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In Goethes „Faust 1“ führt Mephisto Faust in die Hexenküche, wo eine Hexe dem Gelehrten das Hexeneinmaleins vorträgt:
„Du musst verstehn!
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach’ gleich,
So bist Du reich.
Verlier’ die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!“
(Vers 2540 bis 2552)
Faust kommentiert, was sicher gut nachvollziehbar ist, mit den Worten:
„Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.“ (Vers 2553)
In einem solchen Fieberwahn, zumindest auf den ersten Blick, muss wohl auch der Ampel-Beschluss zur (Teil-)Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin gefasst worden sein. Bekanntlich hat das Berliner Verfassungsgericht in einer Ersteinschätzung bereits angedeutet, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksversammlungen wiederholt werden müssen – wegen grober Mängel und zahlreicher Verstöße gegen die Wahlordnung. Die Bundestagswahlen in Berlin liefen ebenfalls nicht korrekt ab, so dass nach langem Zögern und Zaudern nun auch die Wahlen zum Bundestag wiederholt werden sollen – aber nicht in allen Berliner Wahlbezirken, wie zunächst von der CDU gefordert. Die Ampelparteien wollen in rund 300 der 2300 Wahllokale „neu“ wählen lassen – und auch das nur hinsichtlich der Zweitstimmen. An den Erststimmen, die bekanntlich die Direktkandidaten in den Wahlkreisen bestimmen, soll festgehalten werden – die Ergebnisse in den Wahlkreisen sollen also trotz der Mängel und Unkorrektheiten bei der Wahl Bestand haben. Da die „Ampel“ im zuständigen Wahlausschuss ebenso die Mehrheit hat wie im Bundestag selbst, kann davon ausgegangen werden, dass der Beschlussvorschlag eine Mehrheit bekommen wird.
Nun wird man schwerlich erklären können, warum in einem Wahlkreis die Stimmabgabe der Erststimmen Gültigkeit haben sollen, wenn dort die Zweitstimmen aber nicht mehr gültig sein sollen. Das muss so eine Art Hexeneinmaleins sein, das da eine Rolle spielt. Aber ganz so magisch ist es wohl eher nicht. Denn es gibt eine Besonderheit in Berlin, was die Erststimmen angeht: Dort haben nämlich Gregor Gysi und Gesine Lötzsch jeweils ihren Wahlkreis direkt geholt. Dazu kommt ein dritter Wahlkreis außerhalb Berlins, nämlich in Leipzig durch Sören Pellmann. Ohne diese drei Direktmandate wäre die Linke an der 5%-Hürde gescheitert, da sie nur 4,9% der Zweitstimmen erzielt hat. Durch die drei Direktmandate konnte sie aber nun in den Bundestag einziehen und auch die Liste zog, so dass die Fraktion im Bundestag 39 Sitze innehat (entsprechend den 4,9 %).
Würde bei einer Wiederholung der Wahlen die Linke nur noch einen oder keinen Wahlkreis in Berlin holen (Direktmandate), wäre eine linke Fraktion im Bundestag Geschichte und es könnte, zumal bei Wahlumfragen die CDU führt, zu einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag kommen, da die Auflösung der Linken-Fraktion zu einer Veränderung der Sitzverteilung beitragen könnte. Was also auf den ersten Blick nach Fieberwahn klingt, ist auf den zweiten Blick eiskaltes machtpolitisches Kalkül.
Es ist ein Hexeneinmaleins der ganz schmutzigen politischen Sorte, weil es letztlich nicht weniger ist als eine verdeckte Form der Machtergreifung, die sich über den Willen und das Entscheidungsrecht des Souveräns, also der Gesamtheit der Wählerschaft, hinwegsetzt!
Es ist eine Form des kalten Putsches!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Bin fürs Losverfahren bei Wahlen, egal ob in Kommune, Landtag oder Bundestag.
2 Perioden Losverfahren, in der Zeit müssen die Wahlkreise geschrumpft werden, die Parlamentssitze halbiert.
Dann wieder reguläre Wahlen, eventuell als Mischsystem Losverfahren – Direktwahl.

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