Morgendliche Spaziergänge. Wer auf ein paar Jahre erlebtes Leben zurückgreifen kann, ist ja schnell verdächtig, in der Vergangenheit stehen geblieben zu sein. Weil früher alles aus Holz und besser war. Gewesen sein soll.
Margarethe Zingler Platz. Heute gegen 9:30. Früher der Hauptmarkt der Stadt. Tausende von Besuchern. Früher. Stände bis in die Seitenstraßen hinein, Geschiebe & Gedränge. Staunendes Publikum, wenn Verkaufsartisten die dicksten Kartoffeln, die süßesten Orangen, die besten Rammler, sprach begabtesten Papageien, unkaputtbarsten Nylonstrümpfe anboten.
Heute: Sinnbild verunglückter Architektur. Verunglücktem Strukturwandel. Armutswanderung. Heimat der Sonnenblumenkernspucker, der Alki-Szene.
Pulsierendes Leben im Kaufnet-Kaufhaus, in den Pflege-Seniorenwohnungen, den florierenden, wirtschaftlich nicht erklärbaren Barber-Shops, Braut-Mode-Läden, Döner Buden.
Schwarzmühlenstraße. Zwischen Grabeland und Niemandsland stehen sie herum, die Wohnwagen, Zelte, die LKW-Unikate, wie ausgestoßene, verbannte des Roncalli Zirkus. Warten auf bessere Zeiten. Auf den Doktor, den Heiler, der ihre gebrochenen Achsen richtet, ihrer Trauer neue Hoffnung gibt.
Irgendwo Nähe Hördeweg – in einer der letzten (fast) original gebliebenen Bergmannssiedlung. Ein kleines, widerständiges Dorf, Aremorica Nienhausiensis, leistet Widerstand. Gegen Assimilierung durch Mittelschicht, kulturelle Reinheitsgebote, lebt demonstrativ Kitsch & Sehnsucht.
Rauheit am Rande, zwischen den Zeiten, im Grenzgebiet zwischen Städten, Verwaltungen, in eigener Soziokultur.
Du krauchst da in jedem Winkel meiner Kindheit rum! Tochter einer Bauarbeiter-Dynastie und Eisenbieger unter Bergleuten und Kohlestaub auf Wäsche – aufgewachsen in den Malochersiedlungen von Stecker-und Roggel mit all seinen romantischen Hochs und Tiefs inklusve Vernichtung allen grünen Wildwuchses für Nienhausenvor der Haustüre …. Kartoffeln sammeln am Eichenbusch – was verdorrich ist Aremorica Nienhausiensis?
Aremorica = gallisches Dorf bei Asterix, Nienhausiensis = Nienhausen