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Kapitel 27: Abschied auf Raten

Als ich am Anfang davon sprach, dass der Juso-Bundeskongress 1975 in Wiesbaden das Ende meiner Juso-Zeit markierte, war ich nicht ganz präzise.

Korrekt muss es heißen, dass dieser Kongress das Ende meiner überregionalen Juso-Tätigkeit (Bezirk, Land und Bund) bedeutete.

In Gelsenkirchen dauerte der Abschied etwas länger, und er war vielleicht auch noch um einige Grade schmerzhafter. Schon als ich für ein letztes Mal den Juso-Vorsitz übernommen hatte, war mir untergründig klar gewesen, dass es für mich und meine politischen Ansprüche in diesem Rahmen immer weniger Perspektiven gab. Hinzu kam: Um mich herum tummelten sich neue, frische Leute (Gott sei Dank), deren politische Sicht schon wieder anders war als meine.

Für diese war ich, so paradox es für einen damals Sechsundzwanzigjährigen klingen mag, schon so etwas wie ein Polit-Senior, der zwar anerkannt und geachtet, aber doch irgendwie und irgendwann abgängig war. Merkwürdigerweise hatte ich von mir genau denselben Eindruck! Ich war jetzt Mitglied des Stadtrates und stand kurz davor, näher an die Parteispitze heranzurücken – was u. a. auch bedeutete, dass ich mehr Verantwortung zu übernehmen hatte. Der frühere z. T. „spielerische“ Umgang mit der Politik, die berühmte „Leichtigkeit des Seins“ wich schleichend einem Bewusstsein darüber, dass Politik insgesamt eine verdammt ernste Angelegenheit ist.

Ich spürte plötzlich das Eingebundensein in verschiedene Loyalitäten, die nicht unbedingt deckungsgleich waren. Kurz: Ich musste mich entscheiden. Wollte ich „Berufsjugendlicher“ bleiben, oder wollte ich in politische Bereiche vorstoßen, in und mit denen weit mehr Gestaltung möglich war als bei dem, was ich bisher gemacht hatte? Offen gesagt, die Entscheidung fiel mir nicht schwer, denn ich hatte mittlerweile schon so viel von „echter“ Politik mitbekommen, dass ich dort unbedingt einsteigen wollte – wobei ich faktisch ja bereits eingestiegen war. So kam es, wie es kommen musste und auch sollte.

Der Generationenwechsel, der sich schon etwas länger, aber unspektakulär in den Arbeitsgemeinschaften der Juso-Organisation vollzogen hatte, trat im November 1976 durch die Wahl des neuen Unterbezirksvorstands der Jungsozialisten offen zu Tage.

Mit Heinz-Dieter Gebhard und Heike Peters (heute: Heike Gebhard), die übrigens auch noch für einige Jahre Juso-Landesvorsitzende war, wurden die neuen Leute nun auch in der Spitze für alle sichtbar. Von der alten Führungsriege warf allein Kurt Woiwod noch einmal den Hut in den Ring – und unterlag bezeichnenderweise nicht nur beim stellvertretenden Vorsitz, sondern sogar als Beisitzer. (Kurt, der sich schon zu diesem Zeitpunkt durch seine Eskapaden weitgehend politisch isoliert hatte – auch bei mir und Jochen Poß -, wollte es in Verkennung der Sachlage wohl unbedingt noch einmal wissen. Er hätte es besser gelassen.)

Damit, so scheint es an dieser Stelle, war alles in Butter. Der (fast) reibungslose Übergang war gelungen, und die neuen Claims abgesteckt. Allerdings nicht ganz! Obwohl ich mich nun intensiv meinen neuen Betätigungsfeldern widmete, warf ich natürlich nach wie vor ein wachsames Auge auf die Jusos, denn bekanntlich rostet eine alte Liebe nicht. Dabei fielen mir Tendenzen auf, die ich zutiefst missbilligte. Vor allem, so meine Meinung, driftete der Juso-Bezirk WW (auch hier gab es neue Leute) immer stärker in das Lager der Stamokaps ab bzw. fungierte zunehmend als nützlicher Idiot dieser Truppe. Diese Tendenzen hatten sich natürlich schon vorher angekündigt.

Ich erinnere an meine Abwahl als Bundesausschussmitglied 1974, die ja nicht nur mich, sondern v. a. die von mir vertretene „Bundesvorstandslinie“ treffen sollte. Wortführer der neuen Richtung waren in erster Linie die Münsteraner. Hier einige Namen von Münsteraner Genossen, die illustrieren sollen, wer damals ach so links war und was aus ihnen geworden ist: Manfred Degen (bitte nicht verwechseln mit dem namensgleichen Ex-MdL Manfred Degen aus Marl), der lange Jahre Leiter des NRW-Büros in Brüssel war, Ulla Ohlms, zeitweise Referentin im NRW-Wissenschaftsministerium, Fritz Vahrenholt, heute ein Top-Manager, den ich sehr schätze, und Wolf-Michael Catenhusen, ehemals MdB und Staatssekretär. Sie und andere schwangen das inhaltliche Zepter, während der amtierende Juso-Bezirksvorsitzende Klaus Heimann und sein Umfeld überfordert waren. Klaus Heimann und Co. konnten der ideologisch-intellektuellen Wortgewalt der Münsteraner kein Paroli bieten und flüchteten sich deshalb in eine halbgare, ja zwielichtige „Position“, bei der der Juso-Bezirk WW das „Zentrum“ des Bundesverbandes spielen wollte – angeblich, um zwischen den Fraktionen auszugleichen -, faktisch aber von den Stamokaps innerverbandlich vereinnahmt wurde.

Nun war es gerade der Juso-Unterbezirk Gelsenkirchen gewesen, der dieser Strömung stets eine deutliche Absage erteilt hatte. Das sah ich plötzlich gefährdet, weil sich in meinen Augen die neue Juso-Führung in GE zu willig vor den Karren dieser Kräfte spannen ließ. Auf den Bezirk hatte ich keinen Einfluss mehr, aber in Gelsenkirchen galt mein Wort bei den Jusos immer noch etwas. Also griff ich ein. Mit Hilfe von anderen, aktiven Jusos, die ebenfalls mit dem Kurs nicht einverstanden waren (z. B. Wolfgang Goebel, der noch heute zusammen mit Alfred Hirt das SPD-Banner in Ückendorf hochhält), verschaffte ich dem amtierenden Juso-Vorstand schon kurz nach dessen Wahl eine deftige Abstimmungsniederlage mit der Folge, dass der Vorstand, gerade erst gewählt, wieder geschlossen zurücktrat. (Seit dieser Zeit kursierte auch das Wort, dass es meine Spezialität sei, Vorstände zu stürzen – nun gut, es war, glaube ich, innerhalb von drei Jahren der dritte oder vierte Vorstand, den ich, natürlich immer zusammen mit anderen, in die Wüste geschickt hatte.)

Ich will die Sache hier nicht auswalzen, weil sie politisch auch zu unbedeutend ist. Ich möchte nur feststellen, dass sich meine Aktion in Wirklichkeit gar nicht gegen die Gebhards gerichtet hatte, sondern v. a. gegen einen Aktivisten, dessen Namen zu nennen zu viel der Ehre wäre. Dieser für mich obskure, weil sektiererische Genosse mischte plötzlich aus der zweiten Reihe heraus kräftig mit und drohte, dominant zu werden. Es galt, dem Einhalt zu gebieten. Die Wogen glätteten sich trotz der Aufregung wieder recht schnell. Bei der Neuwahl gab es eine Bestätigung für Dieter Gebhard, die ihm gegönnt war. Besagter Aktivist aber setzte sich relativ flott wieder von Gelsenkirchen ab, und damit hatte ich mein Ziel erreicht.

Natürlich blieben kleinere (vielleicht auch größere) Wunden bei diversen Beteiligten zurück. Während ich vom Bezirk als „Juso-Veteran“ beschimpft wurde, der sich „nicht lösen könnte“, gab es bei Anderen Vorbehalte zu meiner Person, die sich jahrzehntelang hielten und vielleicht auch heute noch nicht gänzlich überwunden sind. In der Rückschau will ich übrigens gar nicht abstreiten, dass bei diesen Geschehnissen Motive eine Rolle mitgespielt haben, die bei mir tatsächlich etwas mit einem schwierigen Ablösungsprozess von den Jusos (gerade den Gelsenkirchener Jusos) zu tun gehabt hatten. Andererseits sind die GE-Jusos nach dieser Zeit nie, auch nicht in ihren schwierigsten Zeiten ins politische Nirwana abgesackt, wobei ich mir einrede, dass die damalige Aktion vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat.

Geschenkt! Auch hier hat sich der Wind schon lange gelegt. von Hans Frey{jcomments on}

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Von Hans Frey

Hans Frey (geb. 24.12.1949 in Gelsenkirchen, verw., drei Kinder) studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete dann als Studienrat an einem Gelsenkirchener Gymnasium. 1980 wurde er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt, dem er bis 2005 angehörte. Seit dieser Zeit lebt er (formal) im Ruhestand. Neben der Politik war und ist Hans Frey publizistisch und künstlerisch engagiert. U. a. kreierte er 1996 als Drehbuchautor und Regisseur die Stadtrevue „Ja, das alles und mehr…“, gab sieben Jahre lang das Stadtmagazin DIE NEUE heraus und gehörte 2004 zu den Mitinitiatoren der Kunstausstellung RUHRTOPIA in Oberhausen. Im September 2007 war er Mitbegründer von gelsenART e. V., Verein zur Förderung von Kunst und Kultur im Ruhrgebiet. Unter seinen Buchveröffentlichungen finden sich u. a. - der fantastische Roman „Die Straße der Orakel“, der in einer Antike spielt, die man so aus den Geschichtsbüchern nicht kennt (2000), - das Sachbuch „Welten voller Wunder und Schrecken – Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“ (2003), ein umfangreiches Werk, das alle Facetten der Science Fiction beleuchtet, - und sein aktuell letztes Buch (September 2009), der erste Band seiner politischen Autobiografie „Ja, das alles und mehr! – Geschichte und Geschichten aus 35 Jahren Politik“ mit dem Titel: „Wilder Honig“.

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