5
(4)

Mit seinem Glück, seiner Gefahre

Der Krieg, er zieht sich etwas hin.

Der Krieg, er dauert hundert Jahre

Der g’meine Mann hat kein’n Gewinn.

Ein Dreck sein Fraß, sein Rock ein Plunder!

Sein halben Sold stiehlts Regiment.

Jedoch vielleicht geschehn noch Wunder:

Der Feldzug ist noch nicht zu End!

Das Frühjahr kommt! Wach auf, du Christ!

Der Schnee schmilzt weg! Die Toten ruhn!

Und was noch nicht gestorben ist

Das macht sich auf die Socken nun.

 Bertolt Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder (Lied der Mutter Courage, 5. Strophe)

Wie wahr! Der Krieg, er zieht sich etwas hin in der Ukraine. Es hat den Anschein, als stecke er fest, sei aber noch nicht an dem Punkt, an dem er aus Ermattung der Beteiligten oder aus Einsicht in die Sinnlosigkeit seiner Fortführung ein Ende findet. Im Moment sieht es eher so aus, als träfen die letzten Zeilen des Courage-Liedes zu: Wenn das Frühjahr kommt, wird der Krieg weitergehen, falls er überhaupt eine Winterpause macht!

Dass der Krieg in der Ukraine in den letzten Monaten und speziell den letzten Wochen deutlich an Aufmerksamkeit verloren hat, ist nicht nur dem „Lauf der Dinge“ geschuldet, also dem geringeren Neuigkeiten- und Nachrichtenwert, sondern erfolgt in erster Linie, weil die Blicke sich mehr auf das aktuelle Geschehen in Israel bzw. Palästina richten und zugleich die Front in der Ukraine wenig Bewegung zeigt. Das geringere Maß an Berichterstattung heißt aber nicht, dass sich der Ukraine-Krieg erledigt hat. Es ist nur so, dass die Stimmen hier etwas leiser geworden sind, dass die „Kriegseuphorie“ einiger Lautsprecher und Kriegspoetinnen etwas gedämpfter ist.

Das hat auch den Grund, dass selbst die vorlautesten unser Kriegspropagandisten gemerkt haben, dass „die Russen“ nicht einfach ein paar halb gebildete und zurückgebliebene tumbe Toren sind, die mit wenigen westlichen High-Tech-Waffen mal schnell hinter den Ural zurückgeworfen werden können. Und die USA müssen abermals feststellen, dass es offensichtlich in unseren Zeiten nicht mehr ganz so einfach ist, eine andere Großmacht militärisch aus dem Sattel zu heben. Zumal wenn diese Macht politische und ökonomische Optionen hat (Import und Export), auf dem Weltmarkt zu agieren und die Kriegskasse zu füllen! Mit jedem Tag, den der Krieg andauert, werden auch die Siegesfantasien und militärischen Sandkastenspiele mancher „Experten“ immer fader und zugleich zynischer, weil der Krieg nicht unsere Leben kostet, wir aber anderen meinen sagen zu können, dass und wie sie diesen Krieg führen sollen, wenn er siegreich sein soll!

Die HerrKules-Redakteure  haben sich in etlichen (nach Inhalt und Form durchaus unterschiedlichen) eigenen Beiträgen und Fremdbeiträgen von Beginn an mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt. Und wir haben von Beginn an zu denen gehört, die den Angriffskrieg Putins verurteilt haben, ohne aber in Kriegseuphorie zu verfallen. Und wir haben von Beginn immer wieder versucht, auf unterschiedliche Interessenlagen zu verweisen, also den Krieg einzuordnen in geopolitische, strategische und ökonomische Aspekte. Kurz: die einfache Formel, die Ukraine verteidige die westlichen Werte, schien uns etwas zu simplifizierend zu sein.

Ein Aspekt, der dieser Tage immer wieder eine Rolle spielt, ist der militärische, denn es scheint unstrittig, dass die lange angekündigte Offensive der Ukraine nicht die Erfolge gezeitigt hat, die man sich erhofft hatte, sondern vielmehr als „gescheitert“ gelten muss. Und es wird immer deutlicher, dass die „russische Seite“ einen sehr langen Atem hat und die westlichen „Sanktionen“, soweit sie nicht sowieso umgangen werden, dem „Westen“ (also etwa der deutschen Wirtschaft) mehr schaden als der russischen Seite.

In einem Beitrag vom Februar 23 schrieben wir u.a.:

Sieht man die Lage (…) realistisch, kommt man, wenn man sich nicht Selbsttäuschungen und eigenen Wunschvorstellungen hingibt, zu folgenden Ergebnissen – ob sie einem selbst nun schmecken oder nicht: An der militärischen Front (…) gibt es einen „Stellungskrieg“, der keiner Seite entscheidende Fortschritte bringt, trotz etlicher „Geländegewinne“ der einen oder anderen Seite. Im Moment scheint die ukrainische Armee dort eher in der Defensive zu sein. (…) Dass die ukrainische Armee die völkerrechtswidrig durch Russland besetzen Gebiete einschließlich der Krim militärisch zurückerobert, ist ein Schlaftrunk für bunte Träume. Ein Schlaftrunk, den man propagandistisch löffelweise verabreicht und durch Meldungen vom Sieg der ukrainischen Streitkräfte geschmacklich aufhübscht. Ein zynischer Trank!

Dieser nun rund zehn Monate alten Einschätzung ist kaum etwas hinzuzufügen. Allerdings haben sich die Gewichte etwas verschoben, was einen „Experten“, wie den in der WAZ gerne zitierten Carlo Masala zu der Erklärung veranlasst: „Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und fertigt im großen Stil Panzer und Munition. Es ist in der Lage, jede Menge Material an die Front zu werfen. Das lässt zwar qualitativ zu wünschen übrig. Aber die alte russische Strategie besteht darin, dass Quantität mit der Zeit eine Qualität an sich wird. Aus dem Iran bezieht Russland Drohnen. Und Nordkorea soll eine Million Schuss Munition geliefert haben. Die hat zwar offenbar eine hohe Ausfallrate. Aber auch hier sticht Quantität im Zweifel Qualität.“ (WAZ, 6.12.23)

Auf diese nun von Herrn Masala entdeckte russische Strategie haben wir in dem genannten Artikel unter Bezug auf eine Äußerung von NATO-Generalsekretär Stoltenberg vor rund zehn Monaten bereits hingewiesen: „Putin schickt Abertausende Truppen, nimmt große Verluste hin. Was Russland an Qualität fehlt, versucht es quantitativ auszugleichen.“

Viel entscheidender ist etwas anderes: Ein Herr Masala sollte aus dem Gesagten doch einen Schluss ziehen, nämlich den, die folgende Frage zu stellen: Wohin soll die militärische Auseinandersetzung denn überhaupt noch führen? Welchen Sinn ergibt das tägliche Sterben an der Front? Und vor allem: Welches (politische)Ziel liegt hinter dem militärischen Horizont? Vor allem in Bezug auf „den Westen“ und Russland!

Dringender denn je scheint doch ein Nachdenken darüber zu sein, wie eine pragmatische Lösung des Konflikts zu finden ist, eine Lösung, die – jenseits einer politischen und moralischen Verurteilung – zunächst einmal „Frieden“ bringt. Dies heißt in diesem Fall: Sicherheitsinteressen beider Seiten zu berücksichtigen, was auch bedeuten würde, die Ukraine nicht als Frontstaat der NATO aufzubauen! Dies müsste verbunden werden mit den Sicherheitsinteressen der baltischen Staaten und Polens! Es ginge also darum, eine Sicherheitsarchitektur für Osteuropa zu entwickeln, die die Interessen Russlands ebenso berücksichtigt wie die Interessen der (östlichen) NATO-Staaten und die Frage, wie mit den von Russland annektierten Gebieten umzugehen ist.

Wenn man anerkennt, dass dieser Konflikt kein ausschließlich ukrainisch-russischer Konflikt ist, sondern im Kontext der globalen Auseinandersetzung um Einflusssphären, Machtinteressen und auch Geschäftsinteressen (Getreide und Rohstoffe in der Ukraine) zu betrachten ist, dann kann man vielleicht ohne moralische Attitüde und ohne Feldgeschrei zu Lösungen kommen, die vor allem eins sind: nützlich für die Menschen, die unter dem Krieg leiden.

Aber offensichtlich ist im Moment noch niemand aus den Reihen der westlichen Politiker gewillt oder in der Lage, Konzepte oder Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen, die den Einstieg in einen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen auch nur in Ansätzen ermöglichen.

Da waren die Unterhändler in Münster und Osnabrück, die rund dreihundert Staaten (auch Kleinststaaten) vertreten haben, auf einem besseren Weg, als sie 1648 endlich den 30jährigen Krieg in den „Westfälischen Frieden“ umwandeln konnten!

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 4

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
2 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Mi.Lied.

IMHO eine gute Zusammenfassung und treffende Analyse.
Müsste man nicht aber den vorletzten Satz ergänzen?
„Aber offensichtlich ist im Moment noch niemand aus den Reihen der westlichen Politiker gewillt oder in der Lage, Konzepte oder Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen, die den Einstieg in einen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen auch nur in Ansätzen ermöglichen.“
Sind die östlichen (oder was wäre der Gegensatz zu westlichen) gewillt oder in der Lage, Konzepte und Vorschläge vorzulegen? Ich fürchte, daran hapert es und der Satz wäre so NOCH treffender:
„Aber offensichtlich ist im Moment noch beide Seiten nicht gewillt oder in der Lage, Konzepte oder Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen, die den Einstieg in einen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen auch nur in Ansätzen ermöglichen.“

0
0
Heinz Niski

Vielleicht sollte man ergänzen, dass die Mehrheit von Politik, Medien und Zivilgesellschaft in konzertierter Aktion all diejenigen medial hinrichteten, sozial ächteten, die politische Lösungen suchten. Da wurde man schnell zur Hexe (national-bolschewistisch oder TERF oder gleich beides) hochgejazzt, zum pseudointellektuellen Philosophen herabgewürdigt, zur Verschwörungserzählerin mit psychischen Problemen stilisiert, Russland Kennern wies man nach, dass sie unterqualifiziert seien, man machte sich über „Gas-Gerds“ Vermittlungsversuche lustig, erklärte, dass die Bedenkenträger die Folgen von Appeasement nicht durchdrungen hätten und erst recht nicht die slawische Seele begriffen hätten, die nur auf Mord & Raub & Vergewaltigung & Totschlag und Weltherrschaft aus ist.

Ein Trommelfeuer an Kriegsertüchtigungsphrasen ging auf uns nieder, gleichzeitig schaltete man den russischen „Feindsender“ ab, verbreitete ukrainische Propaganda.

Man wärmte sich am schratig-knorrigen Hofreiter, zuständig fürs hemdsärmelige (haust du mich, hau ich dreifach zurück) entzückte sich an der aparten Anna-Lena, die dem kalten fischäugigen KGB-Putin wie eine 007 Bond Agentin die Waffen zeigt und fror vor Andacht, wenn Robert über die Einsicht in die Notwendigkeit sprach und über das Unabdingbare des so und nicht anders Seienden.

Die SPD bleibt sich selbst treu, im Zweifel immer für Kriegskredite und Vaterland.

Die in den Medien stattfindende Zivilgesellschaft beschäftigt sich mit den großen Fragen der Zeit, Geschlechter-Fluidität, Sprachverordnungen, Tempolimit, Kleben fürs Klima. Die Zerstörung der Umwelt, der Gesellschaft, der politischen Ordnung, Wirtschaft, der sozialen und kulturellen Verhältnisse durch den Krieg, findet nicht statt. Man nimmt Hunderttausende Tote stillschweigend in Kauf, kein Aufschrei, man wäscht seine Hände in Unschuld. Kann man nichts machen, der Putin, die Russen, die sind halt so.

In diesem Sinne: es gab mehrfach die Chance auf einen Kompromiss, der Leben gerettet hätte, die Umwelt (und das Klima) geschont hätte, alles deutet darauf hin, dass der Wertewesten hier versagt hat.

2
0