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Schulmeister (zu Gottliebchen).

Nun komm, du Esel, und gib Acht! Ich will dir sagen, wie du es auf dem Schlosse machen mußt, um dich genial zu stellen: du mußt entweder völlig das Maul halten, – dann denken sie, Donnerwetter, der muß viel zu verschweigen haben, denn er sagt kein Wort; oder du mußt verrücktes Zeug sprechen, – dann denken sie, Donnerwetter, der muß etwas Tiefsinniges gesagt haben, denn wir, die wir sonst alles verstehen, verstehen es nicht; – oder du mußt Spinnen essen und Fliegen einschlingen, – dann denken sie, Donnerwetter, der ist ein großer Mann, (oder wie es bei dir schicklicher heißen würde, ein großer Junge) denn er ekelt sich vor keinen Fliegen und Spinnen. Sag, Rindvieh, was von allem diesen willst du tun?
Gottliebchen.

Ich will’s Maul halten.

Schulmeister.

So halt es, und meinetwegen mit der Hand, denn das sieht noch allegorischer und poetischer aus! (Er gibt ihm eine Ohrfeige.)

(Quelle: Christian Dietrich Grabbe, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, Akt 1, Szene 1)

Wie kommt die Stadt nun aus der Welge-Bielendorfer-Affäre heraus? Nun, wir wollen uns nicht anheischig machen, dem Kleinkünstler Bielendorfer Ratschläge zu erteilen, zumal er schon allein dadurch gestraft genug ist, dass er in Köln wohnt, sozusagen in Nachbarschaft zu Kardinal Woelki. Uns kann es nur um Gelsenkirchen gehen – und damit um Frau Welge!
Rat können wir suchen und finden bei den Großen der literarischen Zunft, bei denen also, die „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ verbunden und letztlich Qualitätsstandards gesetzt haben. Und dieser Ansatz führt uns unzweifelhaft zu Christian Dietrich Grabbe, der uns schon in der 1. Szene des 1. Aktes seiner Komödie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ die Richtung weist, wenn der Schulmeister seinem Schüler, dem Gottliebchen, Ratschläge gibt, wie man auftreten muss, um in der Öffentlichkeit Anerkennung zu gewinnen. Dass es bei Grabbe um das Auftreten „im Schlosse“ geht, ist der Zeit geschuldet, in der die Komödie entstanden ist (19. Jahrhundert). Und dem Umstand, dass der Schulmeister, zugleich ein Trunkenbold, sich hat überreden lassen, das Gottliebchen, einen ausgemachten Trottel, zum Pastor ausbilden zu lassen und dafür beim Schlossherrn um finanzielle Unterstützung nachsuchen will.

Nun stellt der Schulmeister dem Gottliebchen drei Wege vor, um als genial zu gelten. Das Reden von völlig verkorkstem Unsinn auf der einen Seite und als Alternative das Schweigen. Beide Methoden, so der Schulmeister, führen, konsequent durchgehalten, zum Erfolg. Man gilt beim Publikum als Genie. Den dritten Weg (das Verspeisen von Spinnen und Fliegen) lassen wir aus ökologischen Gründen natürlich unberücksichtigt!
Auf unsere desaströse Ausgangslage bezogen, fällt aber auch der Weg des Redens von „verrücktem Zeug“ weg, denn dieser ist von der Oberbürgermeisterin bekanntlich bereits beschritten worden – allerdings erfolglos! Im Grunde deshalb, weil die Oberbürgermeisterin nicht konsequent am „wirren Zeug“ festgehalten hat, sondern versucht hat, das „Verworrene“ ihrer Aussagen im Nachhinein als Kunstform (Scherz!) auszugeben. Hätte sie an ihren Aussagen festgehalten, diese sogar bekräftigt und mehrfach wiederholt, wären diese auf Dauer als „Tiefsinniges“ (Grabbe) anerkannt worden.
So aber bleibt ihr zunächst nur der Weg des Schweigens als Alternative. Das Schweigen zur Sache und über Wochen! Ein beredtes Schweigen des Bedeutsamen! Nicht-Sprechen als Ausdruck von tieferem Sinn, der weit hinter dem Sagbaren liegt! Das Schweigen als Bedeutungsverstärker!
Und die Dauer des Schweigens?
Halten wir uns dabei an Friedrich Wilhelm Nietzsche: „Wenn man ein Jahr lang schweigt, so verlernt man das Schwätzen und lernt das Reden.“ (Morgenröte. Gedanken über moralische Vorurteile, 1881)
Wohlan, Frau Oberbürgermeisterin! TACE!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Mi.Rob.

Will hier nur mal testen, wie das mit dem Schweigen geht.

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Nie.Rucz.

An dieser Stelle könnte mein Kommentar stehen – hab aber keine Zeit, ich versuche aktiv zu verbessern und nicht destruktiv rumzuheulen.
Meine Fresse, euer – wohlan philosophisch feiner Erguss – muss so viel Zeit und Energie gekostet haben, da hätte man so unfassbar viel vor Ort in den Quartieren bewegen können.
Prioritäten setzt man sich halt selbst.comment image

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Heinz Niski

Verschwendung, Vergeudung, Überfluss sind Kernelemente des Kapitalismus, insofern ist Bernd Matzkowskis Text systemstabilisierend und deine Bewegungsübungen vor Ort und in den Quartieren klar subversiv und systemüberwindend.
Wie öde, traurig, leer, trist, fade, wäre eine Welt, in der man neben der Subotnik Arbeit nicht auch Skaten, Musik hören, Stricken, Doppelkopf spielen, Gedichte schreiben, Drachen steigen lassen könnte….
Oder wie der 28jährige Karl Marx prophezeite, die »klassenlose Gesellschaft« des Kommunismus werde den »totalen Menschen« schaffen und die gesellschaftliche Arbeit durch »freie Tätigkeit« ersetzen. Sie werde jedem einzelnen ermöglichen, »heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden«.
Na ja. Lieber wäre mir also, wenn du die Annahme überwinden würdest, dass „Schreibarbeit“ mit Desinteresse am Gemeinwesen verbunden ist und dass „Schreiber“ sich nicht sozial, karitativ, politisch, künstlerisch engagieren.

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Nie.Rucz.

 Chapeau!comment image

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