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Gelsenkirchen: Stadt ohne Gewalt. Jetzt mit Reimkünstlern!

 Es gab einmal vor vielen, vielen und noch mehr Jahren – jedenfalls nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges – ein Ortsschild, auf dem der Besucher der Gelsenkirchener Innenstadt lesen konnte: „Gelsenkirchen – Stadt ohne Gewalt“. Das war ein Versprechen. Oder eher ein frommer Wunsch. Da hätte auch stehen können: Gelsenkirchen – hier leben keine Wölfe mehr! Und Pandas auch nicht! Oder: Gelsenkirchen – hier haben einmal tausend Feuer gebrannt, aber jetzt haben wir eine Feuerwehr. Also irgendetwas von der Art und von ähnlicher Relevanz! Das Schild ist jedenfalls weg. Wer es abmontiert hat und wo es verblieben ist? Das wäre mal eine Anfrage im Rat der Stadt wert! Jedenfalls müsste auf dem Schild heute stehen: Gelsenkirchen – Stadt mit ordentlich viel Gewalt! Statt 1000 Feuer jetzt 1000 Messer! Sagte man früher, viel früher, also zu meiner Jugendzeit, liebevoll-selbstironisch, aber nicht ohne Realitätsbezug „Kommse nach Resse, krisse einen in die Fresse“ oder „Kommse nach Erle, verhauen dich die Kerle“, macht man heute lieber einen Bogen um den Hauptbahnhof, den Busbahnhof in Buer, den Heinrich-König-Platz und andere Gewalt-Hot-Spots.

Doch auch Freunde der Massen-Kloppe haben eine Heimat in GE, sozusagen eine Arena, wo man schon mal zu mehreren Dutzend die Gäste aus anderen Regionen mit fliegenden Fäusten empfängt und sich gegenseitig das Gesicht poliert. Aber genau hier, an dem Ort, der nach roher Massengewalt riecht, steigt auch das Erhabene, die vergeistigte Poetik empor.

Denn: Gelsenkirchen ist seit einiger Zeit eine Hochburg moderner (politischer) Lyrik, die in den einschlägigen Kultursendungen der Öffentlich-Rechtlichen schon als „Neo-moderne Ultra-Lyrik“ gehandelt wird. Was früher in Gelsenkirchen die „Literarische Werkstatt“ und die „Literatur der Arbeitswelt“ waren, ist nun diese frische, zeitgemäße und der Reimkunst huldigende neue Literaturströmung aus Gelsenkirchen. Beispiel: „Polizei GE: Verhältnismäßigkeit ausgeblendet, zusammen mit der Bild die Menschenjagd vollendet.“

Da kniet der Literaturfreund nieder und bekommt vor Begeisterung innere Blutungen. Politische Aussage und strenge literarische Form: diese Kombination erreicht die Qualitäten des frühen Benn und des alten Goethe, ist richtig gut abgehangen wie ein Dry-Aged-Rib-Eye-Steak vom Kobe-Rind. Da franst nichts aus, da wabert nichts durch die Sprachlandschaft, das ist poetisch auf den Punkt gegart!

Zum Sprach-Orgasmus kommt es u.a. dadurch, dass diesem Zweizeiler ein zweiter zugeordnet ist: „Bullen und Springer Hand in Hand jagen Fans im ganzen Land“. Unter Beibehaltung des Paarreims wird hier mit den Kadenzen gespielt: weiblich-klingend versus männlich-stumpf (ausgeblendet/vollendet – Hand/Land) – der weibliche Schwinger und der männliche Faustschlag zu Sprachkunst geworden!

Es kommt noch etwas hinzu: diese neue, junge, kraftvolle Reimschmiedekunst wird vom Fußballverein FC Schalke 04 aufs Tatkräftigste unterstützt, denn die jungen Poeten können ihre Verse in der Heimstätte des Traditionsvereins vor 60000 Menschen vortragen. Mehr Unterstützung von Lyrik geht nicht, mehr Förderung der Kultur geht nicht, mehr geht nicht – bis zum GEHTNICHTMEHR!

Wahrlich eine Frohe Botschaft aus der Stadt Gelsenkirchen für die Welt!

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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5 Kommentare
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Fra.Bara.

Sollte etwa meine Heimatstadt eine Stadt der Poesie sein?

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Heinz Niski

Klar, GE ist das Herz im Revier, mit kraftvoller Zauber-Poesie.

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Last edited 10 Tage zuvor by Heinz Niski
Den.Zitze.

Bitte, ich hatte das gerade vergessen…

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