5
(4)

Die Gnade der späten Geburt

erlaubte mir, ohne zur Täter oder Opfergruppe zu gehören, rückblickend Erklärungs- und Deutungsmuster für die Verstrickungen der Deutschen in eines der größten Menschheitsverbrechen zwischen 1933 und 1945 zu suchen. Die Last der Verbrechen werden gleichwohl bis ins dritte Glied weiter gegeben, also an Unbeteiligte, die dennoch die Traumata der Eltern- und Großelterngeneration, oft stellvertretend für sie, aufarbeiten mussten.

Das sensibilisiert und erklärt in Teilen das Aufbegehren der sogenannten 68er Generation, erklärt den verurteilenden Blick auf imperialistische Kriege wie in Vietnam, Hungerkriege wie in Biafra.

Als spät Geborene wussten wir vorsichtig und misstrauisch mit Medien umzugehen, lavierten uns irgendwie durch zwischen US- und Sowjetpropaganda, verachteten Coca-Cola und Marlboro und tranken sie dennoch, rauchten die Cowboy-Zigarette. Wir wussten, warum wir nicht „nach drüben“ gingen und wussten gleichzeitig, dass die Konkurrenz zweier Systeme zwar ein Wettrüsten bis zur Vernichtung des Planeten bedeutet, andererseits aber auch Höchstleistungen auf kulturellem, technologischen, sozialen Gebiet hervorbrachten.

Irgendwann tauchten die Grünen auf, die ökologische, soziale Themen aus einer anderen Perspektive betrachteten und gleichermaßen kritisch Abstand hielten vom realen Sozialismus und Manchester Kapitalismus.

Ich war einige Zeit nicht nur Wähler, sondern sogar Mitglied der Grünen. Nichts, wofür ich mich schämen müsste.

Die Gnade der späten Geburt

Zeiten ändern sich, die Grünen haben einige Häutungen und Generationswechsel durchgemacht und sind schon lange nicht mehr meine politische Heimat.

Ich bin nun in dem Alter, wo ich mich fragen muss, welchen Anteil ich an der Entwicklung einer Strömung, Partei, von einer verkrusteten Strukturen aufbrechenden Bewegung, zu einem reaktionären, imperiale Strukturen verfestigenden Machtapparat habe.

Die Welt teilt sich gerade auf in einen Unipolaren und einen Multipolaren Block. Die Grünen sind Speerspitze, Vorreiter, Avantgarde auf der reaktionären Seite.

Nur noch sehr selten habe ich Kontakt zu alten Grünen Weggefährten, manchmal beklage ich mich halb im Scherz darüber, dass ich dort jetzt als alter, weißer, rassistischer, sexistischer, frauen- trans- xyz-feindlicher, nazistischer Mann gelabelt bin und von den wendigen, woken, aufstrebenden jungen Führungskräften in den Giftschrank gestellt wurde.

Wir behandeln das dann auf der anekdotischen Ebene und wissen, dass der Zug abgefahren ist. Worüber man nicht reden kann, muss man schweigen.

So wie meine Eltern- und Großeltern Generation?

Prof. Dr. Jörg Becker ist Experte für Kommunikations- und Propagandaforschung. Er beschäftigt sich mit Kriegspropaganda und Medien. Vielleicht erklärt seine Sicht manchen mich verstörenden (Meinungs)Schwenk meines sozialen Umfeldes, die mich als Geisterfahrer sehen, während ich sie schon als Teil des Publikums der Sportpalastrede empfinde.

https://www.telepolis.de/features/Unseren-Medien-geht-der-Atem-aus-7153957.html?seite=all

Die Gnade meiner frühen Geburt wird verhindern, dass ich die schlimmsten Auswüchse dieses politischen Irrsinns erleben muss.

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 4

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
1 Kommentar
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Ro.Bien.

Anekdote am Rande: Als weiter neugierig bleibende Menschin nahm ich als Atheistin letztens an einer freikirchlichen Session meiner jungen Mitzwanziger Nachbarn teil, beide studiert, der Mann CDU-Mitglied in Promotion, die glühende Verehrer Jesus sind. Mir fehlte noch der letzte Rest an Begreifen, wie man und frau auf so eine Art beseelt sein können und die Menschheit in dritten Welten – diesmal Nepalesische Kinder – mit Jeshua garantiert zur Glückseligkeit verhelfen.
Bei einem ausführlichen DIA-Vortrag habe ich es dann kapiert. Mit einer Mischung aus Lobpreisungen im Himalaya und einer großen Portion Arroganz, machte man sich über die Rituale einer Sterbestätte in der Nähe von Kalkutta lustig, Weltkulturerbe. Wie können die Hindus auch so tolerant sein, jede/n wie auch immer gearteten Gott einfach großzügig in ihre Gebete aufzunehmen. Wo es doch nur einen gibt. Dieser Ort der Hölle sei besser zu meiden, so wie es da schon aussähe, lohne es nicht.
Zuhause angekommen, schafften die beiden es nicht, ihre zugesagte Verantwortung zu übernehmen, sich an der Pflege des Gemeinschaftsgartens zu beteiligen, weil die Nachbarn 14 Tage verreist waren. Soweit reichte die Nächstenliebe nicht. Eine Woche zuvor hatten die beiden Väter des Paars auf dem kleinen Rasen Holzbalken für ein neues Hochbett geschliffen und gesägt. Die Kiloweise anfallenden Sägespäne haben trotz Vorwarnung das Grün zerstört. Man muss neu säen. Die Aufgabe blieb an einer Nachbarin hängen.
Tja.

0
0