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Ich hatte (den christlichen) Gott schon in meinen Jugendjahren in Verdacht, ein großer Freund des Absurden zu sein, was mich mit ihm, jenseits aller Glaubensfragen, seit meiner Begegnung mit literarischen Texten des Absurden (Camus, Dürrenmatt u.a.) während der Gymnasialzeit verbindet. Das Unsinnige, das Widersinnige, von der deutschsprachigen Herkunft her das Aberwitzige, Irrwitzige (worin auch das Wort Witz steckt), findet tagtäglich seine Bestätigung im Handeln der Spezies, die Gott offensichtlich aus Liebe zum Absurden geschaffen hat. Es muss Gott gewesen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Evolution so viel schrägen Humor hat, auf die Idee zu kommen, eine Art hervorzubringen, deren wesentliche Tätigkeit in ihrer Geschichte bis heute darin besteht, ihre eigenen Artgenossen zu massakrieren und die eigenen Lebensgrundlagen zu vernichten. Auf so etwa kann nur (ein) Gott gekommen sein. Ein Gott mit schrägem Humor! Und der liefert uns tagtäglich Beweise für den Aberwitz! Geballt in den letzten Tagen und an diesem Wochenende!
Da kommt der größte Sportverband der Welt auf die Idee, ein Turnier in einem Land ausrichten zu lassen, in dem es so heiß ist, dass das Turnier in den „europäischen“ Winter verlegt werden muss und die „Spiele“ in Stadien stattfinden, die heruntergekühlt werden müssen, da es sich bei 30 Grad nicht so gut kicken lässt. Da kommt der Chef des Verbandes auf die Idee, die Kritik am Gastgeberland (Menschenrechtsverletzungen, Tod von Arbeitern, Unterdrückung der Frauen) auf einer Pressekonferenz am Samstag mit dem Hinweis zu kontern, die Europäer hätten schließlich 3000 Jahre lang Schuld auf sich geladen und sollten deshalb doch lieber die Füße stillhalten. Nein, nicht die Füße – spielen sollen sie ja, den Mund sollen sie halten! Und das ist schon geschickt, weil die Kritik der europäischen Fußballverbände an der Ausrichtung des Turniers in Katar – vorneweg der DFB – tatsächlich nur halbherzig ist, denn sonst hätte man die Mannschaften vom Turnier abmelden können. Stattdessen soll jetzt der Protest durch 1-Love-Armbinden zum Ausdruck gebracht werden, was bestimmt dazu führen wird, dass allen Menschenrechtsverletzern der Welt und allen Diktatoren der Schreck in die Glieder fährt und sie ab jetzt auf dem Pfad der Tugend wandeln.
Der eigentliche Witz vom Wochenende besteht aber darin, dass einer der Hauptsponsoren des Turniers der Budweiser-Konzern ist, der zu Anheuser-Busch InBev gehört, dem nach Umsatz und produziertem Ausstoß größten Bierhersteller der Welt. Anheuser-Busch InBev hat weltweit mehr 170000 Mitarbeiter und produziert in 260 Brauereien 630 Biermarken in über 150 Ländern. 2021 setzte ABInBev 581,7 Millionen Hektoliter Bier um und erzielte bei einem Gesamtumsatz von 54,3 Mrd. US-Dollar einen Gewinn von 6,1 Mrd. US-Dollar nach Steuern.
Mit einem Federstrich und gegen bisherige Absprachen haben die katarischen Machthaber nun mal eben verfügt, dass in den Stadien (außer im VIP-Bereich natürlich) und in deren unmittelbarem Umfeld kein Bier ausgeschenkt werden darf. Sowohl im schiitischen als auch im sunnitischen Islamverständnis ist Alkohol bekanntlich  „haram“, also verboten (vier Verse im Koran beziehen sich explizit auf Alkohol und den Verzehr von Alkohol). Dass dieser „Erlass“ 48 Stunden vor Beginn des Turniers und nahezu zeitgleich mit der Tirade des Fifa-Chefs Infantino über die historische Schuld der Europäer und die (demokratischen) Fortschritte des Gastgeberlandes verkündet worden ist, ist schon ein aberwitziges Timing. Budweiser twitterte am Freitag „Well, this is awkward“ („awkward“ grob übersetzt: komisch, peinlich, unangenehm), löschte den Tweet inzwischen aber wieder!
Mehr Kniefall geht schon fast nicht mehr!
Außer bei den Klimaschützern, die sich in Ägypten getroffen haben, also einem Land, das, was demokratische Verhältnisse angeht, ähnlich wie Katar nahezu ein Leuchtfeuer der Freiheit ist. Die Klimaschützer knieten vor einem zehnjährigen Mädchen aus Ghana nieder – bildlich gesprochen. Tatsächlich stand man nämlich auf für das Ritual der „standing ovations“ – vor einem Kind, anders kann man eine Zehnjährige wohl nicht nennen, das die „westliche Welt“ aufforderte, endlich für die angerichteten Klimaschäden in den armen Ländern zu zahlen. Nakeeyat Dramani Sam, so der Name der Ghanaerin, die in Begleitung von Mutter und Tante der Welt ihre Offenbarungen verkündete (sie sei eigentlich Dichterin, liebe Bäume und habe schon über hundert davon selbst gepflanzt, ließ sie auf einer Pressekonferenz verlauten), hat mit ihrem Alter noch die einstige Klimaikone Greta Thunberg getoppt, die schon fast in Vergessenheit geraten wäre, wenn sie nicht durch die Welt touren würde, um ihr Buch anzupreisen. Auch vor Greta T., inzwischen wegen ihrer Haltung zur Atomkraft in Ungnade gefallen, haben die Großen der Welt einstmals ihre Knie gebeugt, als sie die Politiker beschimpfte und ihre Heilslehre verkündete.
Das Ergebnis der Konferenz: eigentlich auch ein Witz. Ein „Entschädigungsfonds“ soll eingerichtet werden (welche Länder nach welchen Kriterien wieviel Geld einzahlen sollen bzw. wollen und welche Länder nach welchen Kriterien Geld bekommen sollen, bleibt im Nebulösen verhaftet). Und irgendwie soll das berühmte 1,5 Grad-Ziel erreicht werden, obwohl um die Nicht-Erreichbarkeit schon kein Geheimnis mehr gemacht wird. Da bleibt dann nur das Geschwurbel von Frau Baerbock, um das blamable Ergebnis noch halbwegs schönzureden. Es sei gelungen, so Frau Ministerin, „einen Rückschritt hinter die Ergebnisse der Klimakonferenzen von Glasgow und Paris zu verhindern, und das Ziel zu verteidigen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.“ Und weiter: „Dass aufgrund der Blockade von einigen großen Emittenten und ölproduzierenden Staaten überfällige Schritte zur Minderung und zum Ausstieg aus fossilen Energien verhindert wurden, ist mehr als frustrierend. Die Welt verliert dadurch kostbare Zeit, Richtung 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“(tagesschau24.de)
Frei übersetzt also: Außer Spesen nichts gewesen!
Doch: die Erkenntnis, dass es neben dem 1,5-Grad-Pfad noch den Pfad der Traumtänzerei deutscher Energie(wende)politik gibt, auf dem uns kaum jemand folgt – erst recht nicht die von Frau Baerbock wider besseres Wissen nicht namentlich genannten „großen Emittenten“ und die „ölproduzierenden Staaten“ (z.B. China und USA).
Und die Erkenntnis: Die Welt schreitet voran auf dem Pfad der Infantilisierung der Politik, die sich in Gestalt zehnjähriger Mädchen zeigt (die Dichterin Sam sieht sich als ein „Anführer der Zukunft“), in Gestalt eines FIFA-Chefs, der sich in seiner Rede nicht entblödet, Infantinolismen wie diese von sich zu geben („Today I feel Qatari. Today I feel Arab. Today I feel African. Today I feel gay. Today I feel disabled. Today I feel a migrant worker”), in Gestalt von Weltkonzernen, die Vertragsbrüche und Willkür auf der Basis religiöser Zensur als „komisch“ oder “peinlich“ abtun, und im Tragen lächerlicher Armbinden.
Diese Ansammlung von Absurditäten, Witzfiguren, clownesken Auftritten Sprachblubbereien und Zurschaustellungen der eigenen Überhöhung kann sich nur jemand ausgedacht haben, der weit über uns im Irgendwo in einem bequemen Sessel sitzt, drittklassige Fußballspiele in einem Fernsehgerät schaut, dessen Bildschirm unendlich ist, dabei das eine oder andere „Bud“ trinkt und sich lachend auf die Schenkel klopft und sagt: „Der Mensch, der absurdeste Einfall, den ich je hatte!“

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ro.Bien.

Nur eins: Wir heizen den Rasen.

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