (1975) und die „Pappschachtel“ (1977).

Vier Jahre ging es mit der „werkstatt“ am Marientor aufwärts, dann war dort „Schicht am Schacht“; sie fiel der Stadtsanierung zum Opfer, wie übrigens auch die „Mantelfabrik“ von Paul Sawitzki und Heiko Richter. Aber dann findet sich bald in der Hagenstraße 34 eine neue Bleibe für die Künstler. Die Anlaufstation für die „werkstatt“-Freunde aus nah und fern bleibt erhalten. Übrigens: auch die „werkstatt“ hat Geburtstag. Sie wird in diesem Jahr 35. In den letzten zehn Jahren musste die „werkstatt“ einige Turbulenzen überstehen.

Tod und Alter haben einige Pläne Makulatur werden lassen. Siegfried Danguilliers Tod, aber auch Manys Krankheit lösten kritische Situationen aus. Doch der Sturm hat sich wieder gelegt. Der Kulturort ist erhalten geblieben; denn 2009 hat sich Wolfgang Ullrich mit einem engagierten Team der „werkstatt“ angenommen und erfolgreich eine neue Programmstruktur entwickelt, die sich der intimen „kleinen, aber feinen Form“ verpflichtet fühlt. So wird bildender Kunst, Musik, Literatur, Tanz und Spiel gleichermaßen Raum gegeben und öffentliche Geltung verschafft.

V. Schluß

Mit einer großen Auswahl aus seiner künstlerischen Arbeit gibt uns Many zu seinem Achtzigsten noch einmal in seiner „werkstatt“ einen umfassenden Überblick über sein Lebenswerk als Künstler. Wir sollten sie als „Panaroma seines Lebens“ betrachten, das uns einen Rundum- und Überblick auf seine künstlerische Arbeit gewährt. Was Einblick und Verständnis angeht, so soll das mit zwei Zitaten von Bertolt Brecht geschehen, die er für Many geschrieben haben könnte:

(1)„Da du ein Arbeiter bist, der malt, kannst du uns auf deinen Bildern die Dinge anders zeigen, als wir sie zu sehen pflegen, genauer, reicher, praktischer. Sicher ist für dich eine Schüssel ein anderes Ding als für deinen Unternehmer. Nicht nur die Linien und Farben siehst du anders als ein anderer Maler, sondern auch die Schüssel als Schüssel siehst du anders. Auch den Menschen gewinnst du eine andere Seite ab mit Hilfe deiner Linien und Farben.“ .….

(2)„Der Kunst liegt ein Können zugrunde, und es ist ein Arbeitenkönnen. Wer Kunst bewundert, bewundert eine Arbeit, eine sehr geschickte und gelungene Arbeit.“

Ich habe versucht, einige Aspekte Deines Doppellebens als Bergmann und Künstler vorzutragen und hoffentlich etwas vermitteln können von den Mühen des Spagats zwischen Pflicht und Kür. Mit einem Bibel-Zitat habe ich begonnen, mit einem Zitat von Karl Marx komme ich zum Schluß. Es ist die von ihm im „Kapital“ beschriebene Dialektik der Arbeit zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit:

„Jenseits desselben (des Reichs der Notwendigkeit) beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.“

Du, lieber Many, hast mit Deinem Leben und dem Aushalten der doppelten Last fremdbestimmter und selbstbestimmter Arbeit dieser Utopie durch Dein Beispiel ein Stück Realität verschafft. Darin scheint auf, was die Sozialdemokratie meinte, als sie 1875 ihr Gothaer Parteiprogramm mit dem Satz eröffnete: „Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur…“!

Dafür, dass wir durch Deine Kunst an dieser Utopie teilhaben können, danke ich Dir, lieber Many, und Brigitte, Deiner lieben Frau, ganz herzlich. Denn Brigitte hat großen Anteil daran, dass Dein Werk gelingen konnte. Ich hoffe und wünsche, dass Du, wenn ich gelegentlich in die „werkstatt“ komme, noch lange auf Deinem Platz in der Ecke rechts neben der kleinen Theke sitzen wirst und wir zusammen einen trinken können.

Genau das sollten wir jetzt tun. Also dann – Prosit und Glückauf!{jcomments on}

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments