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You can fool some of the people all the time, and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all of the time“ – (Abraham Lincoln)

Man muss die politischen Ideen der GRÜNEN nicht mögen oder kann sie sogar strikt ablehnen. Aber man muss neidlos anerkennen, dass die beiden Vorsitzenden der Landtagsfraktion die Kunst der politischen Phrase durchaus meisterlich beherrschen. Ob sie Naturtalente sind oder sich diese Fähigkeit durch den Besuch von Grund-, Aufbau- und Leistungskursen bei der Heinrich-Böll-Stiftung angeeignet haben, ist dabei zweitrangig. Es zählt: das Ergebnis! Aufwertung, Abwertung, Beschwichtigung – sie beherrschen diese Grundmuster perfekt. Fußballerisch gesehen sind sie stark im Gegenpressing, wobei ihre Haupttaktiken das Ausweichen und Umlenken sind, was im Interview deshalb verfängt, weil die Fragesteller sich mit den ersten Antworten offensichtlich gleich zufriedengeben, also keine Nachfragen stellen (jedenfalls ist das im Interview an keiner Stelle erkennbar).

An zwei Beispielen aus dem Interview möchte ich die Verfahrensweise der Interviewten darstellen:

Beispiel 1:

Frage: Krieg in Europa, Flüchtlinge, Energiepreise – benennen die etablierten Parteien die Probleme nicht klar genug?

Antwort Brems: Probleme klar zu benennen und klug zu lösen, ist Kernbestandteil von Politik. Wir erleben jedoch eine schleichende Diskursverschiebung. Verunsicherung in der Gesellschaft, Veränderungsdruck und multiple Krisen dürfen keine Rechtfertigung sein, um rechten Narrativen zu folgen.

Der erste Satz der Antwort ist eine preiswerte Banalität, passt in jeden Antwortbaukasten für politische Sprache, um einen Fragenden erstmal einzulullen. Was als tiefgründig und inhaltsschwer daherkommt, ist nichts anderes als eine rhetorische Scheinschwangerschaft – ein eigener Gedankengang als Antwort wird mittels einer unverbindlichen Allgemeinplatz-Aussage nur vorgetäuscht.

Der zweite Satz ist bereits das Umlenken als Teil des rhetorischen Gegenpressings. „Wir erleben eine schleichende Diskursverschiebung“. Die offensichtliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die Politik der Ampel wird zunächst als Diskursverschiebung „geframt“. Von der Frage, ob die „etablierten Parteien“ die Probleme nicht klar genug benennen und als Problem erkennen, erfolgt jetzt die Umkehrung in die Richtung, dass die Bevölkerung sich nicht so zu den Themen äußert, wie die „Etablierten“ es wünschen. Dann erfolgt die politische Einordnung oder Einnordung: es sind rechte „Narrative“, denen das Volk hinterherläuft und dafür gibt es „keine Rechtfertigung“. Von der Fragestellung (fehlerhafte Kommunikation der Regierenden) kommt Frau Brems in drei Sätzen zu einem politischen Vorwurf an die Bevölkerung: das Volk rennt „rechten Narrativen hinterher“. Von möglichem eigenen Versagen oder Fehlern wird umgelenkt auf das fehlerhafte Denken der Bevölkerung, die „rechten Narrativen“ folgt – wobei letztlich hinter dieser Formulierung steht, dass die Bevölkerung in großen Teilen nicht nur „rechten Narrativen“ folgt, sondern in Umfragen rund 20 % der Bevölkerung Sympathie für die AfD äußern (in einigen Bundesländern weitaus mehr als 20 %).

Als Beispiel wird dann noch der Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion genannt (Abwertung des politischen Gegners), mit der Absicht, die CDU wegen einer Äußerung oder Forderung dem „rechten Narrativ“ zuzuordnen.Was zeigt: alles jenseits der Ampel, vor allem aber der GRÜNEN , ist bereits der Gefahr ausgesetzt, rechten Narrativen zu folgen!

Wer also politisch nicht den „Etablierten“ (und damit auch den Grünen) folgt, wird als Verbreiter eines rechten Narrativs abgewertet. Der eigene (grüne) Anteil an dieser Entwicklung wird noch nicht einmal in Ansätzen reflektiert. In der Antwort taucht auch das Stilmittel des „versteckten Imperativs“ auf, das mehrfach im Interview zum Tragen kommt, hier etwa durch die Formulierung „dürfen nicht“ (andere Beispiele im Interview: … darf keine leere Floskel bleiben, auf Bundesebene muss es…).

Beispiel 2:

Frage: Müssen Sie sich als Grüne nicht stärker hinterfragen, weil sich offenbar viele Menschen von Ihnen in ihrer Lebensführung und auch in ihren Wertvorstellungen diskreditiert fühlen?

Antwort Brems:

Es ist immer klug zu hinterfragen, ob das Veränderungstempo, die Umsetzung und die Kommunikation unserer Politik angemessen sind. Das machen wir auch permanent. Es ist aber doch offensichtlich, dass wir das Feindbild der AfD sind und mit dem Zerrbild der der Verbotspartei Stimmung gemacht wird.

Das Muster der Antwort – bei gleichem Aufbau- ist das Muster der Antwort auf die erste Beispielfrage. Die Antwort beginnt wieder mit einem Allgemeinplatz, der Tiefgründigkeit simuliert: „Es ist immer klug zu hinterfragen, ob…“. Der zweite Satz setzt mit der Umlenkung ein, indem behauptet wird, die GRÜNEN machten das „permanent“ (Aufwertung), um dann – wie oben auch – vollends umzulenken auf die AfD (das „rechte Narrativ“), denn es ist nach Auffassung von Frau Brems lediglich ein „Zerrbild“ der Grünen, das von der AfD verbreitet wird. Wie im letzten Abschnitt des ersten Beispiels kommt dann noch ein wenig verbaler Boxkampf (Mittel: Abwertung) mit dem politischen Gegner, jetzt aber nicht der CDU, sondern der AfD.

Wieder ist die Ausgangsfrage im Kern nicht beantwortet, und leider fragt die Redaktion wieder nicht nach, z.B. indem man doch auf einige Beispiele verweist, in denen die GRÜNEN als „Verbotspartei“ auftreten oder aufgetreten sind, sich aber nicht immer durchgesetzt haben (Werbeverbot für Süßigkeiten, intendiertes Verbot von Gasheizungen, intendiertes Verbot von Verbrennermotoren, Tempolimit).

Das an diesen beiden Beispielen aufgezeigte Muster zieht sich, mit leichten Variationen, durch das gesamte Interview, das natürlich auch mit politischen Setzungen der beiden Interviewten aufgefüllt wird. So etwa, wenn von Frau Brems feststellt, dass das Gendern für sie „keine politische Streitfrage“ sei, was in der Konsequenz bedeutet, dass man darüber auch nicht politische zu diskutieren braucht.

Die Antworten der beiden Grünen sind, unter dem Aspekt rhetorischer Muster betrachtet, äußerst simpel gestrickt, täuschen Antworten vor, wo eigentlich die Fragen nur umschifft bzw. umgelenkt werden. Das kann man, je nach Standpunkt, als Geblubber oder auch als Demagogie bezeichnen, wenn man demagogische Sprache als solche definiert, in der sich die rhetorischen Mittel verselbständigen, also nicht mehr zu Unterstützung einer stringenten Argumentationskette bzw. plausibler Argumente dienen, sondern ausschließlich manipulativen Charakter haben. Oder, um noch einmal Lincoln zu zitieren: „Demagogie ist die fragwürdige Fähigkeit, die kleinsten Ideen in die größten Worte zu pressen.“

Vielleicht ist das aber sogar unwichtig. Hinter den Antworten scheint nämlich, so meine ich, ein größeres politisches Problem auf: Die beiden Interviewten machen den Grad der Entfremdung zwischen der politischen „Elite“ und großen Teilen der Bevölkerung deutlich. Man lebt in zwei Welten und man spricht zwei verschiedene Sprachen. Die politische Elite, auch das wird im Interview deutlich, erkennt diesen Entfremdungsprozess, schließt aber daraus nicht auf das eigene Handeln, sondern schiebt die Ursache dem (Wahl-)Volk zu, das auf die Etablierten nicht mehr hört, sondern einem falschen „Narrativ“ folgt. Dies drückt sich auch darin aus, dass Parteien immer wieder nach Stimmenverlusten äußern, sie hätten ihre „richtige“ Politik nicht gut genug kommuniziert (man will schließlich nicht sagen, das Volk sei zu blöd, um die gute Politik zu verstehen), was in etwa darauf hinausläuft, als sage man einem Autisten, er müsse doch einfach nur mal spontan sein!

So betrachtet, waren die Antworten „gute“ Antworten. Denn sie haben, bei genauem Lesen, etwas offenbart, nach dem überhaupt nicht direkt gefragt wurde!

***Quelle: WAZ (Papierausgabe Nr .193), Montag, 21.August 2023, Seite Rhein-Ruhr

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Fra.Prez.

Danke für die erhellende Autopsie.

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Di.Niew.

Ich hab nach der zweiten Frage im Interview aufgehört zu lesen. Das war so ein erbärmlich geführtes Gespräch – es hat mir glatt das Frühstück verdorben.

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