Als Jan Hus, der tschechische Reformator und Vorläufer der lutherschen Reformation, am 6.Juli 1415 auf dem Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, soll er vor seinem Tod den Ausruf „o sancta simplicitas“ (o heilige Einfalt) getan habe, als, so wird überliefert, eine alte Frau noch zusätzliches Stroh auf den Scheiterhaufen legte, damit er auch schön brenne. **
„Einfalt“ steht hier für eine gewisse „Schlichtheit“ der Gedanken, die man dem bekannten „Einfaltspinsel“ zuschreibt. Die Einfalt ist eine nahe Verwandte der Torheit. Beides ist, auf den geistigen Gehalt (die intellektuelle Kapazität) bezogen, negativ besetzt. Diese negative Bedeutung (Einfalt als Einfältigkeit) steht neben der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs Einfalt, die sich auf den Charakter oder die Person in ihrer „Gesamtheit (die Persönlichkeit) bezog (die Einfalt des Herzens) und eher Rechtschaffenheit, Aufrichtigkeit und Unverstelltheit meint.
Dem Begriff „Einfalt“ steht heute als Antonym die Vielfalt gegenüber – gemeint als Diversität in der Soziologie oder als Biodiversität (Biologie) oder als kulturelle „Vielfalt“ („multi-kulti“).
Die Vielfalt fördern will auch ein neues „Integrations-Projekt“ der Stadt Gelsenkirchen, das den programmatischen Titel trägt: „Vielfalt lebendig gestalten“. Das klingt hochwertig! Dahinter verbirgt sich aber der Versuch, ein Problem zu lösen, das, so meine ich, unter den gegebenen Umständen nicht zu lösen, sondern bestenfalls zu kaschieren und vielleicht etwas einzudämmen ist:
Es ist das Problem der zunehmend als „gescheitert“ empfunden Integration von Migrantengruppen, die – ganz unabhängig von ihrem Status als Flüchtling, Antragsteller auf Asyl, Geduldeter, Zugezogener aus Südosteuropa oder als anerkannter Asylsuchender – in Gelsenkirchen (und ganz Deutschland) leben.
Der Kern des Projektes besteht darin, Personal aufzustocken: Sozialarbeiter (aufsuchende Sozialarbeit) und Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, die, zusätzlich zu den vorhandenen Kräften, in den fünf Bezirken der Stadt wirken und einwirken sollen! Es sollen Angebote gemacht werden, etwa Freizeitangebote für Jugendliche, aber auch die Kontrolle soll erhöht werden durch die Präsenz der Ordnungskräfte. Als „Modell“ sollen Erfahrungen dienen, die am Heinrich-König-Platz gemacht worden sind, als sich Anwohner und Geschäftsinhaber über marodierende Jugendliche beschwerten. *** Hintergrund des „Projektes“ ist die Tatsache, dass sich Beschwerden aus der Bürgerschaft in der gesamten Stadt quantitativ und qualitativ verschärft haben und seitens der Stadt(-verwaltung) sogar der soziale Frieden als „gefährdet“ gesehen wird.
Den guten Willen will ich niemandem in der Stadtverwaltung und der Stadtspitze absprechen. Wenn man überhaupt auf kommunaler Ebene einen Vorwurf erheben kann, dann den, dass von politischer Seite viel zu lang das sich abzeichnende Problem der misslingenden Integration und der damit im Zusammenhang stehenden wachsenden Unzufriedenheit und Unsicherheit in der Bürgerschaft kleingeredet wurde. Vielmehr noch: die Kräfte, die auf die Problematik hingewiesen haben, wurden von politischen Weichzeichnern besonders aus dem linken und grünen Spektrum schnell in die rechtsextreme, ausländerfeindliche und sogar rassistische Ecke gestellt und als Nazis abgestempelt. Wurmfortsätze dieser Kultur der Nicht-Benennung finden wir aber auch heute noch, nämlich dadurch, dass undifferenziert über Migranten gesprochen wird. Im Grunde müsste man, wie oben bereits formuliert, über einzelne Gruppen sprechen. Die Probleme der Zuwanderer aus Südosteuropa (die Probleme, die sie haben, und die Probleme, die sie machen) sind andere als die von Zuwanderern aus den Maghreb-Staaten, der Sub-Sahara, aus Afghanistan oder der Ukraine. Zudem gibt es Gruppen von Zuwanderern, die für die Beschwerden, die sich bei der Stadt häufen, kaum Verantwortung tragen, weil sie sich von allein weitgehend „integrieren“.
Eine große Rolle spielen dabei die von „zuhause“ mitgebrachten kulturellen Eigenheiten, die religiösen und sozialen Einstellungen, aber auch die Konflikte, die aus der alten Heimat importiert werden. Als aktuelles Beispiel: Unter denen, die nun ihren Hass gegen Juden auf der Straße ausleben, wird man wohl unschwer mehr Menschen islamischen Glaubens finden als katholische Kroaten oder Anhänger des Buddhismus, weil Antisemitismus nicht nur politische Folklore ist, sondern zur religiösen, politischen und kulturellen DNA gehört. Ebenso wird man unter den Israel-Hassern mehr Zugewanderte aus Staaten des Nahen Ostens finden als Bürger aus Südost-Asien. Wenn es um (nachbarschaftliche) Probleme wie Lärm, Müll, mangelnder Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, geht, wird man mehr Konflikte mit Gruppen aus Südosteuropa haben als mit Menschen, die im Zuge des Krieges gegen die Ukraine zu uns gekommen sind. Kurz: Das Projekt hat – pauschal gesagt – die Aufgabe, Flammen auszutreten, um einen Großbrand zu verhindern, wie wir ihn aus Vororten von Paris und anderen großen Städten Frankreichs kennen, aber auch aus Städten in den USA oder Englands.
Letztlich geht es um Probleme, die an anderer Stelle verursacht worden sind, nämlich auf Seiten des Bundes, dann aber an die Länder weitergereicht werden und von denen an die Städte. Ohne eine Einwanderungspolitik, die einen Zuzug regelt und das Recht auf Asyl gegen die verteidigt, die es missbrauchen, wird Gelsenkirchen auch mit diesem „Projekt“ das Hase-und-Igel-Rennen verlieren. Ohne die Einsicht, dass wir das Leid der Welt, das unzweifelhaft millionenfach in Form von Einzelschicksalen existiert, nicht werden schultern können, werden wir eine Zunahme von Konflikten erleben, die nicht mehr beherrschbar sein werden und es heute teilweise schon nicht mehr sind. Diejenigen, die heute noch meinen, wird könnten die Tore noch weiter öffnen und allen und jeden aufnehmen, gleichen dem Mütterchen, das der Legende nach noch Strohbündel an den Scheiterhaufen von Jan Hus gelegt hat. Sie sind nicht einfältig im Sinne eines reinen Herzens, sondern Einfaltspinsel, für die, wenn die Flammen schon lodern, noch ein letztes „o sancta simplicitas“ reserviert ist!
** Varianten sprechen von einem Bauern, der Holzscheite brachte
***Ein Nebenaspekt der zum „Modell“ erhobenen Erfahrungen ist übrigens, dass zunächst sogar versucht wurde zu leugnen, dass es ein Problem mit (migrantischen) Jugendlichen gab und man sich von grüner Seite in Gestalt eines bekannten Parteivertreters sogar zu der Behauptung verstieg, diese Vorfälle seien nur in die Öffentlichkeit gebracht und künstlich vergrößert worden, um Ladenmieten zu senken.
Zur lokalen Berichterstattung siehe : WAZ von heute oder auf waz.de
Mehr und mehr bin ich davon überzeugt, dass Gelsen die Aufgabe der negativen Modellstadt hat. Wie im Labor betrachten die übrigen Verdächtigen, wann die Ratten, bei welchen Experimenten das Schiff für immer verlassen. und wer bleibt.
Dass die sich bei der Lage immer noch trauen, solche Projekttitel rauszuhauen, grenzt an Abgestumpftheit gegen sich selbst lächerlich machen. Wenn man dann den neuesten Sermon von Gelsenkirchens Bundesabgeordneten, der sich für nix zu schade ist, in der heutigen WAZ durchliest, hat man entweder gleich Brechreiz oder weiß endgültig, dass die gesicherte, berufliche Zukunft am Besten auch heute noch ohne eigene Eigenschaften und Talente in einer Partei gut aufgehoben ist.
Kein Landtags-Bundestags- oder EU Abgeordneter kann mehr behaupten, dass er nicht wisse, dass die Regierungen Bulgariens und Rumäniens ihre sozialen, kulturellen, ethnischen Probleme aktiv und gezielt nach Deutschland, speziell ins Ruhrgebiet verschieben.
Sie reden sich mit der Schutzbehauptung raus, dass man damals “Naiv” gewesen wäre. Quatsch mit Soße.
Heute wissen sie, dass mit dem nächsten Erweiterungspaket die jederzeit in Gewalt ausartenden ungelösten Konflikte zwischen den Ex-Jugoslawien Staaten in unsere Städte importiert werden.
In 20 Jahren werden sie wieder euphemistisch Naivität anführen und dass sie es doch nur gut gemeint hatten….
Aber die Dauerzuweisung sämtlicher Fachleute und Anwohner als Rassisten ist jetzt endgültig nicht mehr möglich.
Die Opfer des Nationalsozialismus werden wohl auch in Zukunft immer wieder aus der Kiste geholt, um sie zur Argumentation heute zu benutzen.
Immerhin sollen ja nationale Zuständigkeiten auch in Zukunft abgeschafft werden – zugunsten. größerer und multinationaler Organisationen.
Das Für und Wider solcher Entwicklungen lassen sich mithilfe der Opfer vor 80 Jahren halt sehr gut abkürzen. Ohne Argumente aber mit Gefühlen – und die fühlen sich immer echt und wahr an.
Hat ja bei den Viren und dem Ängsteschüren auch so gut geklappt.
Never change a running system.
Diese Formulierung geht m. E. gar nicht.
(“..aus der Kiste..”)
Wieder eine kenntnisreiche und scharfsinnige Betrachtung.
Die Politiker-Politikaster versuchen nun mal, sich selbst zu legitimieren und einen Hauch von Handlungsfähigkeit vorzutäuschen..
Es fehlt: eine kantige Partei der Arbeit wie es lange die SPD und danach die weltoffene Linkspartei sein wollte, die den traditionell hochgehaltenen Internationalismus total missverstanden hat.
Währenddessen wird mehr und mehr perverser Reichtum angehäuft…
https://taz.de/!5963717/