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Ja, wir sind im Krieg! Nicht (nur), weil wir Waffen liefern und der Ukraine materielle, finanzielle und politische Unterstützung leisten. Nicht, weil bei uns Sirenen heulen und uns in Bunker rufen. Nicht, weil wir die Einschläge der Bomben, Raketen und Granaten spüren und weil wir den Verlust von Menschen zu beklagen haben.
Wir sind im Krieg, weil wir im Krieg mit uns selbst sind. Im Gedanken- und im Sprachkrieg! Vor allem aber, weil wir dabei sind, das zu verlieren, was uns von Regimen wie dem Putins unterscheiden sollte: die freie Rede, der Respekt vor anderen Positionen, ja – auch die Lust am Widerspruch und Streit, am kontroversen Diskurs. In der Auseinandersetzung über den Ukraine-Krieg und den Weg zu seinem Ende ist all das längst verlorengegangen. Es ist ersetzt worden durch eine verbale Vernichtungsmaschine, die gleich einem Juggernaut-Rad alle zermalmt, die Positionen einnehmen, die jenseits einer uneingeschränkten Fortsetzung von Waffenlieferungen liegen. Das Argument gegen kontroverse Argumente ist ersetzt worden durch die persönliche Verunglimpfung, die Unterstellung, die persönliche Abwertung und Diffamierung. Mehr noch: durch den Versuch der öffentlichen (sprachlichen) Vernichtung!
Ein doppelter Überbietungswettbewerb hat eingesetzt: Einmal der, in dem es darum geht, noch mehr und noch schneller Waffen zu liefern in einem atemlosen Wettlauf mit anderen (moderateren) Positionen. Und dann der Wettlauf darum, wer am schrillsten, lautesten und übelsten die Diffamierung anderer Positionen und der sie äußernden Personen betreibt.
Vorläufiger – nein, nicht Höhepunkt, sondern Tiefpunkt: Bastian Bielendorfer, gern gesehener Gast auf Comedy- und allen möglichen Fernsehshow- und Quizbühnen der Nation.
Bielendorfer hat sich – in einem zwischenzeitlich unsichtbar gemachten Tweet auf Twitter – über Sahra Wagenknecht so geäußert: „Sahra Wagenknecht ist einfach nur die leere Hülle eines seelisch und menschlich komplett verdorbenen Zellhaufens.“
Muss man diesem „Satiriker“ und „Komiker“ erklären, aus welchem Regal er seine Wortkunst bezieht? Nämlich aus dem Regal des Antisemitismus und Nationalsozialismus, zu dessen Sprachelementen die „Entmenschlichung“ gehört, vor allem bezogen auf die Juden. Eine Entmenschlichung durch Sprache, die aber schon vor dem NS-Regime eingesetzt hat und von den Nazi-Propagandisten allerdings systematisch betrieben wurde. Horst Dieter Schlosser hat dazu u.a. geschrieben: „Auf deutscher Seite erlegte schon lange vor 1933 einer der prominentesten Antisemiten, der Philosoph, Nationalökonom und Wissenschaftstheoretiker Karl Eugen Dühring (1833–1921), in „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“ von 1881 dem „nordischen Menschen“ die Pflicht auf, die „parasitären Rassen“ auszurotten. Und der Orientalist und Kulturkritiker Paul de Lagarde (1827–1891) bezeichnete in seinem Buch „Juden und Indogermanen“ von 1887 Juden als „wucherndes Ungeziefer“, das zu „zertreten“ sei.“ ***
Nun, zum Zertreten, also zur körperlichen Vernichtung von Wagenknecht ruft Bielendorfer (noch) nicht auf. Er fordert (nur), sie nicht mehr in Talk-Shows einzuladen, sondern sie „zu therapieren“. Ihm geht es um die gesellschaftliche Vernichtung Wagenknechts, um ihre Entfernung aus dem Diskurs. Ihre Reduktion auf die Hülle eines „Zellhaufens“ ist nichts anderes als die NS-typische Entmenschlichung der Juden, wie sie in dutzenden von Reden begonnen hat und ihre Konsequenz in den Vernichtungslagern hatte.
Hitler schreibt in „Mein Kampf“ über „den Juden“: „Sein Sich-Weiterverbreiten aber ist eine typische Erscheinung für alle Parasiten (…). Er ist und bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet (…).“ (S. 334)
Die Reduktion von Sahra Wagenknecht auf einen „Zellhaufen“ ist kein intellektueller, argumentativer Widerspruch zu ihren Positionen, sondern eine Entwürdigung des Menschen Wagenknecht, eine Verunglimpfung ihrer Person – und übrigens auch würdelos für den „Künstler“, der sich in diesen sprachlichen Sumpf begeben hat.

***Schlosser, Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus (Köln-Weimar-Wien 2013, S.22). Schlosser geht der Geschichte der Sprachentwicklung in der Nazi-Zeit nach

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Basti Bielendorfer retweetet auch das „Browser Ballett“ „Satire in Serie“, die Versatzstücke aus Wagenknechts Rede zu solchen Perlen zusammen zimmern:

„.. und ich mach gar keinen Hehl daraus, dieser Mann (Putin) wird von uns verehrt, Alice Schwarzer und ich, wir fangen jetzt auch an, uns die Schamhaare zu rasieren, um Putin ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, das gehört, finde ich, dazu!“

Die Erregungsgesellschaft steht kurz vor dem hysterischen Zusammenbruch, der Feind ist ausgemacht, er ist weiblich, intelligent, gut aussehend, selbstbewusst, weshalb er amoralisch, im Dienst finsterer Mächte (Satan / Putin) stehen muss und ihm durch Folter (hier Psychotherapie, gesellschaftliche Ächtung) das Böse ausgetrieben werden muss.
Hexenjagd kann schnell in Pogromstimmung umkippen und wir haben ein Beispiel dafür, wohin das führt: Benno Ohnesorg wurde auch erschossen, Rudi Dutschke verstarb an den Spätfolgen eines Attentates auf ihn, weil die Bild eine Hetzkampagne gegen ihn entfachte.
Die rechten und linken Schreibtischtäter bereiten den Boden für einen politisch motivierten Mord vor, da kann doch ein sanfter Comedian mit Kulleraugen nicht abseitsstehen, er muss mindestens sein Scherflein dazu beitragen.
Die Morde an Liebknecht, Luxemburg, Dutschke, sollten mahnen, Leute, dampft mal eure überzogene moralische Empörung runter, die letztlich nur euer eigenes politisches und moralisches Versagen spiegelt.

Zitat von „Unbekannt“
Auch die Ukrainer verwenden sexualisierte Gewalt als Waffe. Das passt nicht ins Gut-Böse Schema der Propaganda, ist aber so.
https://monde-diplomatique.de/artikel/!5891503

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Heinz Niski

Das Wahrheitsministerium verkündet:

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Ro.Bien.

Hach. Bielendörfer ist nicht mein Humor. Dennoch hätte ich ihn gern weiter als seichten Sonnyboy von der Emscher platziert. Das geht nach diesem geschmacklosen Tweet nicht mehr. Schade. Aber: Sollte man ihm soviel Aufmerksamkeit mit geballtem Hirnschmalz widmen? Ich meine nicht. Diese empörte Maschinerie führt nur zu mehr Erfolg und weiteren Einladungen auf Talkshow-Sofas. Abhaken. Ignorieren. Und gut ist.

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