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Mütter

Tatsache ist: wir werden immer weniger und die, die noch da sind, werden immer älter. Das ist die demographische Entwicklung. Und daran sind, das ist nur auf den ersten Blick ein Paradoxon, die Mütter Schuld. Also die Mütter, die noch kleine Kinder haben. Zum Beispiel im Café. Wenn man gerade anfangen will zu frühstücken.

Und in dem Moment kommen Mütter ins Café. Aber nicht allein, nur mal so für sich, um vielleicht zu entspannen oder zu frühstücken oder die Zeitung zu lesen. Nein, gemeint sind nicht die, die allein ins Café kommen, sondern die, die zu mehreren kommen. Also mehrere Mütter mit Kindern. Mit mehreren! Mindestens mit einem Kind, das den Tag noch überwiegend liegend verbringt, und einem Kind, das schon Vorformen des aufrechten Gangs entwickelt hat. Und mit Kinderwagen! Oder noch schlimmer! Die kommen nicht mit einem Kinderwagen, sondern mit Lastenrädern. Da sagt das Wort schon alles: Lasten! Also diese modernen Mütter mit ihren Lasten fallen ins Café ein wie einstmals der Hunnenkönig Attila im 5. Jahrhundert mit seinen Reiterhorden ins weströmische Reich eingefallen ist. Und diese Mütter, sagen wir mal zwei mit jeweils zwei Kindern, besetzen dann einen Tisch, an dem unter normalen Umständen locker acht erwachsene Personen Platz finden. Ganz bequem! Und dann packen die Mütter aus:

Babyflasche… Popocreme… Ersatzflasche… Lätzchen… Windeln… Plätzchen… Ball… Decke… Bärchen… Rassel… Sabbertuch aus Bio-Baumwolle. Und für die größeren von den Kleinen: Mobile Bibliothek, Lego und Playmobil, elektronische Lärmquellen auf neustem Spielzeugentwicklungsstand. Also Toniebox mit Kreativ-Tonie, sieben Stunden Akkulaufzeit und Flash-Speicher für bis zu 700 Hörinhalten. Da ist der Tisch voll…und der Nachbartisch auch, wo bequem acht weitere Erwachsene Platz gefunden hätten. Und die Fensterbank, denn die Mütter haben natürlich einen Fensterplatz in Beschlag genommen, weil sie auf das bunte Treiben auf der Straße schauen wollen und gleichzeitig auf die Lastenräder aufpassen müssen. Die zwei Mütter mit vier Kindern machen aus den zwei Tischen und der Fensterbank so eine Art Landschaftspark für Babyartikel und Kinderspielzeug. Und du denkst zunächst: Wie passt das alles in so ein Lastenfahrrad? Und im zweiten Anlauf: Das sieht nur aus wie ein Lastenfahrrad, das ist ein Tieflader. Ein Tieflader, der aussieht wie ein Lastenfahrrad! Und gleich packen die noch das Bettchen „Maxi“ aus, die Wickelkommode „Freundlicher Regenbogen“, das Indoor-Mobilitätsfördergerüst „Kleiner Kletter-König“ und Wuff und Waldi, die beiden XXXL-Kuschelhunde, die mit leicht verzerrter Akku-Hundestimme rufen können: „Kuschel mit mir, ich bin dein Kuscheltier“!

Als Höhepunkt der Auspackerei das Unboxing der Kinder. Also Regenjacken, Mäntelchen, Strickjoppe und was denn sonst noch alles an Kleidung für einen Aufenthalt im Innenraum überflüssig ist wird ausgezogen. Und die Fensterbank wird zur Kleiderkammer umfunktioniert. Dann ist das Quartett ausgepackt, die Kleinen bleiben im Spielzeugland, die beiden größeren Kinder dürfen ins Abenteuerland. Die kommen ins Freigehege, haben also Auslauf im gesamten Café.

Und die Gespräche an den anderen Tischen…also, da kehrt jetzt Ruhe ein, so eine Art Gespanntheit, so wie wenn die Atmung bei allen anderen Frühstücks-Gästen gleichzeitig aussetzt. Und auch das Kauen der Frühstückszutaten wird eingestellt.

Weil die Gäste alle wissen, was jetzt auf sie zukommt…nämlich… das ultimative Frühstücks-Fiasko, das Frühstücks-Frösteln, das Genuss-Grauen! Und das Grauen sieht aus wie die zwei Kinder, die schon Vorformen des aufrechten Gangs entwickelt haben, so dass die alles erreichen können, was dir beim Frühstück lieb ist. Z.B. mit dem Finger deinen Frühstücksquark oder die Marmelade. Oder die Wurst. Die hängt nach einem raschen Griff dem einen Kind im Gesicht, obwohl sie eigentlich nichts als Gesichtswurst gedacht war, sondern als Salami. Und die Mutti zwitschert: „Jerome, gib dem Onkel aber die Wurst wieder, der will die doch noch essen!“

Und das andere Kind macht sich inzwischen fröhlich, aber mit nahezu heiligem Ernst und fast „erwachsen“ zu nennendem Gesichtsausdruck mit deinem Frühstücksmesser als Holzschnitzer am Tisch zu schaffen. Und Mutti greift zum pädagogischen Besteck: „Maribelle, pass aber auf, dass du dich nicht schneidest mit dem Messer von dem Onkel.“ Und das Wurst-Kind hebt die inzwischen vom Gesicht auf den Boden gefallene Salamischeibe auf und legt die Ex-Salami auf die Milchhaube von deinem Kaffee. Und das findet die Mutter gut. Dass ihr Kind als Holzschnitzer so begabt ist oder als Kaffeedekorateur. Und weil das gut ist für die Kinderpsyche, wenn sich das Kind entfalten kann. Und wehe, dein Gesicht legt sich jetzt auch nur andeutungsweise in Falten, weil du den Kaffee ja extra ohne Wurst bestellt hattest und dein Frühstückstisch keine Werkbank für motorisch Hochbegabte ist, dann verwandelt sich so eine  Mutter auch schon mal in eine  Art menschliches Torpedo , und du siehst ihr förmlich an, wie sich – so ganz langsam – so von ganz tief Innen eine Verfärbung entwickelt – dagegen ist die Röte der Salami schon fast ein Weiß, und du siehst wie ihr Mund das Wort KINDERHASSER formen und dir auf die Salamischeibe in deinem Kaffee spucken will.

Doch dazu kommt es nicht! Weil die beiden kleineren Kinder nämlich inzwischen synchron AA gemacht haben. Und das macht wiederum die Mütter glücklich. Und dann packen die ihre Kackmaschinen auf den Tisch, legen die untere Hälfte des Kindes frei und begutachten das Darmprodukt. Und dabei überzieht eine Art mütterlicher Glanz ihr Gesicht, so wie bei Darstellungen der Mutter Gottes mit dem Jesuskind. Etwa bei Lucas Cranach d. Ä. („Madonna mit Kind“/Passauer Gnadenbild) oder Raffaels „Madonna del Granduca“.

Und spätestens jetzt bist du froh, dass du noch gar nicht angefangen hattest mit dem Frühstück, zahlst, gehst nach draußen an die frische Luft und denkst: Gut, dass das immer weniger werden und dass es bald nur noch Alte gibt. Die sabbern zwar auch und machen in die Windeln.

Aber dafür schaffen es diese Alten nicht mehr bis ins Café, wo du gerade sitzt und frühstücken willst.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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