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Though this be madness, yet there is method in it (Shakespeare, Hamlet, II/2)

Jetzt mal ehrlich. Kann man das anders als bekloppt nennen, dass die GRÜNEN fast zwei Jahre nach den Bürgerbeschwerden über randalierende und aggressive Jugendliche nun eine Veranstaltung zum Thema „Jugendgewalt“ im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ durchführen, getrieben von der Sorge, dass im Kontext dieses Themas zu schnell der „Fokus“ auf das Thema „Migration“ gelenkt wird. Man hat eine ungefähre Vorstellung, wie differenziert die GRÜNEN auf dieser Veranstaltung argumentieren werden. Vor zwei Jahren gab es noch aus dem Kreis der GRÜNEN die Vermutung, die Probleme am Heinrich-König-Platz würden künstlich aufgebauscht (u.a. durch einen Buchhändler, dem man unterstellte, es ginge ihm um eine Mietminderung). Und die Richtung, die eingeschlagen wurde, nachdem die Probleme nicht mehr zu leugnen waren, war natürlich, die Ursache für die Aggressionen bei der Gesellschaft zu suchen. In einer Presseerklärung des grünen Kreisverbandes vom 6.6.21 hieß es:
Wir dürfen aber nicht vergessen, in welcher Ausgangslage wir uns befinden: Der Platz ist wegen der Pandemie seit nahezu einem Dreivierteljahr nicht mehr bespielt worden. Noch länger sind beliebte Aufenthalts- und Freizeitorte für Jugendliche nicht mehr zugänglich, ganz zu schweigen von den grundsätzlichen Einschränkungen, denen die offene Kinder- und Jugendarbeit unter Corona ausgesetzt ist.“ Nun ist Corona längst Vergangenheit, der Platz kann wieder „bespielt“ werden – aber über Gewalt von Jugendlichen gegen andere Jugendliche (und Erwachsene) ist täglich zu lesen und in den Nachrichten zu hören. Da muss man dann als politische Partei doch noch irgendwie auf den Themen-Zug springen und so tun, als hätte man neue Erkenntnisse (zu bieten). So wird man in den Reihen der GRÜNEN wohl nach verdrucksten und verschwiemelten Antworten suchen müssen, um sich selbst zu bestätigen, dass man volle Kanne anti-rassistisch auf der Seite der jugendlichen Täter steht, die eigentlich eher Opfer des Rassismus sind. Immer schön die Problematik umschiffen oder im Zweifelsfall davon ausgehen, dass die deutschen Kartoffeln sowieso rassistisch eingestellt sind! Bravo! 100 Punkte auf der 100-Punkte-GAGA-Skala!
Mein Vorschlag: Liebe GRÜNE, macht doch keine Diskussionsveranstaltung in einem „Szene-Lokal“ auf der „hippen“ Bochumer Straße mit einer grünen Parteigängerin aus Köln, die euch sowieso die Welt erklärt, wie ihr sie euch erträumt, sondern stellt euch einfach mal ein paar Tage und Abende an die „Hot-Spot-Ecken“ der Stadt und sprecht mit Jugendlichen –  Tätern und Opfern –  und nicht nur mit organisierten Verbandsvertretern oder Polit-Fuzzis! Ganz im Sinne von „aufsuchender Jugendarbeit“!

Jetzt mal ehrlich. Kann man das anders als bekloppt nennen, dass sich dieses Land, in dem es nicht nur von Aktivisten, sondern auch von Experten nur so wimmelt (jüngst sind vor allem „Militärexperten“, „Putin-Experten“ und Kreml-Experten“ gefragt), auch noch einen Ethik-Rat leistet, in dem sich also Experten für „Ethik“ versammeln. Eine Einrichtung, die sich selbst so bezeichnet: „Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens. Mit seinen Stellungnahmen und Empfehlungen gibt er Orientierung für die Gesellschaft und die Politik“. Die „großen Frage des Lebens“ also: So etwas wie: „Ein Tisch hat vier Beine. Warum habe ich nur zwei?“ oder „Eine Thermoskanne hält im Sommer die Getränke kühl und im Winter warm. Woher weiß die Kanne, welche Jahreszeit wir haben?“
Spannend sind vor allem die Empfehlungen für die Politik. Da hat sich der Ethik-Rat doch während der Corona-Zeit ganz tief in eine Debatte über die Impfpflicht vergraben und zunächst eine Empfehlung für eine berufsbezogene Impfpflicht gegeben, später dann für eine generelle Impfpflicht. Man könnte also sagen: Der Ethik-Rat ist so etwas wie ein politisches Beiboot der Regierung, wartet die Wasserstandsmeldungen ab und begründet dann in einem Schwall wohlgesetzter Worte das, was die Regierung sowieso vorhatte. Wobei das Wichtigste immer der wohlgesetzte Schwall ist. Geschwallt hat der Ethik-Rat jetzt auch wieder zum Thema KI in seiner „Stellungnahme“ mit dem Titel „Mensch und Maschine – Herausforderungen durch künstliche Intelligenz“. In dem Texterguss finden sich wahnsinnig wichtige und überraschen Ein- und Ansichten, z.B. diese: „Moralische Verantwortung können nur natürliche Personen übernehmen, die über Handlungsfähigkeit verfügen, d.h. in der Lage sind, aktiv, zweckgerichtet und kontrolliert auf die Umwelt einzuwirken und dadurch Veränderungen zu verursachen. Träfe dies auch auf Maschinen zu, wären auch diese verantwortungsfähig. Dann müsste Maschinen der Personenstatus zugeschrieben werden, was jedoch weder aktuell noch angesichts der in absehbarer Zukunft erwartbaren qualitativen Entwicklungen maschineller Systeme angemessen wäre.“ ***Da wäre ich jetzt nicht darauf gekommen, aber hier gilt: Wenn das Wörtchen wenn nicht wär, wär ich längst schon Millionär. Also: wenn eine Maschine moralische Verantwortung übernehmen könnte, dann bekäme sie den Status einer Person. Aber das steht wohl nicht auf der Tagesordnung. So die Ethik-Füchse. Weshalb sie auch noch schnell ein anderes Problem benennen: „Wer jeweils konkret wie viel Verantwortung trägt, ist häufig schwierig zu bestimmen.“*** Und das macht natürlich klar, warum Politiker und Politikerinnen nie so genau wissen, wer jetzt für was verantwortlich ist. Außer natürlich, dass sie selbst nicht verantwortlich waren, also un-verantwortlich waren. Das ist ein guter Rat des Ethik-Rats für die politische Kaste – besonders wenn man vor einem Untersuchungsausschuss steht und sich nicht mehr erinnern kann, wer jetzt verantwortlich war. Und wir haben bei der Corona-Aufarbeitung gesehen und sehen es noch, dass letztlich niemand verantwortlich war für Fehlentscheidungen, wie z.B. die unnötige Schließung von Kindergärten und Schulen oder den Druck auf Menschen, die Zweifel an der Impfung hatten. Und da hat auch der Ethik-Rat seine eigene Position noch nicht einer kritischen Würdigung unterzogen und lehnt eine Entschuldigung ab mit dem Argument: Niemand sei schuldig geworden, weswegen eine Entschuldigung nicht angezeigt sei.
Deshalb: 150 Punkte auf der 100-GAGA-Punkte-Skala.

Mein Vorschlag: Mitglieder des Ethik-Rates kommen mindestens vier Wochen lang in den Gelsenkirchener Hauptbahnhof mit einem mobilen Info-Stand zu den ethischen Grundfragen: Soll ich mir KI kaufen dürfen, wenn ich keine eigene Intelligenz habe? Und: soll ich schon mal mein Messer abgeben oder darf ich es trotzdem behalten?

***die Zitate stammen aus der „Stellungnahme“ des Ethik-Rates (steht auf der Seite des Rates als PDF zum Download zur Verfügung, 287 Seiten)

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Auf Twitter und Youtube kursiert das Video, in dem Mädchen, mit wahrscheinlich migrantischem Hintergrund, ein Mädchen, wahrscheinlich ohne migrantischen Hintergrund, quälen und demütigen.
Gewalt scheint in diesen Familien alltäglich zu sein, so routiniert und eher beiläufig finden die Demütigungen statt.

https://www.shz.de/deutschland-welt/schleswig-holstein/artikel/maedchengewalt-in-heide-taeterinnen-filmen-opfer-44379169

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seb.totz.

Wo seid ihr? Stehe hinten links..comment image

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seb.totz.

Vom Fenster aus rechts…

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Heinz Niski

Ich bin zu Hause.

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seb.totz.

 schade… Wäre gern mit euch in die Diskussion gegangen…comment image

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Heinz Niski

 wir sind kein doppeltes Lottchen. Du wirst sicher öffentlich über die Erkenntnisgewinne der Veranstaltung berichten und wir können uns möglicherweise dann darüber austauschen?

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Heinz Niski

Moin Sebastian, ich lese gerade deine Zusammenfassung der Grünen Diskussionsrunde zum Thema „Jugendgewalt“ :

Schöne Veranstaltung, die mir Mal wieder gezeigt hat das Probleme nicht eindimensional sind …. Gerne mehr davon, auch mit kontroverseren Akteuren….

Interpretiere ich dich richtig, dass dort aus einem eher eindimensionalen Meinungsspektrum heraus die Erkenntnis wuchs, dass Probleme vielschichtig sind? Wie komplex müssen dann erst Probleme erscheinen, wenn noch kontroverse Meinungen und Sichtweisen dazu kämen?

Ich erkenne an, dass persönliche Begegnungen und direkte Gespräche einen sehr hohen Stellenwert haben, um in einem friedlichen Wettstreit gemeinsame Positionen zu finden, aber….. deine Zusammenfassung klingt zunächst wie eine Bestätigung von B. Matzkowskis These, dass die Veranstaltung eher ideologisch konnotiert sein würde, als ergebnisoffen Lösungen zu suchen.

Liege ich da völlig daneben?

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seb.totz.

Nabendmal! Die Themen die andiskutiert wurden, wurden durchaus vielschichtig betrachtet. Schließlich saßen dort ja auch zwei Lehrer*innen auf dem Podium, die jeden Tag mit Jugendlichen zu tun haben. Natürlich ist eine Veranstaltung von Grünen nicht frei von grüner Argumentation. Umso ärgerlicher das solche Veranstaltungen mehr oder weniger in der eigenen Bubble stattfinden. Ich hätte mir gewünscht, das sich vielleicht ein Vertreter der cDU ihren Vorsitzenden zum Thema Pascha verteidigt hätte, zumal ja mit der Merz Aussage geteasert wurde. Daher der Wunsch zukünftig kontroverser ins Gespräch zu gehen. Die Eindimensionalität war mehr autobiografisch weil mir aufgefallen ist, dass ich einige Aspekte in meiner Komfort-Zone nicht auf dem Schirm hatte. Alles in allem kann ich deine Aussage nur unterstreichen, es ist unfassbar wichtig im Dialog zu bleiben gerade dann wenn man anderer Überzeugung ist…

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Ro.Bien.

Unbegreiflich ist mir, wieso die Erkenntnisse unseren heutigen NRW-Staatsekretärin des Inneren, Daniela Lesmeister, jahrelang bei der Gelsenkirchener Polizei beschäftigt und bereits 2004 ihren Doktor ausgerechnet über Jugendkriminalität in dieser Stadt machte – knapp 20 Jahre später auf keinen fruchtbaren Boden stießen?

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