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„Dreierlei greuliche Sunden wider Gott und Menschen laden diese Baurn auf sich, daran sie den Tod verdienet haben an Leibe und Seele mannigfältiglich: Zum ersten, daß sie ihrer Oberkeit treu und huldegeschworen haben, untertänig und gehorsam zu sein, wie solchs Gott gebeut, da er spricht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. (…).
Zum andern, daß sie Aufruhr anrichten, rauben und plundern mit Frevel Kloster und Schlosser, die nicht ihr sind, damit sie als die offentlichen Straßenräuber und Morder alleine wohl zwiefältig den Tod an Leib und Seele verschulden. (…)
Zum dritten, daß sie solche schreckliche, greuliche Sunde mit dem Evangelio decken, nennen sich christliche Bruder, nehmen Eid und Hulde und zwingen die Leute zu solchen Greueln mit ihnen zu halten, damit sie die allergroßten Gotteslästerer und Schänder seines heiligen Namens werden, und ehren und dienen also dem Teufel unter dem Schein des Evangelii. (…)“

 Martin Luther, Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern (1525/Auszug/gekürzt)

Nein, ganz so schlimm ist es noch nicht, auch wenn man bei einer Durchsicht der Presseorgane und der Medien den Eindruck bekommen kann, Deutschland stünde am Beginn neuer Bauernkriege, die Luther 1525 zum Anlass genommen hat, seinen Text „wider die Bauern“ zu schreiben. Denn im 16. Jahrhundert marschierten tatsächlich Bauernheere auf und begaben sich in den (militärischen) Kampf, um die Vorherrschaft der weltlichen und kirchlichen Herren zu brechen und Mitspracherechte und Gerechtigkeit zu fordern.

Man kann aber durchaus, wenn auch unter Verwendung anderer Lexeme und Kontexte, die Ausführungen Luthers in Beziehung zur Berichterstattung über die Blockade der „Habeck-Fähre“seztzen

Luther wirft im ersten Punkt den Bauern vor, dass sie die Verpflichtung, der Obrigkeit „treu und hulde“ zu halten, gebrochen haben. Die Bauern unserer Tage haben, folgt man der Berichterstattung, auch Grenzüberschreitungen begangen, denn ein „Angriff“ auf Politiker ist, da ist man sich quer durch alle (fast alle) Parteien einig, nicht zulässig und kündige den demokratischen Konsens auf. Britta Hasselmann, Grüne, bezeichnete den Vorfall am Fähranleger als „völlige Grenzüberschreitung“, Annalena  Baerbock, die für ihre scharfsinnigen Analysen hinlänglich bekannt ist,  ließ sich mit den Worten zitieren: „Dort, wo Worte durch  Gepöbel  und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“ In Schlüttsiel sei also, so die einhellige Meinung, der demokratische Raum verlassen worden, zumal, dies scheint ein weiterer Vorwurf zu sein, auch Politiker das Recht auf „Privatheit“ hätten, denn Habeck habe sich auf dem Rückweg aus dem Urlaub befunden.

Was ist tatsächlich passiert?

Ungefähr 100 bis 300 Bauern (Bäuerinnen und Bauernde mitgerechnet, die Angaben zur Zahl schwanken stark) haben den Fähranleger blockiert, an dem die Fähre, von der Hallig Hooge kommend, andocken sollte. Auf dieser Fähre befand sich auch Robert Habeck- auf dem Weg zurück aus dem Urlaub. Die Lage spitzte sich zu. Nach Angaben der Polizei, die mit 30 Beamten vor Ort war, haben schließlich 25-30 Personen versucht, die Fähre zu stürmen (Quelle: FAZ, 6.1.24). Die Polizei verhinderte die Stürmung – u.a. durch den Einsatz von Pfefferspray. Nach etwa einer halben Stunde legte die Fähre wieder ab und kehrte zunächst zurück zur Hallig, um dann später in Schlüttsiel erneut einzufahren. Mit ihr erreichte Habeck in der Nacht (Freitagmorgen, gegen zwei Uhr) unbehelligt das Festland.

Stellen wir also einmal fest: Unmittelbare Gewaltausübung gegen eine Person (hier: Habeck) ist nicht ausgeübt worden, nach bisherigen Angaben der Polizei  noch nicht einmal Sachbeschädigung. Gleichwohl sind Straftaten zu konstatieren: einmal eine Straftat im Rahmen von § 315 Strafgesetzbuch (Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs und Luftverkehr“) und dann ein Verstoß gegen § 240 StGB (Nötigung). Ob beleidigende Bezeichnungen (§ 185 StGB) oder Verunglimpfungen anderer Art aufgekommen sind, geht aus der Berichterstattung (bisher) nicht hervor. Insoweit Anweisungen der Polizei nicht befolgt worden sind, spielt eventuell der § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte)  noch eine Rolle.

Fällt etwas auf?

Nun, Nötigung und  Eingriffe in den Straßen,- Luft- und Schiffsverkehr sind die üblichen Straftaten, die bei den Klimaprotesten im vergangenen Jahr an der Tagesordnung waren. Mit einem wesentlichen Unterschied: Es waren bei den Straßenblockaden und den Aktionen von Flughäfen tausende von Menschen betroffen – nicht nur ein Minister (und einige weitere Fahrgäste). Die Aktionen haben keine Rücksicht genommen auf Feuerwehreinsätze, die Fahrtrouten von Krankenwagen oder anderen „öffentlichen“ Fahrzeugen (etwa im ÖPNV). Tausenden von Menschen sind materielle und immaterielle Schäden entstanden (das Verpassen des Abflugtermins oder der rechtzeitigen Landung, Nicht-Auslieferung von Waren, Nicht-Erreichen des Arbeitsplatzes). Der Allgemeinheit sind Kosten entstanden durch die Polizeieinsätze und die Einsätze von Reinigungskräften. Zumindest im Bereich der Flugplätze kommt Sachbeschädigung hinzu (Zäune). Die „Klimakleber“ (schon der Begriff ist eine Verharmlosung) haben tausende von Menschen zum Warten „genötigt“, haben Flüge in den Urlaub verzögert oder verhindert, haben keine Rücksicht auf Familien mit Kindern, ältere Menschen, Kranke genommen und waren (und sind) aber, in der öffentlichen Darstellung durch Medien und Politiker, „Aktivisten“, die für eine angeblich gute Sache eintraten. Der angerichtete (volkswirtschaftliche) Schaden war weitaus größer als im Falle Habecks, aber die Kritik an den Aktionen, wenn sie denn kam, beschränkte sich auf die Frage, ob die Aktionen dem Ansehen der „Klimabewegung“ schaden könnten! Während hier also tatsächliche Straftaten massenweise und ganz offensichtlich mit Absicht gegangen wurden, bleibt in Sachen „Habeck“ eine seltsame Formulierungskunst, wie etwa in der FAZ: „Beinahe die Fähre gestürmt“, so heißt einer Schlagzeile. Beinahe also – und das heißt: NICHT! Oder auch Formulierungen im Konjunktivischen zum Ablegen der Fähre: „Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt worden. Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.“ Statt klarer Fakten im Indikativ drei Vermutungen im Konjunktiv II, also im Irrealis (Axel Meynköhn, Reederei, Quelle: WAZ).

Luthers zweiter Vorwurf ist, sieht man vom Stürmen von Klöstern und Schlössern, Straßenraub und Mord mal ab, in gewisser Weise übertragbar. Einschränkung: Straßenraub, Mord, Diebstahl, Plünderung, sexuelle Übergriffe – das sind alltägliche Vorkommnisse bei uns im Land. Dazu bedarf es allerdings nicht der Bauern. Aber der „Aufruhr“: Da stehen die Bauern (im Moment) durchaus an der Spitze der Bewegung gegen die Regierung, denn die Tradition von Protesten seitens der Landwirte ist groß. Und die Proteste der Bauern sind fast immer spektakulär, wenn sie mit Traktoren in eine Stadt einfahren. Das gibt ein anderes Bild als etwa der Streik der Lokomotivführer, der auf den Straßen und Plätzen nicht so greifbar ist wie eine Demonstration mit hundert Traktoren.

Die letzte Protestwelle der Bauern ist erst wenige Jahre her. Im Jahre 2019 gab es dezentral organisierte Proteste mit Demonstrationen, Traktorfahrten und Kundgebungen – übrigens ohne Organisation durch den Deutschen Bauernverband, sondern über Netzwerke und die „sozialen Medien“ organisiert.

Das Besonderes am Protest der Bauern und der heftigen Reaktion, die die Aktion am Fähranleger hervorgerufen hat, liegt wohl daran, dass sie die gegenwärtige Haltung gegenüber der „Ampel“ sichtbar machen. Die Politik der „Ampel“ hat ganz schlechte Zustimmungswerte, bei Umfragen liegen die drei Parteien zusammen bei knapp über 30 Prozent. Der Protest der Bauern bringt die Nicht-Zustimmung zur Regierung sicht- und hörbar auf die Straße. Das ist etwas anderes als reine Umfragewerte. Und, das kommt hinzu, der Protest am Fähranleger richtete sich gegen den einstigen Hoffnungsträger, die Lichtgestalt und den Star der Grünen, den Darling der Medien, der in vielen Redaktionsstuben große Popularität genießt und den man als Kanzlerkandidaten lieber gesehen hätte als die Plapperpuppe Baerbock.  Dass nun ausgerechnet der Poster-Boy, um im Bilde der Landwirtschaft zu bleiben, durch Bauernlümmel vom Hof gejagt wird, ruft Empörung und verbalen Würgereiz bei den Habeck-Heiopeis in den Redaktionsstuben hervor. Deshalb die heftigen Reaktionen!

Kommen wir zum dritten Punkt Luthers. Er lässt den Satan von der Kette, wenn er behauptet, die Bauern führten Gott im Munde, dienten aber dem Teufel. Auch das ist auf die gegenwärtige Berichterstattung übertragbar. Der Teufel tritt dabei in Gestalt des „Rechtsextremismus“ auf, wobei die Partei AfD nicht unbedingt beim Namen genannt wird, aber immer „mitgemeint“ ist. Beispiele:  „Kapern Extremisten die Proteste?“ (WAZ), „Bundesregierung warnt vor Unterwanderung“ (FAZ), „Werden die Bauernproteste von rechts gekapert?“ (tagesschau.de), „Rechtsextreme unterwandern Bauernproteste“ (Merkur.de), „Achtung, Bauern von rechts!“ (taz), „Wie Radikale die Bauernproteste unterwandern wollen“ (Süddeutsche Zeitung). Nun standen für viele Linke die Bauern schon häufig in Verdacht, eher „rechts“ zu sein – irgendwie völkisch, der Scholle verbunden, eher die Heimat liebend als sozialistische Ideale. Die Proteste der Bauern lösen altbekannte Reflexe aus. Und „die Medien“ und schnell sprechbereite „Forschende“, die als Politikwissenschaftler und „Extremismusexperten“ die Corona- und Klimaexperten vor den Kameras, Mikrophonen und Schreibblöcken abgelöst haben, ordnen den politischen Hintergrund der Bauernproteste schon mal „vorausschauend“ als Mosaiksteinchen in das Narrativ ein, dass Widerstand gegen die Politik der „Ampel“ von rechts gesteuert sein muss. Die „materielle“ Grundlage für diesen Erzählstrang sind natürlich die Umfragewerte der AfD und deren (mögliche) Erfolge bei Landtagswahlen. So gesehen, sind die Bauern im Moment der Sack, den man prügelt, auch wenn der Esel (AfD) gemeint ist. Diese Linie der Argumentation und Interpretation der Proteste (von rechts unterwandert als Gefahr) ist Begleitmusik für die medial in den letzten Tagen angeschobene Fragestellung nach einem Verbot der AfD. Hier wird medial „über Bande“ gespielt!

Das Ende der Bauernkriege ist bekannt! Die Bauernkriege, die erste deutsche Revolution als „Aufstand des gemeinen Mannes“, enden mit der Niederlage der Bauern. 1525 wird ein rund 18000 Mann starkes Bauernheer bei Würzburg vernichtend geschlagen, danach ebbt der Widerstand rasch ab.

Bei uns soll er, was die Bauern angeht, am Montag beginnen und eine Woche dauern!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich lasse mal außer Acht, ob auch „Kleinbauern“ an den Protesten beteiligt sind, ich vertiefe nicht, warum die Erregung besonders ist, wenn „Große“ betroffen sind.
Ich will nur zwei Ereignisse schildern, die ich heute in Zeitungen las.
In der WAZ GE gibt es einen Bericht über eine lesbische Frau, die als solche erkennbar war, weil ihre Hundeleine in den Regenbogenfarben war. Sie wurde von einer Gruppe von Mädchen angepöbelt und man erklärte ihr, dass sie brennen würde, wenn es erst einmal das Kalifat hier gäbe.
Tage später wurde sie von einer Gruppe junger Männer als „die Lesbe“ beschimpft.
Sie traute sich nicht mehr, ihre Gassi Runden zu drehen und kaufte sich eine neutrale Hundeleine.
Das ist der neue Alltag.
In einem Berliner Imbiss unterhielten sich eine junge Frau und ein junger Mann auf Hebräisch. Anwesende arabisch sprechende Kunden beschimpften und verprügelten sie deshalb.
Das ist der neue Alltag.
Nicht so spektakulär wie die Bedrohung Habecks durch aufgebrachte Bauern, aber das Klima, das immer mehr Gruppen (Frauen, Ältere, junge Männer) zu einem schrittweisen Rückzug aus dem öffentlichen Leben ermuntert.
Ich habe Silvester Videos aus mehreren Innenstädten gesehen. Fast ausschließlich eine homogene Gruppe von Männern.
Es fehlen Frauen…..
Das ist der neue Alltag.

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Det.Kort.

da hast du wohl recht aber das ist nicht wirklich neu gab es immer schon was die sache nicht besser macht

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Ro.Bien.

Wir haben nicht nur ein Regierungs- – sondern auch ein Medienproblem. Wenn die so genannten „seriösen“ Medien und die, die sich dafür halten, entweder nur von Trittbrettfahrern sprechen, wenn sich andere Branchen anschließen oder brauner Brut, die unterwandert- stimmt was gehörig in der Wahrnehmung nicht!
Die Bauern sind eine Initialzündigung für den steuerlich gebeutelten unteren, bis mittleren Mittelstand, der seit Jahren zurecht jammert, aber sich selbst nicht bewegte. Das passiert da gerade auf der Straße – und im Gegensatz zu den Schreibern, die Angst um Demokratie haben, findet die gerade im besten Falle genau dort statt..
Und dennoch muss man weiter wachsam bleiben, damit die Sache nicht in falsche Hände gerät und aus dem Ruder läuft. Dafür brauchts seriöse Journalisten, die die ganze Geschichte erzählen und keine politisch gelenkte Berichterstattung, weil sich die Ampel gerade um ihre Existenz sorgt.
https://www.youtube.com/watch?v=sJl2osKBxOg

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Det.Kort.

richtig die bericht erstattung läst auch massiv zu wünschen übrig

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Ro.Bien.

Es ist für mich die absolute Katastrofe – wie sehr sich gerade der von Bürgern subventionierte Journalismus in der Masse intrumentalisieren lässt. Ein Desaster. Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte, wie sehr dieser Apparat Regierungspolitisch „unterwandert“ ist, ist er jetzt endgültig erbracht.

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