Die wunderbare Welt des Absurden (5)

„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“ Albert Camus

Vielleicht kennen Sie die Sendung „EXTRA 3“, produziert vom NDR für die ARD. Der Untertitel der Sendung lautet „Der Irrsinn der Woche“ und eine Rubrik heißt „Realer Irrsinn“. Die Sendung setzt sich mehr oder weniger satirisch mit politischen Themen, gesellschaftlichen Entwicklungen und dem einen oder anderen Skandal auseinander. In der Rubrik „Realer Irrsinn“ geht es in kleinen (filmischen) Beiträgen überwiegend um aberwitzige Verwaltungsentscheidungen, etwa Ortsschildpossen, um weltfremde Vorschriften des Paragrafendschungels, um unsinnige Verkehrsplanungen und die Verschleuderung von Steuergeldern durch staatliche Instanzen.

Gelsenkirchen hat gute Chancen, demnächst in der Rubrik „Realer Irrsinn“ gewürdigt zu werden, denn die Verwaltung plant das Aufstellen von drei  „Pergola-Sitzbänken“ auf dem Heinrich-König-Platz, um das Klima auf der „Hitzeinsel“ HKP zu verbessern. Das reicht natürlich noch nicht, um Sendeminuten zu erhaschen. Die Absurdität des Projekts besteht darin, dass sogar die Verwaltung selbst (bzw. die verantwortliche Arbeitsgruppe) darauf hinweist, dass die aus Holz gefertigten Sitzmöbel nur eingeschränkt funktional sind und die Arbeitsgruppe deshalb nur „mäßig glücklich“ ist.

Warum ist das so? Die Bänke sind von einem Sonnensegel überspannt, das Schatten spenden soll. Allerdings tut das Segel das nur unmittelbar über der Bank bzw. im Bankbereich. Ein Schattenspender für größere Flächen ist die Bank samt Segel also nicht.

Nur eine der drei Bänke wird mit einem Wasservernebler ausgestattet sein, was im unmittelbaren Bereich der Bank zur Kühlung der Luft beitragen soll. Das Wasser soll aus Niederschlagswasser gewonnen werden, das in einem Tank gesammelt wird. Zudem sollen die „Gelsendienste“ bei Bedarf den Tank füllen.

Ein weiterer Minus-Punkt: Die Sitzhöhe der Bänke ist gering, Armlehnen gibt es nicht, ebenso fehlen Rückenlehnen. Die Konsequenz daraus: Die Gesamtgestaltung ist für mobilitätseingeschränkte Personen eher problematisch.

Von Juli bis September sollen die drei Sitzbänke angemietet werden. Die Kosten für Aufstellung, Miete und Wartung belaufen sich auf rund 31000 EURO.

Kurz: Unter funktionalen Gesichtspunkten sind die Bänke eher ein Schuss in den Ofen. Die Funktionalität ist gering, benutzerfreundlich sind sie für bestimmte Gruppen der Bevölkerung nicht, der Wartungsaufwand einschließlich des Auffüllens des Wassertanks dürfte nicht unerheblich sein.

Womit die Stadt aber vielleicht punkten kann, so dass es doch noch für einen Beitrag in der Reihe „Realer Irrsinn“ reicht: Die Bänke sind mit einem Gestell aus Edelstahl ausgestattet, an dem sich Pflanzen in die Höhe ranken können und sollen. Darunter sollen auch Pflanzen sein, die essbar sind, so dass die Bänke echte Veggie-Bänke sind! Ob man die sich hochrankenden Pflanzen vor Ort verspeisen muss und darf oder sie mit nachhause nehmen kann, um dort eine Mahlzeit zuzubereiten, ist noch nicht vollends geklärt.

Aber es kann davon ausgegangen werden, dass zügig eine Benutzerordnung erstellt wird, die diese Unklarheit beseitig! Das kann man in Gelsenkirchen wohl erwarten! Offen ist noch die Entscheidung über den Vorschlag, an den Bänken kleine Tafeln aus Edelstahl anzubringen, auf denen die folgenden Zeilen von Goethe zu lesen sind:

„Nichts schmerzlicher kann den Menschen geschehn,

Als das Absurde verkörpert zu sehn.“ ***

Quelle/siehe u.a.

https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/article241729786/So-soll-Gelsenkirchens-Hitzeinsel-Nr-1-entschaerft-werden.html

*** Goethe, J. W., Gedichte. Ausgabe letzter Hand, 1827. Zahme Xenien 2