4.8
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Es war ein klarer, frischer Donnerstagmorgen. Die Straßen waren rein und leer. Die „Gelsendienste“ hatten bereits ihre Arbeit in diesem Quartier der Stadt getan und den Müll und den Unrat des vergangenen Tages und der Nacht entfernt, sogar die blauen Mülltonnen mit den witzig gemeinten Sprüchen („Gib mir den Rest“) waren geleert worden. Nur wenige Menschen waren bereits unterwegs.

Das war den acht Personen, um die es hier geht, auch recht so. Man wollte nicht unbedingt gesehen werden oder gar auffallen. Das Treffen war auf eine „persönliche Einladung“ hin zustande gekommen, keine offizielle Parteiveranstaltung. Die fünf Männer und drei Frau vertraten die Spitzen ihrer Fraktionen im Rathaus. Die beiden größeren Fraktionen, die im Rathaus mangels eigener Stärke eine „Koalition“ gebildet hatten, hatten die beiden kleineren Fraktionen eingeladen, um sicherzustellen, dass ihr Vorhaben eine deutliche Mehrheit im Rat finden würde. Das, so erhofften sie sich, bekamen sie am besten hin, wenn sie den „Kleinen“ einen Hauch von Bedeutung durch die Teilnahme an der Geheimsitzung verliehen.

Nach und nach trafen alle Beteiligten ein, denen vielleicht nicht bewusst war, dass sie sich nur einen Steinwurf entfernt von der Straße trafen, die zwischen 1933 und 1945 „Adolf-Hitler-Straße“ geheißen hatte. Ein Teilnehmer, der aus Buer kam, verspätete sich wegen einer Verkehrsbehinderung. Nach seiner Ankunft kam man gleich zur Sache.

Schon seit geraumer Zeit zogen sich die Ratssitzungen in die Länge, weil Vertreter anderer Fraktionen und Gruppen ihr Mandat überraschend ernst nahmen und tatsächlich meinten, man könne die Mehrheit im Rat von den eigenen Anträgen und Vorschlägen überzeugen. Ihre geringe Zahl an Stadtverordneten machten sie durch um so größeren Redeeifer und eine Unmenge von Anträgen und Anfragen wett und nutzten dabei die Geschäftsordnung des Rates in ihrem Sinne aus! Auch schlugen einige Redner häufig eine argumentative Schärfe an, die die vier Fraktionen so nicht mehr gewohnt waren, denn man kannte sich teilweise schon über Jahrzehnte, wusste, was der andere sagen würde, und hatte sich insgesamt recht gemütlich miteinander eingerichtet! Da störten die oppositionellen Mini-U-Boote doch den Ablauf, der besonders von der Gruppe der „Aussätzigen“ und einem Oppositionellen, der „Eiferer“ genannt wurde,  in schrillen Tönen aufgehalten wurde. Und stundenlange Rathausdebatten waren nicht erwünscht. Man war schließlich „Freizeitpolitiker“ und hatte ein Recht auf Privatleben.

Der Vorschlag zu Lösung lag auf dem Tisch: Über die Halbierung der Redezeiten wollte man das Problem in den Griff bekommen. Diese Maßnahme reduzierte die Möglichkeiten der „Aussätzigen“ und des „Eiferers“ so deutlich, dass kaum Zeit für lange Reden blieb, und gleichzeitig hatte die Maßnahme einen demokratischen Anstrich, denn sie galt für alle. Dass die größeren Fraktionen immer noch ein üppiges Zeitkontingent hatten, weil es nicht nur einen Grundzeitbetrag gab, sondern auch ein Zeitdeputat pro Kopf der Fraktion, würde „draußen“, also vor den Toren des Rathauses, kaum jemanden interessieren. Dass die Lösung die beiden kleinen Fraktionen der „Viererunde“auch hart treffen würde, nahm man im Sinne der gemeinsamen Sache billigend in Kauf!

Allen war klar, dass man das Vorhaben positiv „labeln“ musste. Der Beschluss sollte deshalb als „Konsenspapier“  von vier Fraktionen bezeichnet und „Ratsbürokratieabbau- und Demokratieförderungsbeschluss“ genannt werden.

Taktisch sollte so vorgegangen werden, dass der Vorschlag erst öffentlich werden sollte, wenn es in einer Ratsdebatte voraussichtlich zu tumultuösen Zuständen gekommen war, so dass in der Öffentlichkeit die Notwendigkeit von Veränderungen glaubhaft vermittelt werden konnte. Bis dahin sollte das Beschlusspapier auch der Presse gegenüber zurückgehalten und frühestens unmittelbar vor der Ratssitzung öffentlich gemacht werden.

Man war sich einig darin, schon in der kommenden Ratssitzung eine Situation zu „kreieren“, die dazu führen könnte, dass der „Eiferer“ genannte Stadtverordnete die Grenzen des Akzeptablen überschreiten würde und – im besten Falle – sogar Anlass genug geben würde, ihn von der Ratssitzung durch die Oberbürgermeisterin auszuschließen, um dann in die öffentliche Debatte der Notwendigkeit von Veränderungen einzutreten.

Die Acht gingen frohen Mutes auseinander, gelobten noch einmal Stillschweigen. Und bis zur Ratssitzung wollte man sich diskret darüber austauschen, wie eine mögliche Falle aussehen sollte, die man dem „Eiferer“ stellen könnte. Die, so kam als Vorschlag, könnte darin bestehen, dass man den „Eiferer“ bezichtigte, gemeinsame Sache mit den „Aussätzigen“ zu machen. Das würde ihn wahrschlich bis aufs Blut reizen!

Dass dieses Vorgehen funktionieren würde, da war man sich sicher! Ganz sicher! Die Falle wurde aufgestellt!

DOKUMENTE

A)

Nach einigen heftigen Wortentgleisungen ist es am Donnerstagabend (15. Februar) beinahe zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen WIN-Fraktionsgeschäftsführer Ali-Riza Akyol und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Sascha Kurth gekommen. Nach einer fast einstündigen Sitzungspause und einer Beratung im Ältestenrat verkündete die sitzungsleitende Oberbürgermeisterin Karin Welge ihre Entscheidung, Akyol von der Sitzung auszuschließen.“ (Quelle:

 https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/article241686222/Im-Gelsenkirchener-Stadtrat-kommt-es-fast-zur-Schlaegerei-a.html)

B)

„Gelsenkirchen hat den Bezug zur Normalität verloren“: Im Stadtrat artet es häufig aus. Nun tun sich vier Fraktionen für einen Plan zusammen.(…)Die CDU hatte eingeladen, um der Öffentlichkeit, gemeinsam mit SPD, Grünen und FDP, einen Fünf-Punkte-Plan zur „Normalisierung“ der Ratsdebatten vorzustellen.“ (Quelle: https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/article241690210/Eskalation-in-Gelsenkirchen-Hilft-dieser-5-Punkte-Plan.html)

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ro.Bien.

Wie heißt der Whistleblower oder die „in“?

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Fra.Prez.

Es muss der Gelsengeist geflüstert haben…

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Heinz Niski

Redezeit begrenzen, ok, aber nur, wenn es als Kompensation dafür Kameras in der Lobby, in den Gängen und vor allem Panoramaaufnahmen der Stadtverordneten gibt. Nur so kann der Bürger sich über den Stand der Demokratie, der demokratischen Kräfte im Rat, informieren. Ansonsten wäre ich für Filibuster Pflicht.

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