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Nicht zu fassen: Das doppelte Versagen der Frau W.

Noch im alten Jahr habe ich ein Programm der von mir hochgeschätzten Lisa Eckhart besucht. Nach Abschluss der Veranstaltung konnte man sich von Frau Eckart verfasste Bücher signieren lassen. Dazu gab sie dem Publikum zwei Hinweise. Der erste Hinweis war die Bitte, nicht zu meinen, ihr während des Signierens die eigene Lebensgeschichte erzählen zu müssen. Der zweite Hinweis lautete so: Sie können mir während des Signierens an die Brust fassen, aber duzen Sie mich nicht!

Da ich mir kein Buch signieren lassen wollte, kam für mich weder das eine (an die Brust fassen) noch das andere (duzen) infrage. Es hätte aber für mich dieser Aufforderung (nicht duzen!) auch nicht bedurft. Ich wäre eh nicht auf die Idee gekommen, weil mir diese Duzerei durch jeden und jede ziemlich auf die Nerven geht. Etwa in „angesagten“ Szenelokalen. Ich fand es demgegenüber sehr angenehm, dass mir bei meinem Aufenthalt in Wien zum Jahresende die Ober in Caféhäusern und Restaurants nicht nur schwarzbefrackt und mit weißem Hemd entgegentraten, sondern auch mit einer freundlich zu nennenden Professionalität und Distanziertheit. Ich begegnete den Obern bei ihrer Arbeit natürlich ebenfalls mit einem SIE, das meinen Respekt und meine Wertschätzung ihrer Arbeit ausdrücken sollte.
Nun bin ich, was diese Haltung angeht, wohl nicht nur von gestern, sondern von vorgestern. Deshalb war ich wahrscheinlich einer der wenigen, die es gestört hat, dass die Oberbürgermeisterin der Stadt ihre Grüße zum Jahreswechsel auf Facebook (privat) mit einem kumpelhaften DU (im Plural) verbunden hat („Kommt gut rein!“). Mag sein, dass das zu den Gepflogenheiten auf facebook gehört, wo ich allerdings nicht angemeldet bin. Insofern betrifft mich das nicht persönlich, da ich nicht zu den Facebook-Freunden von Frau Welge gehöre, die als Privatfrau und als Oberbürgermeisterin einen account hat. Mich hätte das jedenfalls gestört, wenn ich einfach mal so geduzt worden wäre! Ich habe aber diese Nachricht lediglich weitergeleitet bekommen. Insofern ist das von mir konstatierte Versagen nicht auf mich als Individuum bezogen, sondern ganz generell auf Konventionen, Regeln, Normen, Verhaltensweisen!

Jedenfalls ist die Neujahrsbotschaft auch noch mit einem Foto versehen: Auf dem sehen wir, wie Frau OB in einem Gefährt sitzt, das wie eine verunglückte Kreuzung aus alter Lore und einem geschrumpften Karnevalszug-Waggon aussieht und der über und über mit weihnachtlichem Grünzeug und roten Blüten der Euphorbia pulcherrima (Vermutung!) geschmückt ist, so dass man erst beim zweiten Hinsehen erkennen kann, wo der Weihnachtskrimskrams aufhört und die Oberbürgermeisterin beginnt. Die zudem auf dem Bild so tut, als lenke sie dieses Fahrzeug, weswegen sie eine graue Kappe trägt, die von Ferne an Lukas den Lokomotivführer erinnert. Jedenfalls muss der Mensch, der dieses Foto gemacht und Frau Welge dann auch noch geraten hat, es zu veröffentlichen, ein echter Intimfeind der Oberbürgermeisterin sein! Das Foto ist natürlich Geschmackssache – die Duzerei nicht! Die ist mir zu abgeschmackt-kumpelhaft! Denn wer hier Steuern, Gebühren und Abgaben entrichtet, der hat auch das Recht, gesiezt zu werden! Auch von der Oberbürgermeisterin! Soweit zum ersten Versagen! Aber : Mich betrifft es  persönlich nicht!

Das zweite Versagen ist von größerer Bedeutung! Wir alle haben sicher mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener ab der kommenden Woche in 25 Folgen von „Hartz, Rot, Gold“ auf RTL 2, dem wesentlich von Akademikern und Singles mit Niveau geschautem Spartensender für Intellektuelle, eine tragende Rolle als Botschafter Gelsenkirchens spielen werden. In der Vorberichterstattung werden besonders Sandy und Dieter aus Horst hervorgehoben, die nicht nur in die Stadt Gelsenkirchen, sondern auch ineinander schwer verliebt sind, weswegen Dieter, der gemeinsamen Zukunft wegen, sogar seine Wohnung aufräumt.
Das muss man alles toll und mehr als großartig finden – für das verliebte Paar, aber auch für die gesamte Stadt. Wenn es da nicht einen Wermutstropfen gäbe, der darin besteht, dass auch Menschen aus Bremerhaven in der Staffel vorgestellt und in ihrem Alltag gezeigt werden. Bremerhaven – OMG! Eine Ortschaft, die doch schon alleine wegen des albernen (aus dem Niederdeutschen kommenden) V (statt F) im Namen im Vergleich zu Gelsenkirchen als lächerlicher Schauplatz von Schicksalen empfunden werden muss. Bremerhaven, eine Exklave von Bremen („Was ist grün und stinkt nach Fisch? Werder Bremen!“ : niveauvoller Schlachtruf!) und mit Nachbargemeinden gesegnet, die Namen tragen wie Geestland, Schiffdorf, Loxstedt, Blexen und Nordenham, die vielleicht für Kreuzworträtsel oder beim Scrabble nützlich sein mögen, ansonsten aber bedeutungslos sind! Und einen solchen Flecken auf der Landkarte stellt der Fernsehsender neben Gelsenkirchen?
Das hätte Frau Welge als Oberbürgermeisterin durch konsequenten Protest beim Sender verhindern müssen! Jetzt wird die Einzigartigkeit dieser Stadt eingetrübt, weil sich Gelsenkirchen die Sendezeit mit Bremerhaven teilen muss! Warum hat Frau Welge nichts unternommen? Warum hat sie nicht, wie es zur Causa Bielendorfer gemeldet wurde, Dr. Hasenkox beauftragt, RTL 2 klarzumachen, dass dieser Vorgang nahezu Skandalqualität hat und die Stadt notfalls auch mit einem Drehverbot reagieren könne!? Nein, nichts von alledem! Ein Versagen auf ganzer Linie! Und darüber sollen wohl die Neujahrsgrüße aus der weihnachtlich geschmückten Nuckelpinne hinwegtäuschen!
Wenn das Jahr schon mit einem doppelten Versagen der Oberbürgermeisterin beginnt, dann schwant mir für die Folgemonate Fürchterliches!

*hollow (Adj.): hohl, leer, dumpf, bedeutungslos

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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4 Kommentare
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Ro.Bien.

Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, hat sich doch ein ehemals stadtbekannter Wirt, Namensvetter unseres heutigen Landwirtschaftsministers, genau in diese Stadt aufgemacht, um sein Glück dort in Bremerhaven zu finden. Damit wäre doch das Glied in der Kette geschlossen. Ob ers gefunden hat?

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Heinz Niski
ichmalwieder

„Time Out Index“: Die coolsten Gegenden der Welt Platz 20 bis 1  
https://www.welt.de/kmpkt/article241640375/Staedte-Ranking-Das-sind-laut-Time-Out-die-coolsten-Orte-der-Welt.html?wtrid=socialmedia.socialflow….socialflow_facebook

Platz 401401401401: Schalke Ost in Gelsenkirchen, Deutschland

Platz 20: Riona Sanità in Neapel, Italien

Platz 19: Little India in Singapur, Singapur

Platz 18: Sants in Barcelona, Spanien

Platz 17: Walthamstow in London, Großbritannien

Platz 16: Avondale in Chicago, USA

Platz 15: Neukölln in Berlin, Deutschland

Platz 14: San Isidro in Havanna, Kuba

Platz 13: Vila Madalena in São Paulo, Brasilien

Platz 12: Dundas West in Toronto, Kanada

Platz 11: Shawlands in Glasgow, Großbritannien

Platz 10: Cours Julien in Marseille, Frankreich

Platz 9: Barrio Yungay in Santiago de Chile, Chile

Platz 8: Cliftonville in Margate, Großbritannien

Platz 7: Shimokitazawa in Tokio, Japan

Platz 6: Barrio Logan in San Diego, USA
Platz 5: Mile End in Montreal, Kanada
Platz 4: Ridgewood in New York, USA
Platz 3: Wat Bo Village in Siem Reap, Kambodscha
Platz 2: Cais do Sodré in Lissabon, Portugal
Platz 1: Colonia Americana in Guadalajara, Mexiko

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Ro.Bie.

Schreibfehler: Schalke-Nord.

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