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Hans- Magnus Enzensberger ist tot. Der am 11.11.1929 geborene Autor, Publizist und Herausgeber (u.a. Kursbuch, gegründet 1965, Transatlantik) ist gestern, am 24.11.2022, verstorben.
Enzensberger war ein kritischer Begleiter der APO, die Reihe „Kursbuch“ war eine führende Theorie- und Debattenzeitschrift der Zeit der Studentenrebellion und der gesellschaftlichen Veränderung in den ausgehenden 60er und 70er Jahren. In vielen Studentenbuden-Regalen standen die unterschiedlich farbig gehaltenen Bände der Reihe. Die Aufforderung, sich eindeutig auf die Seite der (linksradikalen) Studenten zu stellen, konterte Enzensberger einmal mit der Aussage, es sei nicht seine Sache „ mit Bekenntnissen um sich zu schmeißen. (…) Bekenntnissen ziehe ich Argumente vor. Zweifel sind mir lieber als Sentiments. Widerspruchsfreie Weltbilder brauche ich nicht. Im Zweifel entscheidet die Wirklichkeit.“ (Quelle: Wikipedia).

1988 veröffentliche DER SPIEGEL Enzensbergers Schrift „Das Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind“ (DER SPIEGEL 20/1988). Enzensbergers sprachlich und gedanklich brillanter Text ist auch heute noch lesenswert. Seine These: Es ist völlig gleichgültig, was das Fernsehen sendet, es ist ein Null-Medium. Der Bildschirm ist eine buddhistische Maschine, die Verkörperung des „Nichts“.

Zum Gedenken an Hans-Magnus Enzensberger hier ein kleiner Auszug aus dem Text:

„Wenn nämlich unsere Konzentration ihr Maximum erreicht – das geht aus jedem esoterischen Taschenbuch einwandfrei hervor -, ist sie von Geistesabwesenheit nicht mehr zu unterscheiden, und umgekehrt: die extreme Zerstreuung schlägt in hypnotische Versenkung um.
Insofern kommt der Wattebausch vor den Augen der Transzendentalen Meditation recht nahe. So ließe sich auch die quasi-religiöse Verehrung, die das Nullmedium genießt, zwanglos erklären: Es stellt die technische Annäherung an das Nirwana dar. Der Fernseher ist die buddhistische Maschine. (…)
Ich kann im Zweifelsfall stets behaupten, ich sei schließlich kein Zombie und es gebe dort, wo ich hinblicke (gemeint ist der Bildschirm, BM), doch immerhin etwas zu sehen, dieses oder jenes Bestimmte, so etwas wie den glimmenden Rest eines Inhalts. Deshalb ist es unvermeidlich, daß auch der geübte Fernseher hin und wieder einer solchen Mystifikation erliegt.
Der Idealfall ist also unerreichbar. Man kann sich der vollkommenen Leere, wie dem absoluten Nullpunkt, nur asymptotisch nähern. Diese Schwierigkeit ist jedem Mystiker vertraut: Die Meditation führt nicht ins Nirwana, die Versenkung gelingt allenfalls punktuell, aber nicht endgültig, der kleine Tod ist nicht der große. Immer moduliert ein minimales Signal, das Rauschen der Realität, die »Erfahrung der reinen Gegenstandslosigkeit« (Kasimir Malewitsch).
Dennoch – die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sind und bleiben denkwürdig, auch wenn der Bildschirm sein großes Vorbild nie einholen wird, jenes Schwarze Quadrat aus dem Jahre 1915, das, strenggenommen, alle Sendungen des Nullmediums überflüssig macht.“

Hinweis: „Das schwarze Quadrat“ – Gemälde von Kasimir Malewitsch; die erste Fassung des rein schwarzen Quadrats (79,5 x 79,5 Zentimeter) wurde 1915 in einer Ausstellung gezeigt und hängt heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau

 

 

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Cle.Gedön.

ach Quadrat … hab flüchtig Quartett gelesen, wär‘ ja auch cool – alle Karten schwarz, ein transzendentales Gesellschaftsspielcomment image

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