5
(2)

Heute mit: Bahnhöfen, alten und neuen Abhängigkeiten, Solarzellen, Bekleidung, Tiger und Bär

Das wunderschöne große Glasfenster aus dem alten Gelsenkirchener Hauptbahnhof ist zum Glück erhalten worden, wenn es auch ein trauriges Dasein an der Frontseite des ehemaligen Boeker-Gebäudes führt, wo das prächtige Farbenspiel des Fensters natürlich nicht zur Geltung kommen kann. Das Fenster zeigt die ehemaligen Säulen des Gelsenkirchener Aufschwungs: Chemie, Bekleidungsindustrie, Kohle, Stahl und Glasindustrie. Würde man heute ein solches Fenster schaffen, wäre lediglich die Chemie als nennenswert zu berücksichtigen. Die anderen Industriezweige sind am Standort Gelsenkirchen verschwunden oder spielen nur noch eine, an ihrer vormaligen Bedeutung gemessen, sehr kleine Nebenrolle (Glas).
Was würde ein neues Fenster zeigen (müssen)? Vielleicht den Umstand, dass Bahnhöfe heute Hotspots absonderlicher Aktivitäten und ein Tummelplatz für kleine und große Gesetzesbrecher sind, die der Bundespolizei bei den Kontrollen immer wieder ins Netz gehen (Waffen, gefälschte Papiere, zur Fahndung Ausgeschriebene). Wobei in diesem Kontext Gelsenkirchen keinen Spitzenplatz einnimmt. Bei Waffendelikten und Drogenstraftaten liegt, laut polizeilicher Eingangsstatistik des Jahres 2022, der Dortmunder Bahnhof bundesweit an der Spitze, auch die Landeshauptstadt befindet sich mit ihrem Bahnhof ganz weit vorne. Bei Eigentumsdelikten und Sexualstraftaten führt, fast könnte man es vermuten, Köln (zur Erinnerung: Silvesternacht 2015/2016). Gleichwohl kann man feststellen: Ein Aufenthalt im Gelsenkirchener Bahnhof ist nicht vergnügungssteuerpflichtig! Und es gilt auch hier: Wie viele Gesetzesverstöße entdeckt werden, hängt vom Umfang und der Regelmäßigkeit der Kontrollen ab!
Seit Monaten kämpfen unsere Ampelmänner und -frauen, allen voran Robert H., dafür, aus den Verstrickungen der Abhängigkeit vom russischen Gas zu kommen und nicht mehr dem Diktator Putin zuzuarbeiten. Robert macht deshalb für ein paar Liter Öl oder einige Kubikmeter Gas auch schon mal den Diener vor autokratischen Scheichs und anderen zwielichtigen Gesellen, was ein wenig nach Etikettenschwindel aussieht oder wie eine chinesische Weisheit sagt: Einen Hammelkopf aushängen, aber Hundefleisch verkaufen. Das gilt auch dafür, dass Robert H. begeistert in die Hände klatscht, wenn bei uns im hochsensiblen Ökosystem Wattenmeer LNG-Terminals installiert werden, gegen deren Errichtung Umweltorganisationen (BUND, NABU) Widerspruch eingelegt haben, weil sie Folgeschäden für das Ökosystem und klimaschädliche Auswirkungen befürchten, zumal das LNG in den USA mit einer Methode gewonnen wird (Fracking), die bei uns verboten ist. Aber sich aus der Einseitigkeit bzw. Abhängigkeit zu lösen, ist sicher nützlich. Doch es gilt auch hier eine alte chinesische Weisheit: Man darf nicht den Fehler machen, den Bären an der Tür zu bekämpfen und dabei den Tiger durchs Fenster hereinlassen!
Warum jetzt diese chinesischen Glückskeks-Sprüche? Weil der chinesische Tiger schon längst durch das Fenster in die Stube gekommen ist, während wir an der Haustür noch den (russischen) Bären bekämpfen. Der chinesische Tiger profitiert vom Solar-Boom in Deutschland, der dazu geführt hat, dass die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen deutlich angestiegen ist: Laut Statistischem Bundesamt kommen 87% der eingeführten Anlagen aus China (aus den Niederlanden lediglich vier Prozent und aus Taiwan nur drei Prozent). Die Abhängigkeit von China ist also übergroß! Zur Erinnerung: Eine Zeitlang wurde in Gelsenkirchen von der „Solarstadt“ geträumt. Mehr noch: eine Art „Solar Valley“ sollte ab 1999 entstehen. Doch schon 2014 platzten die Blütenträume: Die Solarzellenproduktion in GE wurde Vergangenheit. Die Produktion in China war preislich nicht zu schlagen! Der Tiger hat seine Krallen ausgefahren!
Und wenn wir schon bei China sind: Das Land ist, gefolgt von Bangladesch und der Türkei, auch der wichtigste Lieferant für Bekleidungsstücke auf dem deutschen Markt. Die großen Modehäuser und Modeketten lassen gerne preiswert in China produzieren. Massenweise Massenartikel, die den deutschen Markt fluten, weil mittlerweile in immer kürzer werdenden Abständen neue „Kollektionen“ in die Filialen kommen. Die Kette PRIMARK, die im Billig-Segment den Marken H&M und ZARA Konkurrenz macht, ist in Deutschland einst mit dem Knaller angetreten, man könne sich in den Modehäusern für 50 EURO von Kopf bis Fuß neu einkleiden. Und die Realität des Einkaufsverhaltens zeigt, dass Begriffe wie Nachhaltigkeit und Ethik so gut wie keine Rolle spielt – deren Image ist größer als ihre wirtschaftliche Bedeutung. Der Preis und die Haltbarkeit sind beim Kauf die beiden entscheidenden Aspekte, so die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Umfrage. Rund 64% der Befragten gaben an, nicht bereit zu sein, für „nachhaltige Mode“ mehr Geld ausgeben zu wollen. PRIMARK eröffnete 2010 seine dritte Deutschland-Filiale in – Gelsenkirchen! Eine Zeitlang war das Haus an der Bahnhofstraße sogar die umsatzstärkste Filiale des Konzerns (Umsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche) in EUROPA. Das hat sich geändert, u.a. durch die Eröffnung von Häusern in den Nachbarstädten. Mittlerweile steht auch die Gelsenkirchener Filiale auf dem Prüfstand.
Bekleidungsindustrie in Gelsenkirchen – das war einmal. Bekleidungshandel gibt es noch. Billigheimer! Kein Motiv also für ein neues Bahnhofsfenster!

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 2

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments