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Fortsetzung von „Alle Deutschen, die hier stehen, sind Hunde

 

Ich wuchs zu einer Zeit auf, als die Kirchen das gesellschaftliche Leben bestimmten. Es gab ausschließlich Katholiken oder Evangelen vorbehaltene Kindergärten, Schulen, man wählte, was der Pfarrer von der Kanzel empfahl, „Mischehen“ waren verpönt, ungetaufte Frühgeburten und Selbstmörder durften nicht auf kirchlichen Friedhöfen beerdigt werden, Homosexualität galt als Sünde vor Gott.

Linksliberale, zu denen ich mich selber heute noch im weitesten Sinne zähle, beendeten diese moraltriefende, bleierne Zeit und durchlüfteten die Nachkriegsgesellschaft, schufen die Voraussetzung für einen gelebten Verfassungspatriotismus, der nach und nach die Übergriffe der Kirchen zurückdrängte.

Heutige Linke (Grüne, Linke, SPD) brennen weniger für einen säkularen Staat, sondern sorgen sich, dass atavistische Religionsmodelle zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft haben.

Plötzlich wird Religionskritik, früher eine Domäne der „Linken“ und der Aufklärer von Feuerbach, Marx bis zu Freud, eine Domäne der „Rechten“.

Pax Europa, eine vom Verfassungsschutz beobachtete, „Rechts“ verortete Bürgerbewegung, hielt am 11.11.22 in Gelsenkirchen eine Kundgebung gegen den „politischen Islam“ ab. Neben ihrer Führungsfigur Michael Stürzenberger, der als islamfeindlicher Extremist gilt und mehrfach wegen Beleidigung, und / oder Verhetzung, Herabwürdigung religiöser Lehren verurteilt wurde, traten People of Color, Transgender, Migranten, Ex-Muslime, Pegida Anhänger, Ex-Grüne, Mitglieder von Stadträten auf.

Die bis zu 6:30 Stunden dauernden Versammlungen und Diskussionsrunden haben zwischen 50 000 und 150 000 Aufrufe pro Live-Stream auf Youtube.

Während die Gelsenkirchener Stadtgesellschaft diesmal keine Gegenproteste vor Ort durchführte, ließen die moslemischen Mitbürger die Demokratie nicht vor Langeweile sterben und beteiligten sich hitzig und erregt an der Debatte, teils mit Argumenten, Fragen, teils mit geworfenen Gegenständen oder Allahu Akbar Rufen und Trillerpfeifen. Mal als Akteure, mal als Statisten der geschickt choreografierten Inszenierung der Redner folgend, waren sie den kenntnisreichen Argumentationsfiguren der Pax Leute an keiner Stelle gewachsen. Ein beunruhigend niedriger Wissensstand über die eigene Religion paarte sich mit großen Emotionen. Wut, Ablehnung zeigte sich, aber auch der überwältigende Drang, die eigene (religiöse) Identität zu vermitteln und über den Transmitter „Pax Europa“ der eigenen Community und der Mehrheitsgesellschaft die Botschaft zu senden, dass ihre Kultur, ihre Religion das verbindende ist und nicht die Werte der Mehrheitsgesellschaft oder das Grundgesetz.

Gesprächsbedarf war also mehr als genug vorhanden und das sollte der demokratischen Zivilgesellschaft zu denken geben, die viel von Integration, Respekt, Würde redet, „bunte Haufen“ beschwört, aber letztlich öfter auf der Stelle tritt, ignorant und gleichgültig ist, ihren eigenen Parolen nicht glaubt und Konflikte beschönigt, übersieht, nicht handelt.

Man hat es sich gemütlich gemacht in einem Multikulturalismus. Statt den Pluralismus zu stärken, einen Verfassungspatriotismus zu leben, streitet man sich über wokeness, moralischen Relativismus, feiert Unterschiede, statt Gemeinsamkeiten zu fördern.

Kritiker sehen die Pax Europa Auftritte als Hass- und Hetzshows, die beleidigen sollen und bei der die Akteure sich als Demokraten, Israel- und Verfassungsfreunde kostümieren, tatsächlich aber Rechtsextreme mit Nähe zu Identitären, NPDlern seien, die rechtsstaatliche Prinzipien für Moslems aushebeln wollen.

Eine schwierige Gemengelage für jemanden, der die Kundgebung oder Streams verfolgen will, ohne sich gemein zu machen mit dem rechtsextremen Hintergrund.

Ich war einige Minuten vor Ort und habe mir zusätzlich den Gelsenkirchener und Wuppertaler Stream angeschaut. Fasziniert hat mich die Mischung aus Speakers Corner, Anklängen amerikanischer Gospel Gottesdienste und Wahlkampfshows, Debattierclubs, jüdischer Streitkultur, die Wechselwirkung durch Dozieren, Vortragen und Frage- und Antwortspiel mit dem Publikum. So oder so ähnlich mag es auf mittelalterlichen Märkten, in der Antike in Griechenland oder in Rom zugegangen sein.

Niemals habe ich in den letzten Jahren politische oder gewerkschaftliche Versammlungen oder Kundgebungen erlebt, die, außer genormte Worthülsen zu versenden, Herz und Verstand ansprachen und konkret wurden, statt sich hinter Allgemeinplätzen zu verstecken.

Weit und breit keine charismatischen Redner, niemand, der die Alltagsprobleme aufgreift und gesellschaftliche Lösungen anbietet.

Statt einen aufgeklärten Säkularismus und Liberalismus und soziale Gerechtigkeit umzusetzen, fordert man Identitätsgerechtigkeit.

Statt Gleichberechtigung auch in Teilen unserer Gesellschaft durchzusetzen, die das kulturell oder religiös nicht vorsehen, predigt man „Respekt und Toleranz“.

Statt dem rechten Rand diese Debatten zu überlassen, sollte sich der „linke Rand“ und die Mitte fragen, warum sie so grandios scheitern bei der Integration, bei der Verhinderung von Gegengesellschaften, bei der Vermittlung eines Verfassungspatriotismus und dem früher mehrheitlich akzeptierten Konsens von demokratischen Spielregeln, gewaltfreiem Streit.

Für diejenigen, die in den Stream hineinsehen möchten, habe ich eine „Action“ Zeitleiste mit ungefähren Zeitangaben gemacht. Die Inhalte wiederholen sich teilweise, weshalb ich dafür keine Zeitleiste erstellt habe.

Ungefähre Minutenangaben.

22:30    Empörter, schimpfender Zuhörer wird umgeworfen und verletzt sich am Absperrgitter

38:00    Wegen Volksverhetzung verurteilter Moslem (Hamas, Hamas, Juden ins Gas) wirft dem Redner vor, verurteilter Volksverhetzer zu sein

47:28     Moslemischer Aktivst fordert dazu auf, die Versammlung zu verlassen (Alle Deutschen, die stehen bleiben, sind Hunde)

57:00     Erneute Aufforderung mit körperlicher Unterstützung, die Versammlung zu verlassen

2:03:10 erster Eierwurf

2:30:00 körperlicher Angriff auf einen Redner

2:32:15  erste Allah ist größer Rufe

2:32.30 Polizei steigt in den Ring

2:50-2:53 türkischsprachiger Hodscha der Ditib-Moschee fordert seine Gemeinde auf, die Versammlung zu verlassen

3:16.00  erneut werden Moslems von Aktivisten aufgefordert, die Versammlung zu verlassen

3:41:30 erster „Polen-Böller“ wird geworfen

3:45:30 Mädchen verspricht dem Redner „Du wirst im Höllenfeuer verbrennen du Arschloch“

3:49:30 Ihr seid alle Lügner, ihr habt keine Ahnung, Michael du Hurensohn

4:04:10 Erster Gegenstand wird auf den Redner geworfen

4:11:30 weiterer „Polen-Böller“

4:22:38 Bericht über eine Festnahme

4:46:15  Ex Grüner aus Krefeld spricht

4:52:20 Polizei duldet Trillerpfeifen

4:58:57 Müll fliegt

5:01:29 Münzen werden geworfen

5:05.00  Deutschlandhymne wird gesungen, Zuhörer werden aufgefordert in den Ring zu steigen, falls sie die Verfassung über den Koran stellen

5:10.00  2tes Deutschlandlied wird von der Polizei verboten

5:16:00  Fazit der Versammlung wird gezogen

 

 

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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test

essener grüne voll nazi. behaupten dass ditib nix mit dem grundgesetz am hut hat. also sowas https://www.waz.de/staedte/essen/islamverband-ditib-als-jugendhilfe-traeger-in-essen-abgelehnt-id236910649.html

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Ali-Emilia Podstawa

Um sich über das Thema politischer Islam austauschen zu können, müssten sich alle zunächst einmal mit dem Islam, mit dem Koran, mit der arabischen Kultur, der altarabischen Sprache, der orientalischen Seele und dem geschichtlichen Mohammed auseinandersetzen, ansonsten geht es aus wie am Samstag. Wie wahrscheinlich ist das?

Es bringt nichts, wenn Leute, die den Koran einmal in einer deutschen Übertragung quergelesen haben, einzelne Suren zitieren, um „Beweise“ vorzubringen, dass der Islam so und so sei. Der Koran besteht nicht aus einer Sammlung von Geschichten. Es sind weitgehend zusammenhangslose Sätze und Textfragmente, die keiner durchgehenden inhaltlichen Logik in ihrem Aufbau folgen. Die Suren sind nach Länge geordnet. Diese Texte sind nicht zu verstehen, wenn dem Leser der historische Kontext nicht bekannt ist. Die einzelnen Strömungen im Islam backen sich ihre Erkenntnisse aus dem Koran so zusammen, dass sie eine aktuelle Frage formulieren und anschließend eine Art Google-Anfrage an den gesamten Text stellen, um Teilantworten (auch sich wiedersprechende) zu finden. Diese Fundstücke an Textfragmenten werden dann kombiniert und ausgelegt, so dass irgendeine sinnvolle Handlungsanweisung für das Heute entsteht. Fundamentalistische Strömungen machen sich die Arbeit einfacher und picken sich einzelne Suren heraus, die ihnen gefallen oder nutzen. Da der Koran wortwörtlich Gottes Wort sei, beziehen die Ausleger ihre Autorität auf diese Weise unmittelbar von ganz oben. Kaum ein Muslim versteht umfassend, was die Texte im Koran bedeuten (könnten) und was nicht. Die meisten beherrschen kein Altarabisch, also vertrauen sie (oft uneingeschränkt) den Wenigen, die vorgeben, das zu können. Man ziehe den Vergleich zu den Verhältnissen in der vorreformatorischen Zeit des Christentums in Europa. Des Weiteren schwärmen Muslime davon, dass der Klang einer Koranrezitation ein mystisches Erlebnis sein kann, höchste Sprach- und Klangkunst, die vor allem das im Menschen anspricht, was nicht Ratio ist. Gottesbegegnung durch ein Klangerlebnis.

Wenn moderne, rationale Europäer den Koran lesen, dann fehlt ihnen dieser Textzugang meist komplett. Ein Europäer liest einen Text, weil er ihn rational verstehen oder weil er in eine Geschichte eintauchen will. Ein Araber hört einen Korantext an, weil er dadurch Gott spüren will. Kritik am Koran durch „Ungläubige“ stößt bei Muslimen deshalb auf totales Unverständnis. Als Folge der indoktrinierten Lehren ihrer Koran-Lehrer fühlen sie sich immer sofort angegriffen. Hat man auf dem Video vom Samstag sehen können. Ältere räumten Jugendliche zur Seite, damit diese nicht verführt werden oder gar vom Glauben abfallen. Die Folge wäre nämlich ein Bruch mit der Familie und der gesamten Gesellschaft. Religion und Gesellschaft sind vielschichtig und untrennbar miteinander verwoben. Die weltweite Umma stiftet überall Identität und kontrolliert gleichzeitig. Da bleibt wenig Platz für Demokratie und das Grundgesetz. Für einen Muslim aus einem islamisch geprägten Land ist es ein weiter Weg zu erkennen, dass es einen politischen Islam überhaupt gibt. Liberale Muslime sind absolute Minderheiten. So ungefähr sieht es aus.

Wie wäre es, man hörte liberalen Muslimen zu, die den Weg bereits hinter sich haben und lernte von ihnen?
taz-talk mit Hamed Abdel-Samad, zum Thema ab hier: https://youtu.be/FST8cMu_bxk?t=1926
taz-talk mit Ahmad Mansour: https://www.youtube.com/watch?v=h424E-9RMls
SRF-Kultur: Diskussion zwischen Hamed Abdel-Samad & Mouhanad Khorchide: https://www.youtube.com/watch?v=3IntiSJwv2I

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test

endlich arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für amputeure und peitschenindustrie.
https://www.berliner-zeitung.de/news/taliban-chef-ordnet-oeffentliche-hinrichtungen-und-steinigungen-an-li.286915

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