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1983 erschien Sten Nadolnys zum Bestseller gewordener Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Die Hauptfigur des Erzählwerks, der Kapitän und Polarforscher John Franklin, wird deshalb zu einem großen Entdecker, weil er sich nicht der Schnelllebigkeit seiner Zeit unterwirft, sondern die Langsamkeit für sich entdeckt hat.
Im Herbst des vergangenen Jahres, noch lag der Corona-Mehltau über fast allen Aktivitäten der Stadtgesellschaft, des Rates und der Verwaltung, führte, so hat man der Redaktion zugetragen,  die Stadtspitze unter Corona-Bedingungen eine Fortbildung für Interessierte aus der Verwaltung durch, die die Langsamkeit für sich entdecken wollten. Dass Interesse war so groß, dass Dutzende Anfragen zur Teilnahme negativ beschieden werden mussten. Viele aus dem „bunten Haufen“ (Eigenwerbung der Verwaltung: „Wir sind ein bunter Haufen“) hatten eine literarische Ader in sich entdeckt. Der Erfolg der Fortbildung war so gigantisch, dass Anfang des Jahres eine zweite Maßnahme zur Entdeckung der Langsamkeit durchgeführt wurde. Weitere Fortbildungen sollen in den kommenden Monaten folgen. Aber bereits jetzt sind die Auswirkungen der gelungenen Fortbildungen spürbar. Dazu ein Beispiel, das auf Materialien beruht, die der Redaktion vorliegen:
Am 20.1.22 wurde im städtischen „Ausschuss für Verkehr und Mobilitätsentwicklung“ ein Antrag von drei Bürgern zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt behandelt (Vorlage 20/25/2412). Der Antrag wurde u.a. mit den Stimmen von SPD, CDU und GRÜNEN abgelehnt. Die entsprechende Satzung der Stadt sieht vor, dass den Antragstellern nach der Sitzung schriftlich das Ergebnis der Sitzung mitgeteilt und auch die Gründe für die Entscheidung genannt werden („Der Petent erhält eine schriftliche Nachricht über die getroffene Entscheidung unter Angabe der Gründe durch das zuständige Referat, Institut bzw. den zuständigen Betrieb.“)
Da den Antragstellern eine solche Mitteilung gut dreieinhalb Monate nach der Sitzung immer noch nicht zugestellt worden war, sendeten sie am 4.5.22 schriftlich eine Nachfrage an den zuständigen Verwaltungsvorstand, wo denn der Bescheid bliebe.
Bereits am 11.5 ging die Antwort ein, also bereits nach nur einer Woche, weil der Antwortende offensichtlich noch nicht an der Fortbildungsreihe teilgenommen hatte. Hier die Antwort:
Sehr geehrter Herr M (…),

in der Tat steht die Benachrichtigung über das Ergebnis der Beratung Ihres Antrages im Ausschuss für Verkehr und Mobilitätsentwicklung noch aus. Grund hierfür ist, dass das Protokoll der Sitzung noch nicht vorliegt bzw. veröffentlicht wurde. Sobald dies geschehen ist, erhalten Sie die entsprechende Benachrichtigung. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Fachdienststelle keinen Einfluss auf den Veröffentlichungszeitpunkt hat.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

M (…) S(…)

Mobilitätsmanager

Stadt Gelsenkirchen
Die Oberbürgermeisterin
Referat 69 – Verkehr

Hier können wir nun sehen, wie fruchtbar die Fortbildung zu Nadolnys Roman für Teile der Verwaltung schon war. Über drei Monate nach der Sitzung des Ausschusses ist noch nicht einmal das Protokoll der Sitzung erstellt, folglich auch den Ratsvertretern im Ausschuss noch nicht zugegangen und der interessierten Öffentlichkeit nicht zur Verfügung gestellt worden. Und erst recht ist das den Antragstellern laut Satzung zustehende Dokument über die Entscheidung im Ausschuss ebenfalls noch nicht zugegangen, denn es ist  bisher überhaupt noch nicht verfasst worden, weil dafür ja erst das Protokoll erstellt werden muss, das aber noch nicht vorliegt.
Wir sehen an diesem Beispiel ein Kommunikationsproblem und ein Sachproblem. Zunächst das Sachproblem: Offensichtlich gibt es ein Problem der zwei Geschwindigkeiten, was die Erwartung der Bürger angeht (die Antragsteller) und die fortschreitende Verlangsamung der Stadtverwaltung bzw. der Teile der Verwaltung, die bereits an der Fortbildung teilgenommen haben.
Kommunikativ liegt das Problem darin, dass die Informationen (Protokoll noch nicht fertig) darüber, dass Teile der Verwaltung auf dem Weg der Verlangsamung sind, nicht ausreichend mitgeteilt worden sind. Wäre das geschehen, hätten die drei Antragsteller doch wohl nicht schon nach guten drei Monaten nachgefragt, wo denn das Dokument sei, sondern sicher gerne weitere Monate gewartet.
Rats- und Ausschuss-Politiker scheinen um die Fortbildungsthematik zur Langsamkeit allerdings bereits zu wissen, denn aus deren Reihen hat die Redaktion nicht gehört, dass jemand mal nach dem Verbleib des Protokolls gefragt hat und wissen wollte, warum es mehr als dreieinhalb Monate nach der Sitzung noch nicht vorliegt.
Besonders auf der kommunikativen Ebene muss also nachgebessert werden. Mit wachsender Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der „Langsamkeits-Fortbildung“ ist mit längeren Wartezeiten bei Anliegen von Bürgern zu rechnen. Es sollte also hier eine Informationskampagne anlaufen –nein, eher langsam angegangen werden. Ganz im Interesse der Bürgerschaft! Die durchaus auch mal warten kann, denn schon Charles Bukowski wusste:
„Wozu war der Mensch auf der Welt? Zum Sterben. Und was hieß das? Rumhängen und warten!“
Und, so möchten wir ergänzen, die Langsamkeit entdecken!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ro.Bien.

Hat schon mal einer nachgefragt, warum Protokolle solange dauern – und vor allem: gibts da Fristen, die einzuhalten sind? Falls ja, zu schön um wahr zu sein, würde ich doch mal eine Dienstaufsichtsbeschwerde formulieren. Ich habe heute gelernt, damit macht man Vorgesetzten Arbeit. Das wäre doch schon was.

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Chr.W.Nj.

Dienstaufsichtsbeschwerden (bzw. eine Androhung selbiger) haben ja überhaupt erst dazu geführt, dass das Anliegen vorgetragen werden konnte, wenn ich nicht irrecomment image.

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So.Jo.Tien.

meine Aufsichtsbeschwerde bei BezRegierung Münster und Ministerium in Düsseldorf hat immerhin dazu geführt, dass Protokolle der Sitzungen des Rats und seiner Ausschüsse eine interne Erscheinungsfrist zu übernächsten Sitzung erhielten. (Die aktuell aber ebenso nicht eingehalten wird, wie ich in meinem letzten Post zum Thema berichtete.)
Das ist aus Sicht des Kommunalverfassungsrechts natürlich noch immer völlig unzureichend, weil das Demokratieprinzip der Verfassung eine effektive Demokratie vorsieht, die ein effektives Oppositionsrecht der Minderheiten im Ratsparlament beinhaltet (BVerfG 2016 zu Minderheitenrechten im Parlament auf Antrag DerLINKEN).
Die Aufsichtsbehörden haben demgegenüber geantwortet, es gäbe keine Vorgaben für die zeitliche Fertigung von Protokollen. Das bedeutet wohl, dass man die Demokratie irgendwann auf dem Weg vom 23. Mai 1949 bis heute outgesourct haben muss. Anders ist eine derartige Haltung nicht erklärbar.

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Ro.Bien.

Wie -die einen sagen dies, die anderen das und letztere haben dann das Sagen? Kann doch wohl nicht wahr sein.

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So.Jo.Tien.

Hier: Kein Protokoll zur Sitzung am 20. Januar 22 hinterlegt!
https://ratsinfo.gelsenkirchen.de/ratsinfo/gelsenkirchen/Meeting.html?year=2022&month=0&mid=10779#current

Aktuell fehlen die Protokolle der Ratssitzungen vom 10. Feb., 07. und 24. März 2022.
https://www.facebook.com/franz.przechowski/posts/10228823323311691

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Ali-Emilia Podstawa

Das Protokoll ist längst fertig, bräuchte nur dieser Quelle entnommen und als digitaler Hyperlink versendet werden.

https://magazin-herrkules.de/2022/01/22/liebe-autoarmen-petenten/

Heutige Zeiten – mit unzähligen erkrankten städtischen Bediensteten und überlasteten weil chronisch unterbesetzten Amtsstuben – verlangen nach pragmatischen Lösungen in unserer Smart-City.

Steht der Antrag zur nächsten Petition (autofreie Kurt-Schumacher-Straße) eigentlich schon?

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