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Selbst Goethe, wir haben gelegentlich bereits darauf hingewiesen, scheute nicht vor Analvokabular zurück, wenn es denn passte. So lässt er bekanntlich seinen Götz von Berlichingen im dritten Akt des Götz-Dramas dem kaiserlichen Boten zurufen: „Sag deinem Hauptmann: Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“

Jenseits bekannter Erklärungsmuster für die Verwendung von Vokabular aus dem Anal- und Fäkalbereich sowie Theorien der freudschen Schule zur analen Phase, zum Analcharakter, zur Reinlichkeitserziehung etc. werfen wir zunächst einmal einen Blick auf die Verwendung dieses Vokabulars im Alltag. Und unsere Alltagserfahrung lehrt uns, dass dieser Bereich des Vokabulars im Arsenal der Schimpfwörter und Beleidigungen einen großen Raum einnimmt und das Wort „scheiße“ eines der Wörter ist, die Zugewanderte, wenn sie mit der deutschen Sprache konfrontiert werden, häufig ziemlich schnell hören und auch „erlernen“. Scheiße, beschissen, Arsch und Redewendungen mit diesem Kontext haben bei uns in etwa die Bedeutungshäufigkeit wie „fuck“ im amerikanischen Englisch. Genauer:

Als produktivster Quellbereich innerhalb der derben bzw. vulgären Phraseologie des Deutschen gilt der skatologische Wortschatz (skatologisch: eine auf den Analbereich bezogene Ausdrucksweise bevorzugend). Die Phraseologismen mit der Komponente Arsch bilden (…) die mit Abstand größte Gruppe. Die zweitaktivste Komponente in diesem Bereich ist Scheiße(…).“** Als zweiter großer Quellbereich fungiert übrigens die Tierwelt (du Schwein, Sau, Esel, Ratte etc.).

Das Vokabular des skatologischen Wortschatzes zieht sich durch fast alle menschlichen Lebensbereiche: dumm wie Schifferscheiße sein, den Arsch zukneifen, in der Scheiße stecken, der Arsch geht auf Grundeis, er scheißt sich vor Angst in die Hose, sich den Arsch aufreißen, scheiß Arbeit, scheiß die Wand an, einen kalten Arsch bekommen, nur Scheiße im Kopf haben, ein Arschloch sein, jemandem die Rosette vergolden, Scheißwetter, scheiße labern, der Goldesel, der Dukaten scheißt, passt wie Arsch auf Eimer etc.

Dieses Vokabular und diese Redewendungen sind der Alltagssprache (der gesprochenen) Sprache zugehörig, in anderen „Sphären“ eher tabu und würden dort bei Verwendung als anstößig und unangemessen empfunden oder sogar sanktioniert werden, etwa bei einer Rede im Parlament. Im politischen Alltagsgeschäft, bei Großveranstaltungen und im Bezirk der Bierzelte sieht das schon wieder anders aus. In diesen Kontexten können Begriff aus dem Bereich des Analen und Fäkalen für Stimmung sorgen, wenn sie auf den politischen Gegner zielen. Insofern hat Generalissima Strack-Zimmermann zunächst mal lediglich eine verbreite Sprachebene betreten, als sie beim Neujahrsempfang der FDP in Richtung AfD und „Demokratiefeinden“ meinte sagen zu müssen: „Je größer der Haufen Scheiß, umso mehr Fliegen sitzen drauf.“ Anders als die Redewendung „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, deren Bedeutung klar umrissen ist, lässt Strack-Zimmermanns Bild aber Leerstellen zurück, ist deutungsvielfältig.

Nehmen wir an, was naheliegt, mit dem Haufen Scheiße sei die AfD (oder Rechtsextremisten aller Art) gemeint, dann ist zunächst einmal festzustellen, dass der Haufen Scheiße viele Wähler oder Sympathisanten und Parteigänger (Fliegen) anzieht. Strack-Zimmermann verunglimpft, wenn sie so verstanden werden wollte, zwischen 15 und 30 Prozent (je nach Bundesland und Wahlprognose) der wahlberechtigten Bevölkerung, stempelt diese Teile der Wahlberechtigten als für die Demokratie verloren und – um das Naturbild ins Politische zu übersetzen – als nazi-affin ab (Scheiße – Farbadjektiv: braun, politische Konnotation: Nazitum).

Es bleibt aber weiterer Deutungsspielraum: Wer hat den Haufen Scheiße, der so groß ist, denn produziert? Oder: Wer hat nicht verhindert, dass der Haufen Scheiße so groß geworden ist? Scheiße fällt, anders als himmlisches Manna, nicht einfach so auf die Erde, sondern muss „gemacht“ werden („du machst  wieder Scheiße“).

Vielleicht kann man das Bild aber auch so deuten: Der Haufen Scheiße ist der politische Schaden, den die Ampelparteien seit ihrer Regierungsübernahme „produziert“ haben. Und die Fliegen (die Wähler der AfD, die Rechten) treten deshalb in Massen auf, weil sie von dieser Scheiße angelockt werden bzw. angelockt worden sind. Schmeißfliegen legen bekanntlich ihre Eier besonders gerne in Kot ab. Aus den Eiern entstehen die Larven und daraus die Fliegen. Die Weibchen legen in den Sommermonaten mehrmals zwischen 150 und 400 Eier pro Eiablage ab (alle drei bis vier Tage). Der Scheißhaufen ist sozusagen die Brutstätte (der Nährboden) für die Fliegen. Wenn man Strack-Zimmermanns Bild also auf die tatsächlichen Naturvorgänge bezieht, ist der Regierungshaufen die Brutstätte für die AfD-Fliegen, die auf ihm als Nährboden in immer größer werdender Zahl gedeihen.

Das Wort „Scheiße“ im politischen Kontext ist zwiespältig, sozusagen politisch kontaminiert. Zumindest sprachlich (nicht inhaltlich!) begibt sich Strack-Zimmermann auf eine Ebene, die vor ihr der ehemalige Vorsitzende der AfD bereits betreten hat, als Gauland davon sprach, dass die NS-Zeit in der 1000jährigen deutschen Geschichte nicht mehr sei als ein „Vogelschiss“.

Strack-Zimmermanns Bild ist verrutscht. Es funktioniert nur, weil in der aufgeheizten Stimmung von 1000 Leuten, die beim FDP-Empfang anwesend waren, im mündlichen Vortrag die Brüchigkeit des Bildes nicht auffällt, denn es wird als eine Art „Büttenreden-Knaller“ wahrgenommen, der Lachsalven und Klatschmärsche initiiert, aber nicht ein Nachdenken über die Problematik, die angesprochen werden soll, dafür aber medial-pointiert rüberkommt (und deshalb in der Presse gerne zitiert wird).  Das Bild klammert, wie überhaupt die politische Debatte, die Frage aus, warum denn der „Haufen Scheiße“ immer größer geworden ist, vor allem seit Antritt der Ampel-Koalition. Ob das allerdings ein kausaler Zusammenhang ist oder lediglich eine Koinzidenz von zwei Ereignissen (Ampel-Regierungsbildung, Anwachsen der AfD), werden wir (vielleicht) in späteren Zeiten (sicherer) beurteilen können!

**Elzbieta Dziurewicz, Vulgäre und derbe Idiome im Deutschen. Einige Bemerkungen zu ihrer Bedeutung, Frequenz, Stilmarkierung und ihrem Gebrauch, Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu, 2019,

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Schiller von Friedrich

Die politische Landschaft wird bunter und vielfältiger, auch wenn einige Ewiggestrige sich nach längst vergangenen Zeiten mit einem 5-Parteien-System sehnen.

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Heinz Niski

Das ist alles nur noch Absurdistan, die einzigen, die die AfD groß gemacht haben, sind die Realitätsverleugner in den Parteien und Medien, die schon wieder die Karte spielen, dass die Wähler zu doof sind.Michael Hartmann sieht die Schuld nicht beim „doofen“ Wähler, sondern in der Politik der letzten 20 Jahre, die zu einem enormen Reallohnverlust der unteren Schicht und zu einer aberwitzigen Steigerung des Reichtums in der oberen Schicht geführt hat.
Aber Hauptsache wir demonstrieren mit Annalena Baerbock und Olaf Scholz gegen Forderungen von Identitären, die zuvor schon von CDU bis SPD so oder so ähnlich gestellt wurden.

Irre, womit der Bürger beschäftigt wird, damit er nicht die richtigen Fragen stellt.

Die Eliten und der Aufstieg des Rechtspopulismus – Michael Hartmann

Der enorme Aufschwung des Rechtspopulismus in vielen westlichen Ländern hat eine entscheidende Ursache, die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft. Hauptverantwortlich dafür ist die Politik der zentralen Eliten, die durch zahlreiche Entscheidungen die Wohlhabenden und Reichen begünstigt haben. Diese Entscheidungen sind durch die immer stärker von der Normalbevölkerung abgehobene Lebenslage der Elitenmitglieder und ihre mehrheitlich gehobene soziale Herkunft geprägt. Will man den Aufstieg des Rechtspopulismus bremsen, muss deshalb ein radikaler Politikwechsel in Richtung soziale Gerechtigkeit erfolgen und die Eliten und vor allem die politische Elite müssen sozial wieder wesentlich offener werden.

Michael Hartmann, geb. 1952, Professor em. für Soziologie, TU Darmstadt. Studium der Soziologie, Politikwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Germanistik, 1979 Promotion, 1983 Habilitation. Forschungsstipendiat der DFG. Letzte Buchveröffentlichung: Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden, 2018. 2002 und 2010 Thyssen-Preis für den besten sozialwissenschaftlichen Aufsatz des Jahres.

https://youtu.be/k72g7Sc90ZQ?si=x1BJf_gEHgDhf89p

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