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4. Tag, mittags

Seit dem Morgen hatte ich einen neuen Bettnachbarn; der Mann mit dem Rohr im Kopf sollte in der Früh noch einmal operiert werden und lag jetzt wahrscheinlich im Aufwachraum oder auf der Intensivstation. Clemens, der Neue, hatte den Bruch beider Oberschenkel und der rechten Wade überstanden; er war beim Überqueren der Straße von einem Auto angefahren worden. Er hatte es nicht kommen hören. Es war ein Elektroauto.

Der Druck in meinem Kopf hatte deutlich nachgelassen und sich auf kleinste Archipele in meinem Hirn zurückgezogen.

Ein leises Pfeifen durchbrach die Ruhe, in der ich mich wiegte. Dann ein „Heh!“ Nur ein Flüstern kam von Clemens zu mir rüber. Ich wandte mich der rechten Seite zu und sah in sein schmales, knochiges Gesicht, aus dem mich zwei Augen verschwörerisch anblickten. Ein Gesicht, das von jahrelanger harter Arbeit, etlichen Hektolitern Bier und Tausenden Zigaretten gekennzeichnet war.

„Du musst aufpassen!“

Ein erneutes Flüstern.

„Warum?“

„Die Betten!“

„Was ist mit den Betten?“ fragte ich zurück und passte mich seinem Flüsterton an.

„Aliens!“

„Wie Aliens?“

„Sind überall!“

„Häh?“

„ Tatsache ist doch: wir werden immer weniger und die, wo übrig bleiben, werden immer älter. Und Schuld daran haben die Aliens. Und zwar jetzt nicht die, die noch gar nicht angekommen sind, sondern die, welche schon hier sind.

schwei 11Und das Problem ist, dass die schwer zu erkennen sind, jetzt rein optisch zum Beispiel. Zum Beispiel bei den Alien –Frauen. Da sind alle Sorten vertreten, also von solchen, wo die Cellulitis durch eine bonbonfarbene Leggings am finalen Hervorquellen gehindert wird, bis zu solchen, wo die Boutique bei einem Einkauf einen Umsatz macht wie C und A in der ganzen Weihnachtszeit. Und bei den Männern: da hast du die Typen mit der Känguru-Tasche vor dem Geschlechtsteil, immer in Kombination mit brauen Sandalen und weißen Socken, und die mit Armbanduhren zum Preis eines Kleinwagens. Und die meisten von denen waren mal richtige Menschen, so wie du und ich. Nur dass die inzwischen umgepolt sind.

Und zwar durch Matratzen.

Durch Alien-Matratzen.“

Mein Gott, hätten sie nicht warten können mit der Rohr-Operation, bis ich entlassen werde. Dann wäre das Bett nicht frei geworden. Dachte ich – und machte den Fehler zu fragen:

„Wie kommst Du denn darauf?“

Die Frage öffnete eine Schleuse.

„Ich hab Verdacht geschöpft, wegen dem Karl Schaberniak von oben drüber. Jahre lang hat der immer nur deutsche Schlager, schlaffe Operetten-Hits und Volksmusik gehört. Und auf einmal hört der nur noch Heavy-Metall-Geschrammel, Apokalyptica, Metallica, Allergica und dieses Zeug. Da treff ich den im Flur und sag: Karl, was ist los mit dir? Und der sagt: Geht gut. Hab mir ne geile neue Matratze gekauft. Beim Discounter an der Ecke.

Und da war der Verdacht schlagartig da, weil das nämlich bei der Else, die bei uns im `Fässchen` an der Theke steht, so ähnlich war. Jahre lang hat die jeden Tag Schnitzel, Kartoffelsalat, Bockwürstchen, Nackensteaks, Gulasch, Eisbein mit Sauerkraut und solche Sachen auf der Arbeit verputzt.“

Ich versuchte, mir diese Nackensteak-Else vorzustellen, hatte aber nicht viel Zeit dazu, denn Clemens´ Redefluss ging weiter.

„Und auf einmal fängt die an mit Grünzeug: Kopfsalat, Tomatensalat, Eisbergsalat, Krautsalat, Ruccolasalat. Und fängt auch noch damit an, den Gästen im ´Fässchen´ Vorträge über die Vorzüge vegetarischen und veganen Essens zu halten. Und da sage ich zu ihr: Else, bist du krank? Und sie sagt: Ne, geht gut, hab mir ne geile neue Matratze gekauft. Beim Discounter anne Ecke.

Und da wusste ich: da steckt ein Plan hinter. Und dann hab ich mir das mal durchgedacht. Und da wurde mir das klar. Überleg doch mal: 6-8 Stunden pro Tag liegen wir auf der Matratze, praktisch ein Drittel unseres Lebens. Und das wissen die Aliens.

Und da sind die gelandet mit ihrem Schiff, haben die Ladenlokale angemietet und ein Matratzen-Discounter-Geschäft aufgemacht. Und die sind immer in Eckgeschäften – ist dir das noch nicht aufgefallen? Immer Eckgeschäfte! Und das ist das Zeichen. Dann haben sie Statthalter in die Geschäfte gesetzt, die so aussehen und sprechen wie wir, und sind wieder weg mit dem Schiff. Und jetzt locken sie die Menschen an mit ihren super-billigen Matratzen, die Leute nehmen die Matratzen mit nach Hause und schon haben die Aliens die an der Angel.

Denn die Aliens haben mit ihren Aliens-Fingern in die Matratzen so Mini-Chipse eingebaut – und zwar einen auf der Höhe vom Kopf, da üben die dann quasi Gehirnwäsche aus, so dass eine wie die Else zum Beispiel anfällig wird für vegetarische Kost und einer wie der Karl auf einmal zum Rocker mutiert.

Und den anderen im Beckenbereich. Und damit steuern die, dass wir eben keinen Nachwuchs mehr zeugen und die bald auf natürliche Art und Weise hier die Mehrheit haben. Das ist eben ein richtiger durchdachter Bauplan, um uns zu beherrschen.

Und deswegen musst du aufpassen. Du bist ja noch jung. Und liegst hier den ganzen Tag auf der Matratze. Und wer weiß, ob da nicht auch schon so Alien-Chipse drin sind.“

Jetzt war ich mir sicher, dass zumindest bei ihm die Aliens ihre Finger im Spiel hatten; wahrscheinlich war er einer von denen, die von sich behaupteten, sie seien von Aliens entführt worden sind und man habe in ihrem Gehirn herumgefummelt.

Man kann nur hoffen, dass die Aliens dabei keinen Kulturschock erlitten haben, dachte ich.

Ich schaute ihn an, mit halb geöffnetem Mund, aber Worte ließen sich nicht formen. Vielleicht hatte er mir schon das Sprachzentrum weggequasselt! Ich schluckte, räusperte mich, schluckte abermals und kaute dann doch zwei Wörter heraus:

„Alles klar!“

Er nickte.

„Ja, ja, alles klar. Ich weiß schon, was du denkst. Geheimer Bauplan, alles Quatsch, so etwas gibt es nicht. Aber ich sage dir: Bartwuchs!“

Ich röchelte ein „Hääääähm?“ heraus.

„, Ja, Bartwuchs.

Das ist auch sowas wie ein geheimer Bauplan. Bartwuchs – das kriegst du als Junge irgendwann, ob du willst oder nicht. Oder bist du gefragt worden, ob du Bartwuchs haben willst. Eben. Bartwuchs. Da kann die Menschheit nichts gegen machen.

Aber die Aliens – da können wir noch was tun. Also, gleich nach dem Mittagessen. Messer genommen, Matratze aufgeschlitzt und nachgeschaut. Und wenn kein Chips drin ist, vor allem keiner im Beckenbereich, dann hast du Glück gehabt und kannst davon ausgehen, dass du noch kein Alien-Mutant bist.“

Das Essen wurde hereingetragen und mir auf die Tischklappe am Bett gestellt.

„Guten Appetit“, sagte der Pfleger und verschwand so schnell wie er gekommen war.

Ratatouille im Reisrand – stand auf dem beigelegten Info-Streifen. Ich hob den Deckel des Warmhaltegeschirrs ab. Einige Auberginenstückchen, Zuchinireste, Parodien auf Paprikastreifen und etwas, was in einem früheren Leben vielleicht einmal Pilze waren, spielten Verstecken in einer undefinierbaren Pampelacke, die von dem Reisrand daran gehindert wurde, über den Teller zu schwappen.

Ich nahm das Messer in die Hand. Es war schön scharf.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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