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Warum eine türkisch-deutsche KITA problematisch ist

Manche Totgeglaubte leben doch noch, weil irgendjemand den Leichensack öffnet und Beatmungsübungen beginnt. So ist es mit dem Multi-Kulti-Gedanken, dessen zerfledderte Fahne nun von den GRÜNEN im Gefolge der WIN am morschen Mast einer gescheiterten Utopie hochgezogen wird. Das tote Pferd, das geritten werden soll, ist die Idee einer türkische-deutschen Kita, die, so glauben die Ideengeber, besonders auf dem Gebiet der Sprache soziale Benachteiligungen beseitigen könne. Warum nun eine türkisch-deutsche KITA ins Spiel gebracht wird und nicht auch eine spanische-deutsche oder italienisch-deutsche oder deutsch-kroatische oder deutsch-polnische wird übrigens nicht erklärt. Vielleicht weil es sich nicht erklären lässt, es sei, denn man argumentiert mit der großen Zahl der türkischsprachigen Gelsenkirchener.
Im Kontext der Debatte bzw. des Vorschlags wird von den Fahnenträgern der „türkisch-deutschen Kita“ gerne mit dem Begriff der Bilingualität gespielt, ohne diese Begrifflichkeit aber wirklich ernst zu nehmen und ihre verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen. Wenn wir einmal den Aspekt der politisch gewollten und durchgesetzten Bilingualität (Zweisprachigkeit) vernachlässigen, also den Aspekt, dass in einem Staat zwei Sprachen (als Amtssprachen) anerkannt sind (etwa Flämisch und Wallonisch, Russisch und Ukrainisch oder Serbisch und Kroatisch), dann wäre zunächst der simultan-bilinguale Spracherwerb zu thematisieren. Dieser Spracherwerb beginnt bereits in den ersten Lebensjahren und setzt Eltern voraus, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen und beherrschen. Jedes Elternteil wird bei diesem Verfahren von Anfang an mit dem Kind konsequent in der eigenen Muttersprache kommunizieren – im Alltag, beim Spiel, beim Vorlesen und Geschichten erzählen. Das Kind lernt parallel und nahezu beiläufig zwei Sprachen – und es lernt umzuswitchen! Das funktioniert! Das Verfahren ist aber durchaus „anstrengend“ für die Eltern, wie ich aus eigener Erfahrung weiß (Deutsch: Vater, Serbokroatisch: Mutter), und es ist nicht immer ganz einfach, das Verfahren konsequent durchzuhalten.
Wird allerdings nicht in beiden „Muttersprachen“ kommuniziert und sprechen beide Elternteile oder auch ein Elternteil die eigene „Muttersprache“ nur eingeschränkt gut oder sogar eher „falsch“, bildet sich bei den Kindern häufig das heraus, was man als „doppelte Halbsprachigkeit“ bezeichnen kann. Das Kind bewegt sich in beiden Zielsprachen nur gebrochen und fehlerhaft, vermischt Sprachelemente aus den Bereichen Syntax, Semantik und Phonetik aus beiden Sprachen und ihren Grammatik-Strukturen.
Der sukzessive Zweitsprachenerwerb setzt mit dem Kindergartenbesuch ein. Neben den familiären Spracherwerb (eine Sprache beider Elternteile, etwa Spanisch) tritt eine Zweitsprache, also die Sprache der Lebenswelt des Landes, in dem man lebt und die eine andere Sprache ist als die der Eltern, nämlich die „Amtssprache“ des Landes, also in unserem Falle Deutsch. Diese „Verkehrssprache“ soll in den drei KITA-Jahren konsequent gesprochen und gelernt werden, unterstützt durch bedarfsorientierte Sprachförderung (durchaus auch in der „Muttersprache“). Das Erlernen der Zweitsprache findet leichter statt, wenn die Kinder in der „Muttersprache“ ein festes Sprachgerüst haben, auch im Bereich grammatischer Strukturen. Kurz: je besser ein Kind die „Muttersprache“ spricht, desto leichter fällt das Erlernen der neuen „Zielsprache“, die dann in der Grundschule weiter „gefestigt“ wird.
Wenn sich die Befürworter einer türkisch-deutschen KITA (übrigens eine bezeichnende Akzentsetzung durch die Reihenfolge!) auf das „Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache“ beziehen, übersehen sie bereits in der Namensgebung die Akzentsetzung (Deutsch als Zweitsprache). Deutsch als „Zweitsprache“ setzt voraus, dass eine andere Muttersprache bereits erlernt ist. Es ist richtig, wenn das Institut formuliert: „Die internationale Mehrsprachigkeitsforschung ist sich überwiegend einig, dass es Kinder nicht überfordert, wenn sie mehrere Sprachen in früher Kindheit lernen, und dies auch nicht dazu führt, dass sie keine der Sprachen gut beherrschen.“ Aber die Voraussetzungen müssen stimmen (siehe oben Sprachfertigkeit und -fähigkeit der Eltern). Aber das ist noch lange kein Argument für eine türkisch-deutsche Kita, über deren Verfahrensweise es heißt: „Bei der Vermittlung der beiden Sprachen gilt dann das Ein-Personen-Prinzip. Das heißt: Eine Erzieherin spricht deutsch, die andere dagegen nur türkisch. Diese „personengebundene“ Vermittlung der Sprachen ist typisch für bilinguale Kitas.“
Was hier geschieht ist – im Kern – der aufgeweichte und verwaschene Versuch, die konsequente bilinguale Erziehung von Geburt an in das Kindergartenalter zu verlängern bzw. damit überhaupt erst zu beginnen, wobei eben die frühe Phase der Verfestigung beider Sprachen nicht gegeben ist – mit all den Nachteilen, die ich oben geschildert habe (doppelte Halbsprachigkeit). Und die zugleich mit einer Selektierung verbunden ist: Die türkischsprachigen Kinder werden sich an die Erzieherin wenden, die die Sprache ihrer Eltern spricht. An wen wenden sich aber alle anderen? In unserer Stadt leben Menschen aus über 140 Nationen, die mit ihrer Muttersprache in die KITA kommen. Wer ist ihr Ansprechpartner? Vor allem aber brauchen sie eins: eine gemeinsame Verkehrssprache, die ein Miteinander ermöglicht. Und das kann, zumindest in dieser Zeit, nur die Sprache der Mehrheitsgesellschaft sein, also die deutsche Sprache.

Wenn man das aber aus politischen Gründen nicht will, weil man das Deutsche (nicht nur als Sprache) ablehnt, dann soll man das offen sagen, politisch benennen und nicht unter dem Deckmantel der „multikulturellen Sprachförderung“ kaschieren.
Dieser Vorschlag von GRÜNEN und WIN ist unter dem Gesichtspunkt der bilingualen Sprachförderung äußerst zweifelhaft – unter politischen Gesichtspunkten vielleicht sogar ein Akt mit diskriminierendem Zungenschlag!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich bin verblüfft. 170 Nationen in GE. Babylonisches Sprachgewirr. Wenn Deutsch nicht die Verkehrssprache sein kann / soll, warum einigen wir uns dann nicht auf weltweit wichtige Sprachen für den Kindergarten? Englisch? Spanisch? Chinesisch?

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Ro.Bien.

Sollen doch nen Verein gründen – und ihren Elite-Kindergarten selber machen. Zum großen Teil ist das übrigens auch heute in Gelsen noch so, dass Kinder für ihre Eltern (Mütter) übersetzen. DAS ist ein Problem.

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Heinz Niski

Die Grünen haben sich zu einem reaktionären Interessenverband zur Spaltung der Gesellschaft entwickelt und kämpfen verbissen gegen eine echte Säkularisierung. Schrittchen für Schrittchen passen sich Institutionen islamischen Lebensentwürfen an und es ist nur eine Frage der Zeit, wann islamische Verbände in Rundfunkräten weiteren Einfluss nehmen. Man muss froh sein, dass wenigstens die FDP in Gelsenkirchen noch einen Funken Verstand hat und sich gegen eine neue bleierne Zeit wehrt. https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/deutsch-tuerkische-kita-fdp-gelsenkirchen-findet-idee-absurd-id236963101.html#Echobox=1669033847

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Ro.Bien.

Ansonsten sollen sie sich doch von den Parallel-Welten der Deutsch-Russen inspirieren lassen. Die betreiben die Kultur der Sprache usw. seit 20 Jahren auch in GE sehr erfolgreich.

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