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Heute mit: Einem abgestürzten Politiker, einem abgestürzten Minister, einer abgestürzten Regierungsaussage und einer gar nicht erst begonnenen Debatte

Bei WIKIPEDIA können wir lesen: „Defenestration oder Fenstersturz bezeichnet das Hinausstürzen einer Person aus einem Fenster. Defenestrationen stellen eine Form der Gewalt dar, die zwischen Lynchjustiz, Gottesurteil und gemeinschaftlich begangenem Mord steht.“ Abgeleitet ist der Begriff vom lateinischen Wort für Fenster (fenestra).
Die in unserem Kulturkreis bekannteste historische Defenestration ist die vom 23.5.1618, als über den Bruch der Zusage der Religionsfreiheit empörte Protestanten zwei katholisch-kaiserlich-habsburgische Statthalter und einen Sekretär aus dem Fenster der Kanzlei in der Prager Burg warfen. Dieses Ereignis gilt allgemein als Auftakt oder Anlass des 30jährigen Krieges (1618-1648). In diesem Krieg kämpften die europäischen Mächte um die Vorherrschaft auf dem Kontinent.
Einen aktuellen Fenstersturz gab es jüngst in Indien. Dort stürzte der russische Regionalpolitiker Pawel Antow aus dem Fenster seines im dritten Stock gelegenen Hotelzimmers. Die indische Polizei ermittelt laut „Hindustan Times“ nun, um zu klären, ob es sich bei dem Sturz um Selbstmord oder einen Unfall gehalten hat. Dass es noch eine weitere Möglichkeit gibt, nämlich eine Defenestration, können sich die indischen Ermittler wohl nicht vorstellen, obwohl (oder weil?) Antow ein Kritiker des russischen Krieges gegen die Ukraine war und den Krieg als „Terror“ bezeichnet haben soll. Aber vielleicht war der Mann einfach nur traurig wegen des Elends vor seinem Hotel und hat sich deshalb auf seiner Urlaubsreise zur Feier seines Geburtstags aus dem Fenster gestürzt! Nur weil seit Beginn der russischen Aggression etliche reiche und einflussreiche Businessleute auf ungewöhnliche Art und Weise ums Leben gekommen sind, muss man hier ja nicht gleich an Prag im Jahre 1618 denken!
Jetzt hat Prof. Christian Drosten, einstmals Corona-Deuter Nr.1 und bester Freund von Jens Spahn und Herrn Wieler, bekanntlich das Ende der Pandemie ausgerufen, was wiederum den medial abgestürzten Karl Lauterbach auf den Plan gerufen hat, der kaum noch in Talk-Shows zu sehen ist. Der kommt aber nun nicht mehr mit Corona-Warnungen um die Ecke, weil er dieses Pferd bekanntlich totgeritten hat. Um aber nicht ganz in der Versenkung (der Bedeutungslosigkeit) zu verschwinden, hat sich Lauterbach jetzt die Beipackzettel von Medikamenten zur Brust genommen. Da ist ihm aufgefallen, dass dort nicht gegendert wird, weswegen er sich dafür ausspricht, dass Ärztinnen dort ausdrücklich erwähnt werden. Das ist sicher ein lobenswertes Unterfangen, vor allem wenn es dann überhaupt mal wieder möglich ist, die angefragten Medikamente zu bekommen, weil die Versorgungsengpässe überwunden sind. Dann könnten Eltern sicher mit großer Freude feststellen, dass der Beipackzettel des Hustenmittels oder Fieberzäpfchens großen Wert auf gendergerechte Sprache legt. Denn was bei Kochrezepten und Lebensmitteln (Hähnchenbrustinnenfilet), im sprachlichen Regelwerk (Binnenmajuskel) und in der „Erdkunde“ (Binnenland, Binnengewässer) üblich ist, sollte auch bei Beipackzetteln und Medikamenten die Regel sein!
Als die Ampel-Koalitionäre ihren Vertrag verfasst haben, hatten sie den Mann im Kreml vermutlich nicht auf dem Zettel. Denn sonst hätten folgende Sätze aus dem Vertrag (Regierungsprogramm) wohl keinen Eingang in den Text gefunden: „ Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein .“ Soweit die Worte auf dem Papier. Die Wirklichkeit sieht so aus: Das laufende Jahr ist, was das Volumen der Rüstungsexporte angeht, mit genehmigten Exporten im Wert von 8,35 Milliarden EURO das Jahr mit dem zweithöchsten Exportvolumen in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete, sowieso schon immer löcherig wie der sprichwörtliche Käse aus der Schweiz, ist im Grunde völlig vom Tisch, denn ein Großteil des genannten Exportvolumens entfällt auf Lieferungen in die Ukraine, also in eine Region, die mehr ist als ein Krisengebiet, nämlich ein Kriegsgebiet. Dass hier das geschriebene Wort im Programm und die Tat meilenweit auseinanderliegen, ist im Grunde nichts Besonderes. Die Besonderheit liegt darin, dass die Ampel-Regierung wegen des Ukraine-Krieges in viel kürzerer Zeit, als man einer Regierung unter normalen Umständen gibt, die Ziele vergessen musste, die sie im Regierungsprogramm versprochen hat.
Zuletzt noch zu einer redaktionsinternen Diskussion: Ich hatte im Zusammenhang mit einem Beitrag über das ehemalige Café Meißner (siehe Frohe Botschaft) davon gesprochen, dass Gelsenkirchen künstlerisch gesehen Avantgarde ist, weil hier die Kunstströmung der Verwahrlosung bzw. des Verwahrlosen-Lassens mit dem Meißner-Gebäude ein erstes Glanzlicht entzündet hat. Mein geschätzter Redaktionskollege Heinz Niski hat demgegenüber bestritten, dass das Verwahrlosen-Lassen eine anerkannte Kunstströmung ist. Leider hat die Gelsenkirchener Kunstszene, weder die öffentliche, also etwa Kulturverwaltung oder Museumsleitung, noch die „freie Szene“ (scherzhafte Bezeichnung), bisher zu diesem Konflikt Stellung bezogen. Ob die Ursache in einer Überforderung theoretischer Art zu suchen und zu finden ist oder weil man auf beiden Seiten zeitlich eingeschränkt ist (Stellen und Ausfüllen von Förderanträgen auf der einen Seite, Durchsicht und Bewilligung dieser Anträge auf der anderen Seite) mag dahingestellt sein. Bedauerlich ist aber, dass ein solcher Diskurs offensichtlich vermieden wird, denn so oder so: Gelsenkirchen ist am Übergang zum Jahr 2023 in vielerlei Hinsicht führend, hat Versuchslaborcharakter und eine Zukunft jenseits der Gegenwart und der Vergangenheit. Oder so ähnlich!

Lassen wir also 2022 hinter uns und heißen das neue Jahr willkommen!

Unser Aufzug (ELEVATOR) kennt nur eine Richtung:

Nach oben – weiter, immer weiter!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Fra.Prez.

Ja, ja – der Kollege Heinz Niski besteitet also die avandgardistische Kunstströmung der Verwahrlosung. Welch Banause!

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Heinz Niski

Ein (Kunst)Banause scheint mir doch eher jemand zu sein, der Tradition und Brauchtum der Bürger (hier in Anlehnung an H.A. Schults Trash People, z.B. wilde Müllkippen anzulegen) verwechselt mit originärer Kreativität und Schaffensfreude. Wie zu erwarten wird hier banales Alltagshandeln wie die Vermüllung seines Umfeldes, aufgepimpt zu einem Schaffensprozess und einem Akt irgendwo zwischen Selbstverwirklichung, Selbstermächtigung und Selbstentäußerung. Eine grandiose Missdeutung des Beuysschen Satzes „jeder Mensch ist ein Künstler“ – nein, auch nicht jeder Gelsenkirchener ist ein Künstler, schon gar kein Verwahrlosungskünstler. Allenfalls einige. Wenige. Was meine These eindrucksvoll bestätigt.

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Fra.Prez.

Alle sichtbaren und gesellschaftlichen Verwahrlosungen, die Gelsen heute als EPI-Zentrum für die einstmals kunsttheoretische „Soziale Plastik“ bietet, sind gewachsene Entwicklungen einer Langzeitmetamophose. Es sind keine „wilden Müllkippen“ oder gar „Trash“, sondern Ergebnisse von gestalteten Aktionen und Prozessen der Menschen in den kreativ verfallenden Gebäuden, die die Skulptur noch einmal überhöhen. Jede versyphte Couch, jeder leere Farbeimer, scheinbar achtlos am Strassenrand stehend, vermitteln die Kreativität und den unbändigen Gestaltungswillen seines Menschen. Ich zieh sofort aus Buer nach Gelsen! Ich möchte zur FIU-Gelsen. (Tatsächlich: so aufregend war unsere Spiesser Stadt einmal)

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Ro.Bien.

Heisst die freie Szene in Gelsen nicht Labatzki & Kiefer?

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Fra.Prez.

Insane Cowboys nicht zu vergessen

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