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„Bei Krampfadern handelt es sich um dauerhaft erweiterte Blutgefäße des oberflächlichen Venensystems. Die veränderten Venen sind knotig geschlängelt, bilden Knäuel oder Netze und können deutlich nach außen vortreten.“*

Krampfadern sind zumeist ein (körperliches) Problem älterer Menschen. Eine  Ursache kann ein Mangel an Bewegung sein, eine zweite Übergewicht. Neuerdings hat man auch Krampfadern im Bereich des Sprachzentrums festgestellt. Häufigste Ursache: eine vermeintlich korrekte Gesinnung. Sprachtheoretisch geht es hier um die Performanz im Kontext von Sprechakten, die Konstruktionen bewirken, z.B., Judith Butler folgend, das Konstrukt einer geschlechtlichen Identität. So wenn die Hebamme ruft: „Es ist ein Mädchen!“ Dann ist dies mehr als eine Feststellung, nämlich zugleich eine Zuweisung, ein „direktiver Sprechakt“ im Sinne der Aufforderung „Werde ein Mädchen!“

Nun kann es zwar sein, dass das Neugeborene einen Penis hat, aber die Zuweisung „Es ist ein Junge!“ dennoch als einseitige Festlegung auf ein Geschlecht bzw. eine Geschlechterrolle verstanden werden kann, die eine vorschnelle Ausformung einer geschlechtlichen Identität mit sich bringt.

Bei einer übermäßigen Anstrengung, solche Vorfestlegungen (Zuweisungen, direktive Sprechakte) zu vermeiden, kann es zu Sprach-Verknotungen kommen, Vorformen von sprachlichen Krampfadern. Ein Beispiel dafür liefert ein Artikel in der heutigen Lokal-Ausgabe einer Regionalzeitung, der sich mit Kontrollen des Zolls und anderer Behörden in Lokalen (!!) des Bahnhofsviertels beschäftigt, wobei der Verfasser (der/die Verfassende!) sich nicht so ganz entscheiden kann, welche Sprechakte nun richtig sind. Der Text ist durch Uneindeutigkeit in dieser Hinsicht gekennzeichnet und wechselt zwischen Vorfestlegungen und offenen Geschlechtszuweisungen.

Im Artikel tauchen „Beamte“ auf (Verbeamtete), die aber von „Lebensmittelkontrolleurinnen“ (weibliche Zuweisung, besser. Lebensmittelkontrollierende) begleitet werden und zugleich von zwei „Hundeführern“ (männliche Zuweisung, besser: Hundeführende) samt ihren „Diensthunden“ (Zuweisung: besser: Diensthunde und Diensthündinnen oder Diensthundende). In den Lokalen tauchen „Mitarbeitende“ auf, diese sind häufig „Kellnernde, Kochende und Co.“.  Tätig ist eine „Zollbeamtin“ (weibliche Zuweisung, direktiver Sprechakt), die auf einen „Geschäftsführer“ (männliche Zuweisung, direktiver Sprechakt) trifft. In den Lokalen begegnet der Zoll auch „Protagonisten“ (männliche Zuweisung, direktiver Sprechakt, besser: Protagonistinnen und Protagonisten oder Protagonistende). Schließlich gibt es auch noch einen „Einsatzleiter“ (männliche Zuweisung, direktiver Sprechakt, besser: einen Einsatzleitenden).

Während also Begriffe wie Mitarbeitende, Kellnernde und Kochende (und Co.) direktive Sprechakte (im Sinne Judith Butlers) vermeiden, legen Lexeme wie Hundeführer, Zollbeamtin und Einsatzleiter vorschnell Geschlechtsfixierungen fest, werden also den Handelnden hinsichtlich ihrer Identität (vielleicht) nicht gerecht und halten an einer Geschlechterdualität (männlich/weiblich) fest.

Diese Uneindeutig ist ein Zeichen für eine beginnende Verknotung im Sprachzentrum des Schreibenden, führt dauerhaft zu einer krankhaften Veränderung der „Gehirnvenen“ und einer möglichen kompletten Blockade des Sprachzentrums.

Dem Verfasssenden des Zeitungsbeitrags, der sicher auch seiner vormaligen „Entbindenden“ oder „gebärenden Person“ (früher: Mutter) gestern zum „Internationalen Frauenden-Tag“ gratuliert hat, gebe ich diese kleine Geschichte mit ins Wochenende:

Ein Genderbeauftragter kommt in die die Kneipe und bestellt eine „Radlerin“, worauf der Wirt antwortet: „Sorry, aber das Zapfhuhn ist kaputt!“

*https://www.phlebology.de/patienten/venenkrankheiten/krampfadern/#:~:text=Bei%20Krampfadern%20handelt%20es%20sich,vom%20lateinischen%20Wort%20varis%20%3D%20Knoten.

***“Zoll kontrolliert Gastro-Betriebe in der Stadt“ (WAZ, Papierausgabe 9.März 2024) Hinweis: Alle kursiv/fett gesetzten Lexeme sind dem Text entnommen! ***

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Soweit ich weiß, werden Diensthundende unterteilt in DienstRüdInnen und DienstFähige, zumindest bei der Bundeswehrenden MarinInnen.

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Last edited 2 Monate zuvor by Heinz Niski
Heinz Niski

Selbstverständlich. Das ist ein Pejorativ und meint: dieses Damenrad ist ungebildet (Metapher), unkultiviert (Metapher), ungepflegt (wörtlich). Also kein DAMENrad, sondern das Rad eines alten, weißen Mannes. Auch wenn es einen tiefer gelegten Einstieg hat.

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Ro.Bien.

ich mach mir Sorgen. ruhig. Brauner.

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Ro.Bien.

Ach, und apropos Krampfadernde: Es gibt einen 3. Grund für selbige: Schlechte Gene für Bindegewebe!

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Ali-Emilia Podstawa

Kellnernde, Kochende und Mitarbeitende.
Der Text fiel mir heute früh auch auf. Ich war bis zum Schluss darauf gespannt, wie die Partizipform für Zöllner gebildet wird. Da kam aber nichts, was ein Hinweis darauf ist, dass der gute, alte, geschlechtsunspezifische Zöllner in der generischen Form einfach, unmissverständlich und praktisch bleibt.
Ganz nebenbei hat es mich während der Lektüre überhaupt nicht interessiert, wer da welches Geschlecht hatte. Das Gedudel auf dem woken Sprachsack lenkte vom Eigentlichen ab. Interessanterweise spielte bei den Hunden das Geschlecht für den Autorenden keine Rolle. Wie unsensibel. Das könnte Tierschützende massiv verletzt haben.

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Last edited 2 Monate zuvor by Ali-Emilia Podstawa
Heinz Niski