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Ansprache am 25. Februar 2011 in der „werkstatt“ Gelsenkirchen-Buer

I. Gratulation zum Achtzigsten

Als 1966 der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, seinen 90. Geburtstag feierte, wünschte ihm ein Gratulant, dass er 100 Jahre alt werden möge.

Worauf der „Alte aus Rhöndorf“ erwiderte: „Warum wollen Sie der Barmherzigkeit Gottes so enge Grenzen setzen?“

Du magst daran erkennen, lieber Many, da ist für Dich nach oben noch Luft drin. Trotzdem behält, bei allen Spekulationen über das, was noch vor uns liegt und Zukunft genannt wird, der alte Bergmannsspruch seine Gültigkeit: „Vor der Hacke ist es duster!“ Und weil das so ist, gratuliere ich Dir hier und heute zur Feier Deines 80. Geburtstages und wünsche Dir für Dein neues Lebensjahrzehnt schlicht, aber herzlich – Glückauf!

Bei diesem Gruß nach vorn kann es jedoch allein nicht bleiben. Wie schon vor zehn Jahren beim 70. stehe ich heute wieder auf der dritten Stufe der Treppe, um der Bitte von Wolfgang Ullrich nachzukommen, Deine Lebensleistung als Bergmann und Künstler sowie Deine Kulturarbeit in und mit der „werkstatt“ zu würdigen.

Was in einem langen Leben drinstecken kann, ist im 10. Vers des 90. Psalm der alten Lutherbibel trefflich auf den Punkt gebracht: „Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s 80 Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“ Dieser Text bringt die Quintessenz Deines bisherigen Lebens klar zum Ausdruck: Denn Mühe und Arbeit haben Dein Leben und damit Deine Persönlichkeit geprägt.

Köstlich war Dein Leben immer dann, wenn eine Arbeit getan oder ein Werk vollendet war und sich die Genugtuung darüber einstellte, dass die Mühen vorüber und das Ergebnis gelungen waren. Wenn allerdings in der neuen Bibelübersetzung von 1984 zu lesen ist: „…und was daran köstlich scheint, ist doch vergebliche Mühe…“, weil Luthers Formulierung „heute missverständlich“ sei, dann kommt mir das relativierend und ungenau vor, zumal auch das Wort „Arbeit“ gestrichen wurde, obwohl sie auch nach christlicher Auffassung für das menschliche Leben substanziell ist. Hätten die neuen Bibelübersetzer Many gekannt, wären sie vielleicht beim alten Text geblieben.

II. Beruf und Familie – Biografisches im Zeitraffer

Manfred (Many) Szejstecki wurde 1931 in Breslau (Schlesien) geboren. Hier verbrachte er seine Kindheit. 1945 floh die Familie in die sowjetische Besatzungszone nach Eisleben (Thüringen). Von dort machte sich der Sechzehnjährige im Sommer 1947 allein auf den Weg in Richtung Westen und landete im Ruhrgebiet. Auch hier hungerte man wie überall nach dem Krieg.

Aber – und das war anders als anderswo – hier gab es, „Arbeit satt“, vor allem im Bergbau. Kohle wurde als „schwarzes Gold“ gehandelt. Sie wurde gebraucht wie auch die Bergleute, die sie einige hundert Meter tief „unter Tage“ abbauen mussten, um die Wirtschaft mit Energie zu versorgen und vor allem die Schwerindustrie und das Baugewerbe wieder in Gang zu bringen. So wurde Many – „Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“ – Bergmann. Von Berufswahl konnte keine Rede sein. Man musste nehmen, was man kriegen konnte. Auf der Zeche „Minister Stein“ in Dortmund hat er den Beruf des Bergmanns von der Pike auf gelernt und ihn vom Berglehrling bis zum Steiger durchschritten und durchlitten. Die „Maloche auf Zeche“ und die Solidarität der Kumpels „im Pütt“ haben ihn im Revier heimisch werden lassen.

Aber endgültig besiegelt wurde dieser Prozess erst, als er Brigitte kennenlernte und sie 1956 heiratete, um mit ihr eine Familie zu gründen. Bald schon werden die Kinder Dagmar und Eberhard geboren, die übrigens beide das künstlerische Talent vom Vater geerbt haben. Mit einiger Verspätung kommt 1971 noch Roland hinzu, der sich als echter „Schalke Fan“ allerdings mehr der Fußball-Kunst zuwendet. Inzwischen sind Many und Brigitte siebenfache Großeltern und zweifache Urgroßeltern.

Mit der Familiengründung hat Many das für ihn beruflich Mögliche erreicht. 1957 wechselte er von Dortmund nach Gelsenkirchen und wird Reviersteiger auf der Zeche „Wilhelmine Victoria“ in Hessler. Wegen der bald einsetzenden Kohlenkrise und den folgenden Zechenstillegungen in den 1960er Jahren lernte Many noch die Zechen „Bergmannsglück“ und schließlich „Westerholt“ kennen, wo er 1983 nach 25 Jahren seine bergmännische Erwerbsarbeit beendete. Die wirtschaftliche Existenz der Familie ist gesichert. Er kann mit seiner Familie in gut situierten Verhältnissen leben. Der 52jährige nutzte die Chance der Frührente, um endlich und ausschließlich als freier Künstler arbeiten zu können.

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Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

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