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Wir haben an anderer Stelle (GESAGT und GEMEINT 4) Aussagen von NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (GRÜNE) zitiert und uns damit – wenn auch polemisch – auseinandergesetzt. Ich möchte auf dieses Textzitat noch einmal zurückkommen und dabei auf typische sprachliche Merkmale der Verwaltungssprache eingehen, denn wir haben hier geradezu ein Musterbeispiel dieses Sprachtyps vor uns, was deshalb von Interesse ist, weil es deutlich macht, dass auch „grüne“ Ministerinnen die Sprachkultur der Bürokratie pflegen.

Ein typisches Merkmal ist der komprimiert-abstrakte Stil, der zu Nominalisierungen führt: statt mit Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, wird „das Gespräch gesucht“ (die Bürger verschwinden hinter dem abstrakten „Gespräch“). Es geht auch nicht darum, ein Problem gemeinsam zu lösen, sondern Lösungen zu finden. Hier verschwinden ebenfalls die Menschen samt dem Problem, das als solches noch nicht einmal benannt wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung „unsere Aufgabe als Politik“. Durch die Formulierung („wir als Politik“) werden die Politiker und Politikerinnen zu einem Abstraktum, das nicht persönlich verantwortlich ist. Das wäre anders, wenn die Ministerin eine Ich-Botschaft verwenden würde, die sie selbst in Haftung nimmt: Ich bin als Ministerin dafür verantwortlich, dass…. Hier aber wird sie Teil eines anonymen Kollektivs   (wir)  und einer abstrakten Größe (Politik statt Politiker), die entpersonalisiert. Der Stil ist emotionslos und unpersönlich. Der Mensch verschwindet durch die Sprache hinter dem Amt bzw. der Funktion.

Deutlichstes Beispiel für diesen abstrakt-unpersönliche Stil der Nominalisierung ist die Wortschöpfung „Akzeptanzsteigerung“. Hier könnte es anders lauten: „Wir bemühen uns darum, dass unsere Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern verstanden und angenommen wird“. In der Sprache der Ministerin sieht man sich einer „Akzeptanzsteigerung“ ausgesetzt.  Das ist eine Formulierung, die übrigens voraussetzt, dass es überhaupt eine Akzeptanz für die „Zentrale Unterbringungseinrichtung“ gibt und diese nur noch gesteigert werden muss. Hinter der Formulierung verschwindet auch hier der Kern des Problems.

Die „Zentrale Unterbringungseinrichtung“ (statt Flüchtlingsunterkunft oder Heim für Geflüchtete) lässt nicht nur die verschwinden, die dort untergebracht werden sollen, sondern ist eine typische bürokratische Wortschöpfung des „Amts- oder Papierdeutschen“. Es gehört in die Gruppe von Formulierungen wie „raumübergreifendes Großgrün“ (Baum), „Grundstücksentwässerungsanlage“ (Regenrinne) und „Restmüllbeseitigungsbehälter“ (Mülltonne).

Dieser Sprachstil ist vom Ansatz her der Notwendigkeit der Präzision und der juristischen „Wasserfestigkeit“ der Amtssprache geschuldet und dient, etwa durch die Vermeidung von Nebensätzen und besonders auch von erweiterten Infinitiven (statt „um einen Umzug zu vermeiden“ also „Umzugsvermeidung“), der Textökonomie. In der Kommunikation zwischen den politischen Verantwortlichen und den Bürgerinnen und Bürgern kann dieser Stil aber auch Ausdruck einer Entfremdung sein!

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Auch schön, wenn das als experimentelles Autorenkino läuft und viral geht. 3:51 Minuten, die es in sich haben. Doktor Murkes gesammeltes Schweigen lässt grüßen.

https://youtu.be/fRbweMEzrgo

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So.Jo.Tien.

Die Darstellung hat mich etwas enttäuscht. Bei der Begrifflichkeit der „juristischen Wasserfestigkeit“ musste ich dann aber doch lachen. Dass das Amt den Menschen verändert, durfte der Autor selbst am eigenen Leib erleben, als er als Stadtverordneter im Rat zum „M o t z kowski“ mutierte, der den SPD-Kollegen lustvoll den Marsch blies. Diese Gegenoffensive hatte was. Nicht nur nebenbei verlor die SPD mit ihren Mannen das Privileg andere zu beleidigen. Dieses Machtmonopol der Mehrheitsfraktionsmitglieder weichte langsam auf. Das Prinzip dahinter: „Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht.“ veränderte sich. Die Wandlung vom Menschen Matzkowski zum M o t z kowski war machtpolitisch ein Glücksgriff. Ob gewollt oder ungewollt.
Über ungewollte Veränderung des Menschen durch die Macht des Amtes weiß die Forschung mittlerweile recht viel. „Dacher Keltner, Psychologe an der University of California in Berkeley, sagt: Wir alle sind Opfer des Macht-Paradoxes. Niemand ist davon verschont. Es kann selbst jene treffen, die ursprünglich mit bestem Wissen und Gewissen ihre Machtposition nutzen wollten.“ Abraham Lincoln, der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, schrieb: „Unter Zwang kann jeder das Richtige tun. Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, gib ihm Macht.“ Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt zu: „Das Amt verändert und korrumpiert den Menschen.“
Wenn vorliegend zwischen den Zeilen ein starker Charakter gefordert wird, der all dem widersteht, was mit der Macht des Amtes verbunden ist, so ist das nachvollziehbar, weil wünschenswert. Gewaltenteilung, sprich Demokratie, ist das probate Mittel dazu. Schaut man sich jedoch den Zustand der Demokratie an, so ist ein Missverhältnis zwischen dem „Dualismus von Verwaltung und Mehrheitsfraktionen“ seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2016 und den Rechten der Minderheiten erkennbar, die laut BVerfG gestärkt gehören, um der Machtansammlung des Dualismus demokratische Kontrolle entgegenzusetzen. Leider ist dieser Aspekt in der Gesellschaft nicht angekommen. Die Mächtigen sind daran nicht interessiert. Die Opposition hat nicht die Macht dazu ihre Rechte zu stärken. Stattdessen ist zu beobachten, dass die Demokratie aufs Spiel gesetzt wird. Das ist folgerichtig, aber nicht zwingend die richtige Idee. Zur Unterscheidung weiß die „Rechtslinguistik“ Rat, die seit den 1970iger Jahren die Rechtssprache untersucht. Etablierte Forschungsfelder der Rechtslinguistik sind bislang drei Bereiche: Fachsprache und ihr Verhältnis zur Gemein- bzw. Laiensprache, Juristische Semantik und Kommunikation vor Gericht.

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