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Qualitätspresse und Komposita

Kurz vor dem Monatswechsel hat uns die Lokalredaktion der hiesigen Qualitätspresse darüber informiert, dass wieder einmal der Preis für das Produkt angehoben werden muss. Diese Mitteilung war nicht mit dem Versprechen verbunden, auch die Qualität zu verbessern. Man schaut die eigenen Berichte halt nicht immer so genau an. Kürzlich etwa wurde ein Gespräch mit dem von der Redakteurin als „Sprachexperte“ titulierten „writer in residence“ zum Thema Sprache im Ruhrgebiet präsentiert, der einige (vermeintliche) Beispiele hiesigen Sprachgebrauchs begeistert nannte („hömma“). Höhepunkt seiner Auslassungen war die Bemerkung, er fände das Wort „Trinkhalle“ so gut, weil es signalisiere, was man dort machen könne, nämlich trinken.

Nun ist das mit den Komposita so eine Sache. Das Bestimmungswort kann nämlich auf ganz unterschiedliche Aspekte hinweisen und das Grundwort damit näher bestimmen (also etwa Beschaffenheit, Verwendungszweck, Material, Funktion). Eine Holzschraube ist z.B. nicht aus Holz, ein Butterbrot weist als Belag aber Butter auf, eine Nähmaschine ist eine Maschine, mit der man nähen kann. Aber eine Trinkhalle ist keine Halle, in der man trinken kann – jedenfalls nicht im Ruhrgebiet (in Kurorten bzw. Heilbädern nannte man früher die Hallen so, in denen Kurgäste das „gesunde Wasser“ trinken konnten). Die Trinkhalle im Ruhrgebiet ist als Kompositum sprachlich doppelt tückisch. Sie ist nämlich keine Halle, sondern das Gegenteil davon, eine sehr kleine Räumlichkeit, ein kleiner Anbau oder Raum im Erdgeschoss eines Hauses. Die Trinkhalle dient der Grundversorgung: dort kann man neben Getränken auch Süßigkeiten, Zeitschriften, Tabak und einige Lebensmittel des täglichen Bedarfs (Milch, Mehl etc.) erwerben. Manchmal dient die Trinkhalle (Kiosk, Bude) auch als Poststation und Lotto-Annahmestelle, auf jeden Fall aber als Kommunikationsort für Alltagsgespräche. Was man dort nicht darf, das ist das Trinken (von Alkohol). Das schließen örtliche Satzungen aus, häufig sogar auch im Umkreis der Halle. Grund: fehlende Schankerlaubnis und Toiletten. Ob sich Kioskinhaber und Kunden immer an das Verbot halten, ist natürlich eine andere Sache.

Vielleicht hat sich der „Sprachexperte“ durch die „Trinkhalle an der Bochumer Straße“ zu seinem sprachlichen Irrtum verleiten lassen, die zwar so heißt, aber keine Trinkhalle ist, sondern eine Kneipe mit eingeschränkter „Karte “ (Frikadelle, Solei, Lakritz), aber einem großen Angebot an Biersorten und Softdrinks. Lebensmittel, wie in einer Trinkhalle, werden dort nicht verkauft.

Der Verfasser dieser Zeilen hat die WAZ auf dieses falsche sprachliche Verständnis des Begriffs „Trinkhalle“ hingewiesen, die sich aber nicht bequemt hat, eine Korrektur vorzunehmen – auch nicht in Form des Leserbriefs. Das hat ein Qualitätsprodukt der schreibenden Zunft eben nicht nötig! Hauptsache der Preis stimmt!

*hollow (Adj.): hohl, leer, dumpf, bedeutungslos

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Die WAZ könnte nun OB Welges Satz zum Bielendorf Eklat :

 „Nein, es war kein Fehler. Es war ein Scherz!“ Dies habe „jeder, der offen und vorurteilsfrei zugehört hat, genauso aufgefasst“

nun für sich reklamieren. Der Stadtschreiber hat seine Aussage ironisch gemeint, allerdings kam das wahlweise bei der Redaktion oder beim Leser nicht rüber.

Deshalb: never complain, never explain.

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Cle.Gedön.

die Tür nich öffnen, das ist der Raum mit den Nähmaschinen – zu spät, Tür öffnet – man hört vielstimmiges Jammern und Klagen: ’nee… nee! Nee! Neenee!‘
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