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’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Seit Tagen steigern sich Gazetten und Nachrichtensendungen in der Schlagzeilenproduktion zu einer Invasion der russischen Armee in die Ukraine. „Gut unterrichtete Kreise“ (Geheimdienste, Zeitungsredaktionen, Nachrichtenagenturen) haben sich auch schon auf den Mittwoch festgelegt, was den Beginn der Invasion angeht. Auch mit Strategiedebatten (mit welchen Kräften greift Putin an welchen Teilen der möglichen Front an?) verschont man uns nicht. Man könnte fast den Eindruck haben, die Invasion, die ich überhaupt nicht ausschließen will, sondern vielmehr (be-) fürchte, solle förmlich herbei geschrieben werden. So in etwa stelle ich mir auch die aufgeheizte (mediale) Stimmung vor Beginn des 1. Weltkrieges vor. Um es mit den Worten des russischen Kulturbeauftragen Michail Jefimowitsch Schwydkoi in einem Interview mit der Berliner Zeitung anlässlich seines Antrittsbesuchs in Deutschland zu sagen:

Die aktuelle Situation ist alles andere als erfreulich. Nicht nur die deutschen, auch die russischen Zeitungen schreiben vom Krieg. Zu viele denken, dass der Krieg unausweichlich ist. Das Klima erinnert an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Weder Zar Nikolaus noch Kaiser Wilhelm wollten den Krieg, haben das noch im Sommer 1914 ausgeschlossen. Doch dann hat man so lange vom Krieg geredet, dass man gedacht hat, jetzt kann man nicht mehr zurück.“*

Allerdings ist es in Deutschland wohl so, dass die Bevölkerung sich im Moment nicht in einen Kriegstaumel hineinsteigert, sondern eher coronagedämpft an der Entwicklung im Osten Europas desinteressiert ist. Weswegen auch niemand sich laut über mögliche Zumutungen für die Bevölkerung erregt hat, die aus den Worten von Außenministerin Annalena Baerbock sprechen, die in der Ukraine bei ihrem jüngsten Besuch bei der Pressekonferenz meinte in Bezug auf Sanktionen bei einer russischen Invasion versprechen zu müssen: „Wir sind auch selbst bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen.“**

Dass die Außenministerin hier von einem „wirtschaftlichen Preis“ spricht, den zu zahlen „wir“ bereit sind, ist in verschiedener Hinsicht erstaunlich. Immer wieder taucht dieses merkelsche „wir“ auf (wir schaffen das), ohne dass geklärt ist, wer sich hinter diesem „wir“ verbirgt und wer bereit ist, welchen Preis in welcher Höhe zu zahlen. Mich hat jedenfalls keiner gefragt! Und ich kenne etliche Menschen, die man auch nicht gefragt hat. Aber den (möglichen) Krieg in erster Linie von seinen wirtschaftlichen Aspekten her zu betrachten, kann einen schon irritieren – zumindest wenn die Worte aus dem Munde einer Außenministerin kommen, die der (ehemaligen?) Friedensbewegungspartei angehört. Gibt es nicht moralische, seelische, psychische, kurz: rein menschliche Aspekte, die im Kontext von Krieg eine Rolle spielen? Spielen sollten!

Auf diese Aspekte jedenfalls weist Matthias Claudius, der Dichter des bekannten „Abendliedes“ (Der Mond ist aufgegangen) in seinem Gedicht „Kriegslied“ aus dem Jahre 1778 hin!

* https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/es-gibt-augenblicke-da-ist-das-nichthandeln-die-rettung-li.210543
** https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/kiew-annalena-baerbock-pk-ukraine-konflikt

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Als Gradmesser des Gleichstandes der Geschlechter funktioniert diese Kriegslogik durchaus. Erst wenn genauso viele unfähige Frauen wie Männer die Geschicke des Landes bestimmen, erst wenn genauso viele Frauen wie Männer Gesellschaften in Kriege treiben, herrscht Gleichberechtigung.
Die Grünen sind auf der Überholspur.
Bleibt offen, ob besser Ekel, Resignation oder Gleichmut als persönliche Schutzmauer vor diesem Kriegs-Marschrhythmus von Politik und Medien sinnvoll ist.

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Kla.Holl.

Es reicht leider nicht aus, einfach nur „nie wieder Krieg!“ zu rufen. Gibt es doch tatsächlich noch Politiker in Europa, die wohl den Krieg als die „Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“ sehen. Also weht ein Hauch Bismarcks durch Europa? Wohl kaum, erinnern wir uns noch zu gut kollektiv an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Doch was ist mit Rußland? Was treibt Putin an? Wer ihm wegen seiner „berechtigten Sicherheitsinteressen“ auf dem Leim geht, der erklärt zugleich, dass die KSZE-Schlußakte, die bald 50 Jahre alt wird, nichts wert sei. Das es keine Souveränität von Staaten gibt, sondern nur Intressensspähren. Der widerspricht nicht mehr dem Chauvinismus und dem Imperialismus, der uns in den ersten Weltkrieg geführt hat. Darf der dann noch sagen „Nie wieder Krieg“?

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Heinz Niski

„Souveränität von Staaten“ – Libyen, Syrien, Afghanistan, Irak, Schweinebucht, Grenada und und und… neben den verdeckten Operationen, neben Chile Alliende ist das schon starker Tobak, Souveränität anzuführen.

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Heinz Niski

Äpfel & Birnen, historisch falsche Aufreihung, geht klar. Medien zitieren geht (noch) https://www.heise.de/…/Russland-und-der-Westen-Dialog… – die ganze Geschichte wird eh verhandelt werden zwischen China / USA / Russland – bzw. der Untergang des amerikanischen Imperiums (Film) ist eh vollzogen, wir haben es nur noch nicht bemerkt. Werden den Knall noch mitbekommen, in den nächsten Tagen bis .. 25 Jahren. https://www.heise.de/tp/features/Russland-und-der-Westen-Dialog-zwischen-Stummen-und-Tauben-6448152.html?fbclid=IwAR0rwjkTh0kjvz0o1LrMfjR4lvVmhXGm7dFGlQyfNa3latLF5ksAMqFJYF0

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Heinz Niski

@Kla.Holl.
Es ging mir bzw. nach meinem Verständnis des Liedes von Claudius eben nicht um die Frage, wer der Aggressor ist, wer da mit welchen Ablenkungsmanövern versucht, seine Macht zu erweitern, anderen das Selbstbestimmungsrecht abspricht usw., sondern um die leichtfertige Schlagzeilenproduktion (das „Herbeischreiben“ von Kriegsszenarien)und das Betrachten eines Krieges oder Kriegsszenarios unter strategischen, taktischen oder machtpolitischen Interessen.
Der Text von Claudius sagt nicht einfach „Nie wieder Krieg“, sondern spricht von empfundener Mitschuld eines Einzelnen, durchaus als psychische, traumatische Belastung. Claudius nimmt hier nicht politisch Partei, sondern nimmt Partei für ein Mit-Leiden und für Eigenverantwortung.
Nebenbei: stellt man das „Abendlied“ und das „Kriegslied“ nebeneinander, sieht man, dass Dichter der Empfindsamkeit eben nicht nur lyrische Zuckerbäcker-Süßigkeiten „hergestellt“ haben (siehe meinen Beitrag zur „Empfindsamkeit“ im HerrKules).

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Heinz Niski

ich habe es auf die ganzen Schlaumeier und Putinversteher hier in den Sozialen Medien und Netzwerken Putins handeln legitimieren, verstanden. Sie machen es ja auch aus dem Bewusstsein, dass sie es aus sicherer Entfernung machen. Putins handeln für gerechtfertigt halten, weil es andere auch gemacht haben, ein schlimmeres „Whataboutism“ gibt es nicht.
Die Journalisten, die hier die vermeintlichen Taktiken und militärischen Schachzüge Putins vorhersagen, die sind eh dumm. Aber ja, ich Deine Sicht mit diesem Gedicht zu verdeutlichen ist verständlich.
Mich hat ärgert vor allem, mit welcher Art und Weise man vor Putin den Kniefall macht und ihn noch rechtfertigt.

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Heinz Niski

@Klau.Holl.
Ich kann es nicht wissen, nur vermuten –
du zählst mich zu den
„Putinverstehern“
„Schlaumeiern“
„Putin Verteidigern“
„Whataboutismern“
„Dummen“
„Kotau Machern“

das ist keine gute Basis für ein Verstehen wollen von Positionen.

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Klau.Holl.

H.N. wer sich den Schuh anzieht. Putin spielt ein gefährliches Spiel und wer ihm applaudiert oder auch nur versucht zu rechtfertigen, der macht sich moralisch mitschuldig. Ich vergleiche die Situation mit München 1938 und Neville Chamberlain hat damit die Katastrophe erst herauf beschworen

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Heinz Niski

Wer es mag, macht aus Interessen und Beweggründe nachzuvollziehen, „Rechtfertigung“ und „Applaus“ und setzt noch eine „Mitschuld“ (woran auch immer) oben drauf. Für mich ist das wie eine Zeitreise an den Beginn des Afghanistan Krieges, der als Brunnen bohren und Mädchen Fussball Training verkauft wurde. Damals wurde mir auch erklärt, dass Analyse und Interessenabwägung Appeasement wäre und dass ich mich schuldig mache am Hinschlachten von freiheitsliebenden Menschen. Es wiederholt sich alles, die Hysterie, die aufgeheizte Medienkampagne, die Trennung in Schwarz und Weiß, die Alternativlosigkeit, das „Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag‘ ich Dir den Schädel ein.“

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Ali-Emilia Podstawa

Was wird passieren?
Spieltheoretische Betrachtungen zum derzeitigen Konflikt.
https://youtu.be/gphoRPhipjE

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Heinz Niski

@ Ali-Emilia-Podstawa – die Qunitessenz: unklug – unklüger – Grün. Hoffentlich ist Scholz weiser.

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