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Im Abstand von ein paar Jahren erscheinen sogenannte PISA-Studien, die das Ausmaß fehlender Bildung international vergleichbar machen. PISA steht für „Programme for International Student Assessment“, was darauf hindeutet, dass der Name nicht von einer italienischen Stadt abgeleitet wurde, die einen Dom mit einem bemerkenswerten Turm besitzt.

Das Fundament des Turms, welches neben dem Baptisterium auf nachgiebigem Grund gelegt wurde, gab bekanntlich über Jahrhunderte langsam nach, sodass der Rundbau sich schließlich deutlich zur Seite neigte, was ihn zunächst berühmt, dann viel besucht und schließlich zum Sanierungsfall machte. Daraufhin beschäftigten sich Bauingenieure und Restauratoren über ein Jahrzehnt lang damit, das Bauwerk in seiner einmaligen Schieflage zu stabilisieren. Man schaute auf ein weltweites Unikat, das seine Macken und Unzulänglichkeiten behalten und weiter zur Schau stellen sollte. Seit 2001, nach 11jähriger Sperrung, ist diese „Fast-Katastrophe“ wieder zu besichtigen.

Und hier beginnen Parallelen zwischen Pisa und PISA. – Ein erstmals messbarer Vergleich des deutschen Schulsystems mit dem anderer Länder sorgte im Jahr 2000 für den sogenannten „PISA-Schock“. So interpretierten die in Deutschland für Bildung zuständigen staatlichen Akteure den Platz im Mittelfeld, während die Kinder aus Finnland vor Korea, Hongkong und Japan Spitzenwerte in Sachen Schulleistungen erzielten. Beim Vergleich der Ergebnisse in Mathematik, Lesekompetenz, Naturwissenschaften und „Problemlösen“ landeten die Insassen des deutschen Bildungssystems irgendwo unter ferner liefen. Germaniens Schüler starteten bei 487 Punkten und holten zwölf Jahre lang auf, bis im Jahr 2012 ein Ergebnis von 524 Punkte Platz 16 ergab.

Danach ging es wieder kontinuierlich abwärts. Das – auch durch die galoppierende Migration – überforderte Schulsystem kam immer weiter unter Druck und brach im Lockdown der Corona-Panik teilweise zusammen. Es wurde bei PISA 2022 messbar, dass die Schülerleistungen damit wieder auf dem Niveau von vor 20 Jahren und darunter zurückgefallen sind. So schlechte Matheleistungen, wie im Jahr 2022, sind noch nie bei Schülern im deutschen Bildungssystem gemessen worden, wurde heute bekannt gegeben.

PISA 2022: https://www.deutschlandfunk.de/pisa-studie-2022-102.html

Seit der ersten PISA-Studie treten Kritiker auf den Plan und meinen, die ganze Vergleicherei ergäbe doch nur ein schiefes Bild. Jedes Kind lerne doch anders. Deshalb reiche es aus, wenn man den Unterricht und die Verweilzeiten in den Schulen nur ein wenig anpasse: schreiben nach Gehör, alle in den Ganztag, jedem ein Tablet und niemand werde zurückgelassen, hieß es. Der Slogan „Bildung ist der Schlüssel zur Teilhabe“ wurde immer wieder zitiert, bis jeder meinte, die Schule habe auch für alles zu sorgen, was früher Eltern, Familien, Kirchen und Vereine geleistet haben.

Der Slogan hörte sich für die gut an, die unter „niemanden zurücklassen“ verstanden, dass alle anderen eben warten müssen. Weil es „einfach gut sei“, wurde auch die Inklusion praktisch über Nacht eingeführt und traf auf unvorbereitete Bildungseinrichtungen. Raumausstattung und Personal waren nur lückenhaft vorhanden. So mancher Unterricht wurde nun richtig langsam. Es war ein ideologisches Projekt, bei dem die Gedankenklempner in ihren Modellvorstellungen nicht die tatsächlichen Bedürfnisse „aller Schüler“ berücksichtigten. Sie folgten einer Idee, die im Mittelmaß ein Ideal sieht. Dass Kinder mit Handicap Förderschulen besuchen, dort passgenau unterstützt werden, sollte durch die Inklusion abgeschafft werden. Es sei wichtiger, dass alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, so wurde argumentiert. Bei den Eltern und Schülern einer Gelsenkirchener Schule für Sehbehinderte war das Entsetzen groß, als deren mögliche Schließung offen diskutiert wurde. Dazu kam es nach Intervention der Betroffenen nicht, zum Glück für die blinden Kinder.

Politiker schufen Gesetze, die teilweise zeitlich wie finanziell unerfüllbare neue Ansprüche verankerten, welche Eltern und Kinder gegenüber den Schulträgern geltend machen konnten. Dieselben Politiker überließen die Umsetzung und Schaffung der Ressourcen (baulicher und menschlicher Art) dann den Kommunen, forderten Tempo und geizten mit finanziellen Mitteln. Gelsenkirchens Ex-OB Baranowski kann ein Lied davon singen, wie die Stadt Gelsenkirchen (nach dem prognostizierten Schulrückbau wegen sinkender Schülerzahlen) per Power-Slide eine 180°-Wende hinlegen musste und dabei alles investierte, was in der hoch verschuldeten Stadt einsetzbar war. Die Prioritäten stimmten, aber die Bürger dieser Stadt hätten es damals gern gesehen, wenn sich der erste Bürger der Stadt auch dazu hätte hinreißen lassen, den gesetzgebenden Landes- und Bundespolitikern öffentlich und immer wieder den Marsch zu blasen. Dafür war er wohl nicht Rampensau genug. Schade eigentlich.

Wohin die Reise geht, hat der australische Komiker Neel Kolhatkar vor 8 Jahren (2015) in einem satirischen Kurzfilm mit dem Titel „Modern Educayshun“ festgehalten. Er zeigt darin Geisteströmungen, die in der angelsächsischen Welt damals großen Einfluss gewannen und sich inzwischen über den ganzen Westen ausgebreitet haben. Wer junge Menschen an Hochschulen und Universitäten kennt und mit ihnen ins Quatschen kommt, wird sich wundern, wie prophetisch die Sicht des Sohns indischer Einwanderer vor nicht einmal einem Jahrzehnt war. (Im Video können deutsche Untertitel eingeblendet werden.)

Die aktuelle Debatte rund um das Selbstbestimmungsgesetz, das – wie von Flach-Erdern erdacht – die Biologie umdeutet, wird demnächst zum alltäglichen Irrsinn. Die machthabenden Personen sind bereits Opfer der hausgemachten Bildungsmisere geworden. Das erklärt zwar einiges, hilft unserem Land, seinen Bürgerinnen, Bürgern und Bürgen aber nicht wirklich.

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Bernd Matzkowski

Es wurde ein aktualisierter Rahmen für die Mathematikbewertung entwickelt, um den weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen seit PISA 2012, der letzten Ausgabe, bei der Mathematik im Mittelpunkt stand, Rechnung zu tragen. Verschiedene gesellschaftliche Veränderungen – wie die Digitalisierung, die Globalisierung, neue Technologien und die Nutzung von Daten für persönliche Entscheidungen – haben neu definiert, was es bedeutet, mathematisch kompetent und gut gerüstet zu sein, um im 21. Jahrhundert voll und ganz am Leben teilzunehmen.  Bei der mathematischen Kompetenz geht es nicht nur darum, Routineverfahren reproduzieren zu können. Vielmehr geht es darum, mathematisch zu denken, um komplexe reale Probleme in einer Vielzahl von modernen Zusammenhängen zu lösen. (Quelle. OECD (https://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-studie/haeufig-gestellte-fragen.htm#:~:text=PISA%20wurde%20von%20der%20Organisation,Schülerinnen%20und%20Schüler%20zu%20evaluieren.) (Fetthervorhebung durch mich, BM)
Hinter den pädagogischen Floskeln (voll und ganz am Leben teilnehmen) verbergen sich ökonomische Kriterien: 
Was die OECD hier zum Thema PISA 2022/Mathematik schreibt, gilt generell: In einer globalisierten Welt (PISA erstmals 1997) ist die (einmal marxistisch formuliert) „industrielle Reservearmee“ auch weltweit zu finden (über hundert Staaten nehmen an PISA teil); die Standards, in dieser Welt (der Technologie und Digitalisierung) zu bestehen, sollten möglichst überall beherrscht werden, um überall einsatzfähig zu sein. Da wird Deutschland abgehängt und sucht überall Facharbeiter und kompetente Menschen (man saugt auch gerne mal die Gebildeten aus Afrika ab, obwohl deren Heimatländer diese Menschen auch bitter nötig haben)

Deutschland hat in seinem Bildungsweg unter den genannten Gesichtspunkten genau die Gegenrichtung eingeschlagen – die methodische Quacksalberei, die pädagogische Entkernung, das Schleifen des Leistungsniveaus, die Aushöhlung der Anforderung an die Abschlüsse inkl. Abitur und die Ersetzung von Leistungsnachweisen durch „Gelingensnachweise“ und schließlich  die Kapitulation vor der Aufgabe, über schulisches Wissen hinaus BILDUNG zu vermitteln, sind die Grundlagen des Abstiegs des Volkes der „Dichter und Denker“. Bestimmte sozio-ökonomische Faktoren (Migration, „bildungsferne Schichten“) verschärfen das Grundproblem, ebenso die generelle Diskreditierung der Auffassung, dass Leistung eine „Bringschuld“ ist, sondern vielmehr Leistungsanforderungen nahezu ein Gewaltakt an Kindern und Jugendlichen sind.

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