5
(2)

Freitag, 3. November 2023, die WAZ berichtet. In Essen sind über 1000 Islamisten auf der Straße. Männer und Frauen, die, wie es sich nach den Regeln ihrer Ideologie gehört, getrennt über den Limbecker Platz laufen. Erst die Männer, dann die Vollverschleierten. Auf dem Pflaster knien Extremisten mit gelben Warnwesten zum Freitagsgebet. Schwarze Flaggen diverser Terrororganisationen werden geschwenkt. „Der Sieg Allahs ist nahe“ steht auf Plakaten. Das Land der Toleranten wird von den Intoleranten in Beschlag genommen.

Olaf Scholz ließ heute auf X verkünden: „Der Konflikt zwischen Israel und Hamas darf sich nicht ausweiten. Kein regionaler Akteur sollte die Gelegenheit nutzen, destabilisierend in den Konflikt einzugreifen. Das haben Iraks Ministerpräsident und ich in unserem Telefonat bekräftigt.“ – Darunter hat jemand ein Video der Essener Islamisten-Demo gepostet. Tja, Essen ist ja nicht im Nahen Osten, sondern hier bei uns. Alles im grünen Bereich, Olaf.

Ein Smartphone bimmelt. Das Partnernde liest Nachrichten in beruflichen Chatgruppen. Ich werfe einen Blick über die Schulter aufs Display. Auffällig viele Profile von Mitbürgern mit osmanischen Vorfahren haben neue Fotos hochgeladen. Neben dem türkischen Halbmond weht die Fahne der Palästinenser. Israelflaggen sind in keinem Profil zu finden. Der türkischen Sprache nicht mächtig, kann ich die Slogans in den aktualisierten Profilbeschreibungen nicht deuten. Nun, es wird sicherlich ein freundlicher Aufruf zum Frieden im Allgemeinen sein, also für die Zeit, wenn die Palistinenser erst einmal …

Vor ein paar Jahren, als die heute Verantwortlichen auf der politischen Bühne noch in der zweiten Reihe oder im Verborgenen an dem theoretischen Unterbau des Gesellschaftsumbaus strickten, versuchte die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder bei Demokratieförderprojekten die Beteiligten mit einer „Demokratieerklärung“ auf das Grundgesetzt zu verpflichten. Sie plauderte heute aus dem Nähkästchen und beschrieb das geltende Fördersystem folgendermaßen:

  • „Zivilgesellschaftliche Akteure“ und „Aktivisten“ finanzieren sich hauptsächlich durch Projekte, die sich gegen rechtsextreme Tendenzen richten. Sie leben davon. Es ist ihr Beruf.
  • In regelmäßigen Abständen müssen Anträge für finanzielle Unterstützung erneuert werden. Die Projekte werden dann angepasst, um weiterhin als „Modellprojekt“ zu gelten.
  • In den letzten beiden Jahrzehnten wurden die finanziellen Mittel kontinuierlich aufgestockt, was dazu führte, dass nur selten jemand die Förderung verlor.
  • Es entstand eine gegenseitige Anerkennung für die als „unheimlich wichtig“ betrachtete Arbeit unter den Geförderten.
  • Unterstützung erfuhren sie von Wissenschaftlern, Prominenten und Vertretern der Kirchen, die sich aktiv gegen rechte Tendenzen engagierten.
  • Die Einführung neuer Förderschwerpunkte durch Schröder und die Verpflichtung zum Bekenntnis zur Verfassung sorgten dagegen für Kontroversen.
  • Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, bezeichnete die Demokratieerklärung als „Aufforderung zur Schnüffelei“.
  • Gesine Schwan, ehemalige SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, kritisierte die Maßnahmen als „arrogante obrigkeitsstaatliche Machtausübung“. Sie befürchtete, dass das Bekenntnis zur Verfassung politische Manipulation begünstigt und demokratische Diskussionen erstickt.
  • Die neuen Förderschwerpunkte Linksextremismus und Islamismus stießen auf Widerstand. Kritiker warfen Schröder vor, dass dies von den eigentlichen Problemen in der Gesellschaft ablenke, nämlich Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
  • Eine Gruppe von zehn Professoren warf damals Schröder „Realitätsverleugnung“ vor. Sie bezweifelten, dass sich eine gewalttätige Form des Linksextremismus in der jungen Generation ausbreite. Zudem wiesen sie darauf hin, dass antidemokratische Tendenzen nur unter einer kleinen Minderheit muslimischer Jugendlicher verbreitet seien.
  • Die politische, wissenschaftliche und mediale Linke war sich damals vollkommen einig in ihrer Sichtweise.
  • 2014 wurde die Demokratieerklärung schließlich durch die Nachfolgerin von Schröder wieder abgeschafft.

Nachfolgerin als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend war 2014 übrigens Manuela Schwesig. Von ihren Neidern „Küsten-Barbie“ genannt, hält sie bis heute den inoffiziellen Rekord an ausgesessenen Rücktrittsgründen, hört man. Aber das ist wahrscheinlich auch nur so eine boshafte politische Hassrede, die man bekämpfen sollte, besonders in der jetzigen Krise.

Apropos Krise: Irgendwo muss sie sein, die Vinylscheibe, denn bei den anderen im Regal ist sie nicht zu finden. Egal, ich finde sie gerade nicht und deshalb liefert YouTube digitale Kopien frei Haus ans Headset und läutet den Feierabend ein.

1983 brachte Mike Oldfield eine neue LP heraus. Während auf der A-Seite Chart-Erfolge wie „Moonlight Shadow“ verpresst sind, besteht die B-Seite aus einem einzigen Stück: „Crises“.

Wer 10 Jahre zuvor, also vor genau 50 Jahren, den damals 19jährigen Multiinstrumentalisten wegen seines Epos „Tubular Bells“ Gehör geschenkt hatte, der findet sich auch in dem über 20 Minuten langen Klangkonstrukt „Crises“ zurecht. Progressive Rock, welcher in diesem Fall vor allem vom Stilmittel der Wiederholung lebt. Eine Krise nach der anderen. Endlose Wiederholungen. Immer wieder.

Passend dazu der Text der ersten Strophe:

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises

I need you on my side ‚cause there’s a crisis

And you can’t get away!

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises

I need you on my side ‚cause there’s a crisis

And you can’t get away!

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises – You can’t get away!

Crises, crises

I need you on my side ‚cause there’s a crisis

And you can’t get away!

Nach dem 6. Durchgang – so schnell vergehen 2 Stunden beim Musikhören – fühle ich mich viel jünger, bis ich versehentlich in den Spiegel schaue. Ich durchlebe Erinnerungen von damals, sehe vor dem inneren Auge die endlosen, immergleichen Fernsehbilder des Libanonkriegs in den 1980ern, denke an die plötzlich in den Geschäften aufgetauchten Palästinensertücher, die als modisches Accessoire in jeden Haushalt einzogen, in dem junge Menschen zu Hause waren. Im Winter trug auch ich dieses Stück Stoff als wärmenden Schal in Unkenntnis darüber, dass es sich um ein aufgeladenes politisches Symbol handelt, mit dem ich aber weder meine Gesinnung noch meine Sympathie mit irgendwelchen orientalischen Terrorgruppen zum Ausdruck bringen wollte. Die Migrantenfamilien, die dieser „Konflikt“ erzeugte, sind im heutigen Gelsenkirchen unter dem Stichwort „Clan“ allgegenwärtig. Aber das Tuch sah einfach klasse aus, fanden alle in der Klasse. „Klasse“ verwendete man damals vor allem als Adjektiv als Ausdruck des Gefallens – oder wenn man Marx frisch gelesen hatte.

Vom Anschein beeindruckt und nur langsam im Begreifen, was sich hinter diesem versteckt; so sind sie auch heute, die jungen Leute.

Vorhin spuckte YouTube mir eine weitere verschüttete Erinnerung auf den Bildschirm. Eine Liveaufnahme des Endes eines legendären Konzerts der „Crises-Tour“. 1983, im ausverkauften Wembley-Stadion. Dort machte Simon Phillips, damals 26 Jahre alt, in Form eines kaum zu übertreffenden, 4minütigen Schlagzeugsolos der allgegenwärtigen Krise eine akustische Kampfansage. Er schuf damit gleichzeitig ein klangliches Monument für einen tatsächlich Handelnden. Ich glaub, geredet hat er kein Wort und was er tat, hatte Hand und Fuß. Voll aufdrehen und los geht’s.

Nachschlag für Interessierte: Das ganze Konzert inklusive ‚Tubular Bells‘ gibt es auch im Netz.

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 2

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Ali-Emilia Podstawa

Gelsenkirchen-Fan, Schreiberling*in, Nicht-Binär, Teil-Analog

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
9 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Heinz Niski

Wichtig ist ja, dass man den schlimmsten Antisemiten und Hetzern die rote Karte zeigt. Nein, nicht denen, die aus der BRD ein Kalifat machen wollen, Richard David Precht ist der Übeltäter, nun ist es raus.
Gaga Land BRD
https://www.fr.de/panorama/podcast-richard-david-precht-lesung-verbot-hamburger-kultfabrik-kampnagel-markus-lanz-zr-92652860.html

0
0
Mi.Rob.

Endlich bildet sich – wie hier in Berlin – eine Initiative des guten Geschmacks, die miese und überteuerte Kaffeepanschereien in Wegwerfbechern wie die bei Starbucks nicht mehr dulden und den Kundenkreis zum Verzehr besserer Kaffeeprodukte zu ermahnen.
comment image
https://twitter.com/derbukki/status/1720839811148247458

0
0
Ro.Bien.

Denen gehts zu gut, hätten meine Eltern früher gesagt. Die wissen, einfach nicht, was Probleme sind, die Glücklichen.

0
0
Heinz Niski

Ich habe im Keller noch einen Stapel verbotener Bücher, du verstehst schon, wegen Rassismus usw. – unter anderem Hauffs Märchen. Dort findet sich in der Geschichte vom Kalif Storch die Antwort auf deine Frage!!!
Queere laufen mitten drin mit, allerdings müssen sie ein Zauberpulver benutzen, das sie temporär Binär macht. Ich finde, das ist ein fairer Kompromiss. Einziges Problem: sie dürfen während der Transformation nicht lachen, na ja, wie die Geschichte weitergeht, kann jeder selber nachlesen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Geschichte_von_Kalif_Storch

Disclaimer:

Der Schriftsteller Hauff ist bekannt dafür, dass er sprachliche Grausamkeiten vermengt mit Schilderungen von realen Makroaggressionen. Nichts für schwache Nerven, nichts für Bürger aus Wokistan.

0
0
Heinz Niski

Die Nummer ist durch. Eine geriatrische Verhandlungs- Ausgleich- Kompromissgesellschaft hat keine Chance gegen ideologisch Aufgeladene, Gewaltaffine. Liegestuhl, Picknickkorb, vom Rande zusehen, in welcher Geschwindigkeit humanistische Werte, Aufklärung, Demokratie, in den Orkus gespült werden und hoffen, dass man die Woken noch vor sich als Opfer vorbeiziehen sieht.

0
0
xyz
Heinz Niski

Sascha Lobo:

0
0
saschalobo