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Schein und Sein. In Gelsenkirchen und Bad Cannstatt.

„Indem bekamen sie dreißig oder vierzig Windmühlen zu Gesicht, wie sie in dieser Gegend sich finden; und sobald Don Quijote sie erblickte, sprach er zu seinem Knappen: »Jetzt leitet das Glück unsere Angelegenheiten besser, als wir es nur immer zu wünschen vermöchten; denn dort siehst du, Freund Pansa, wie dreißig Riesen oder noch etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen denke ich einen Kampf zu fechten und ihnen allen das Leben zu nehmen. Mit ihrer Beute machen wir den Anfang, uns zu bereichern; denn das ist ein redlicher Krieg, und es geschieht Gott ein großer Dienst damit, so böses Gezücht vom Angesicht der Erde wegzufegen.“ (Miguel de Cervantes Saavedra, Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha, 1. Buch, 8.Kapitel)

They Might Be Giants. So nannte sich, wohl in Anspielung auf eine der bekanntesten Episoden aus Cervantes´ weltberühmtem Roman, einst das New Yorker Indie-Pop-Duo John Flansburg und John Linnel, das seine Hoch-Zeit in den ausgehenden Achtzigern und den frühen neunziger Jahren hatte. Also: Sie könnten Riesen sein !
Und schon seit 1960 kennen wir durch Michael Ende und seinen Jim Knopf und seinen Lukas, den Lokomotivführer, den Scheinriesen Tur Tur, der kleiner wird, wenn er sich uns nähert.
Der Unterschied von Schein und Sein, von nur vorgetäuschter oder eingebildeter Größe, verbindet Gelsenkirchen dieser Tage mit Bad Cannstatt und irgendwie auch mit Cervantes, mit Michael Ende und dem Pop-Duo aus New York.

Aber eins nach dem anderen, wie es sich für einen HOLLOW TALK, also so eine Art Plauderstündchen gehört.
Beginnen wir in Gelsenkirchen und mit der Liebe seiner Schülerinnen und Schüler zu VEGANEM SCHULESSEN. Laut einer Befragung hatte sich ergeben, dass vermeintlich ein Drittel der Gelsenkirchener Beschulten sich für eine vegane Mahlzeit im Rahmen des Schulessens interessieren würden. Das Ergebnis sollte nun in einem Praxistest überprüft werden, wozu man verschiedene Schulform-Gruppen bildete und diesen ein veganes Angebot machte. Auch wenn die Ergebnisse in den Kontrollgruppen unterschiedlich ausfielen, war das Interesse insgesamt eher gering bis ganz gering. Und so konnte meine Lieblingslokalzeitung (in der Papierausgabe) nicht anders als metaphorisch zu formulieren, dass die Schüler dem veganen Essen „die kalte Schulter“ zeigten, also doch lieber beim „Standardessen“ zulangten. Das Interesse an veganen Speisen war also lediglich ein „Lippenbekenntnis“, und sobald es an den Mittagstisch geht, bleibt man der gewohnten Kost treu. Ob der Unterschied zwischen Schein und Sein, also geäußertem Interesse und tatsächlichem Verhalten, seine Ursache in Mängeln der Befragungsmethode oder der Auswahl der Befragten hat, muss wohl erst noch geklärt werden. Vielleicht haben viele der Kinder und Jugendlichen lediglich Interesse an veganem Essen geäußert, weil das VEGANE im Moment „in“ ist. Und vielleicht sind sie auch verschreckt worden, weil auch in veganem Essen jetzt alle möglichen Arten von Krabbeltieren, wenn auch in zermahlener Form, enthalten sein können. Schließlich sind Grillen und Käfer auch Lebewesen!
Jetzt aber der Sprung nach Bad Cannstatt, genauer: ans Amtsgericht. Dort mussten Klima-Kleber antreten, die in Stuttgart Straßen blockiert und dadurch den Tatbestand der Nötigung erfüllt hatten. Zwei der Super-Umweltschützer der Gruppe „Letzte Generation“ erschienen aber nicht vor Gericht. Die Angeklagte (22) und ihr Freund (24) weilten nämlich auf Bali und in Thailand, wohin sie zwecks Erholung im wohlverdienten Urlaub vom Klima-Kampf gejettet waren. Nach Berechnungen liegt der CO2-Verbrauch für die Flugreise (Hin- und Rückflug zusammen 23000 Kilometer) für beide Personen jeweils bei 7,9 Tonnen, weil insgesamt rund 140000 Liter Kerosin verfeuert werden.
Wie kann man das jetzt nennen? Mut, Chuzpe oder doch Doppelmoral? Oder ist es wie beim veganen Essen in der Schule einfach der Unterschied zwischen Schein und Sein, Anspruch und Wirklichkeit, Ideologie und eigenem Verhalten? Oder handelt es sich gar um eine Form der Persönlichkeitsspaltung, die der Sprecher der „Letzten Generation“ zum Ausdruck gebracht hat, der u.a. in der „BILD“ und im „Merkur“ zitiert wird mit der Aussage: „Sie haben den Flug als Privatleute gebucht, nicht als Klimaschützer. Das muss man auseinanderhalten.“
Tja, vom Kopf her bin ich Veganer, vom Magen her aber Fleischesser. Oder so ähnlich?
Die oben zitierte Aussage, die völlig schräg erscheinen muss, ergibt aber einen Sinn, wenn Recherchen der „Welt am Sonntag“ zutreffen, die erbracht haben, dass Aktivisten der „Letzten Generation“ teilweise tatsächlich finanziell alimentiert werden: Die Zeitung hat Chatnachrichten und interne Unterlagen der Klimaretter ausgewertet, Redakteure haben „under cover“ an Online-Seminaren teilgenommen. Hauptsponsor soll die US-Organisation „Climate Emergency Fund“ sein. Die Abwicklung in Deutschland erfolgt demnach über den Verein „Wandelbündnis“, der insgesamt 30 Kräfte beschäftigen soll, die Arbeitsverträge haben und sozialversichert sind.
Wenn das zutrifft, dann waren die beiden Klima-Kleber vielleicht tatsächlich im wohlverdienten Urlaub, denn Urlaubstage stehen auch Arbeitnehmern zu, die sich hauptberuflich auf Asphalt kleben oder Flughäfen blockieren oder Kunst beschmutzen.
Auch dann, wenn sie beim Näherkommen immer kleiner werden und sich als das entpuppen, was sie sind: kleine Wichte mit Doppelmoral, die käuflich sind.

In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich aber von den Gelsenkirchener Schülerinnen und Schülern. Die essen das, was ihnen schmeckt, und nicht das, was Umfrageergebnisse ihnen nahelegen. Vielleicht unter Aspekten der gesunden Ernährung nicht top!
ABER: Ehrlich immerhin!

*hollow (Adj.): hohl, leer, dumpf, bedeutungslos

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ali-Emilia Podstawa

Zum ersten: Mir als Mutter war es jedes Mal eine Freude, wenn die Schulkinder nach Hause kamen und nach vegetarischem Essen lechzten. Es kam nur nie vor. Mir als Vater war es jedesmal eine Freude, wenn meine Essenszubereitungen von den Abiturienten und Studenten jeglichen Geschlechts am Tisch zunächst seziert wurden und je nach Befund – tierisches Eiweis, ja oder nein – dann verspeist oder als ungenießbar zurückgewiesen wurden, mit dem Hinweis, das sei doch jedem in der Familie klar gewesen, wer gerade vegan, vegetarisch oder allesfresserisch drauf ist, nur dem Vatta mal wieder nicht. Als Nicht-binäres Elter kamen wir überein, dass jedes Essendes fortan mehrere Tage vor einem absehbaren gemeinsamen Mahl ihren Stand bezüglich der Ablehnug von tierischen Produkten dem Kochendes mitzuteilen habe. Seit dem ist Frieden. So wie ganz früher, als man oder frau nur „Pommes!“ durchs Haus brüllen musste, um alle Kinder innerhalb weniger Sekunden an den Tisch zu bekommen, damit sie dort ihrer angeborenen Vorliebe für Frittiertes fröhnen konnten.

Zum zweiten: Hierzu liefert die Netflix-Serie „After Life“ eine Szene. Ricky Gervais‘ Sicht auf Schein und Sein der angeblich Freiwilligen und Selbstlosen.
https://youtu.be/CIJBTTkSpW8

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Heinz Niski

Pfui. Eine Stunde Netflix = 150 Meter Auto fahren. Wie viel das in Bratwurst oder Schnitzel ist, kann ich gerade nicht umrechnen. Ich rate dringend davon ab, Netflix Propaganda gegen die Rettung der Welt zu konsumieren.

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Ali-Emilia Podstawa

Der CO2-„Fußabdruck“ einer Stunde Netflix schwankt gewaltig, wenn man den Google-Suchergebnissen irrer CO2-Vergleiche und den interessengetriebenen Studienergebnissen zum Thema glauben schenken darf. Verwirrend das Ganze. Ja, so ist sie, die Wissenschaft. Immer an puren Fakten orientiert und (angeblich bis auf die paar Schwurbler an den Rändern der Bildungstempel) sich immer in allem einig.

Dass man mit einer Stunde Netflix 150 Meter weit kommt, ist ja wohl ein Witz. Sofas bewegen sich üblicherweise nur um Millimeter, wenn die Sofanenden Platz nehmen oder sich versehentlich zwischendurch erheben.

Allerdings hat mir das Bundesumweltamt https://uba.co2-rechner.de/de_DE/ gestern noch bestätigt, dass der Lebensstil des Kerns meines Rudels für 2 Personen pro Jahr ungefähr das an CO2 produziert, was die beiden prekär beschäftigten Aufmerksamkeitsschaffenden durch ihre einmalige Flugreise nach Indonesien und zurück verursacht haben sollen. Ey, die beiden fliegenden Umweltsäue ballern innerhalb weniger Tage soviel CO2 raus, wie wir im ganzen Jahr. Respekt! Soviel Unwissen hätte ich den beiden nicht zugetraut, obwohl …

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Heinz Niski

Eine Milchmännchenrechnung, da der Umweltrechner nicht berücksichtigt, dass die privat unterwegs waren und danach nie mehr im Leben fliegen werden, während dein Kernrudel sich laut Statistischem Bundesamt und laut Erfahrungswissen reproduziert, deine Zahl also mindestens verdoppelt werden muss.

https://taz.de/Bali-Debatte-um-die-Letzte-Generation/!5909597/

Im Übrigen solltest du statt deines statischen Sofas einen Schaukelstuhl benutzen, das macht das Denken rund und simuliert zumindest Fortschritt.

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Ali-Emilia Podstawa

Das Satiremagazin taz wird auch immer besser. „Wir machen uns ständig Gedanken, wie es besser geht“ sagten die Ertappten. Und sie fanden dann nur eine Lösung, um den unbändigen Wunsch nach einer Fernreise zu befriedigen: „Scheiß was drauf, das gönnen wir uns jetzt!“
Vermutlich FDP-Mitglieder, also U-Boote mitten unter den Besten der Guten.
Wieso erfährt man von diesem eigentlichen Skandal nichts in den Medien?

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