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Heute mit: Jakob van Hoddis, Weltende(1911)
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

In allen Lüften hallt es wie Geschrei

Kein Tag ohne neue Krise. Energiekrise, Gaskrise, Vertrauenskrise (Polizei), Affenpockenkrise, Coronakrise, Ukraine-Krise. „Große Krisen zwingen die Stadt (Gelsenkirchen) zum Sparen“ (WAZ Lokal, heute) – und dann auch noch eine Krise des ÖPNV, dem ein Sissi-Jahr ins Haus steht, nur dass es jetzt nicht heißt „Sissi-Schicksalsjahre einer Kaiserin“ (Filmtitel, 1957), sondern „Schicksalsjahr für den ÖPNV“ (WAZ). Wobei man feststellen muss, dass der ÖPEENVAU, anders als die österreichische Lieblingskaiserin der Deutschen, nie Glanz ausstrahlte. Wenn Verantwortliche der Verkehrsbetriebe heute beschwören, dass der „Öffentlichen Personennahverkehr“ vor einer „Kernschmelze“ stehe und der „Baum brenne“, weil Geld ohne Ende fehlt, um die marode Infrastruktur aufzubessern und die Ticketpreise halbwegs stabil zu halten, dann sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nun schon über Jahrzehnte die Vereinheitlichung des Schienennetzes, eine überschaubare in den Verkehrsverbünden geltende Tarifstruktur, vor allem aber eine Harmonisierung der Taktzeiten (Regionalbahn, S-Bahnen, städtische Verkehrsbetriebe) verschlafen oder, aus lokalpolitischem Interesse, hintertrieben worden sind und die Servicequalität auch keine 5-Sterne bekommt. Die vielen lokalen und regionalen Verkehrsbetriebe sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Denn viele Verkehrsbetriebe generieren eben auch viele Sitzungen, in denen Lokalpolitiker in Aufsichtsräten, Beiräten und anderen Gremien sich ihrer Bedeutung vergewissern können. Und wer arbeitet schon gerne daran, sich überflüssig zu machen?

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

Besonders den GRÜNEN kommt in der aktuellen Diskussion um die Verlängerung von AKW-Laufzeiten die bedrohliche Situation am AKW in Saporischschja irgendwie doch gelegen, denn obwohl schon von vielen Seiten, u.a. der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die Gefahrenlage betont worden ist, meint jetzt auch noch die NRW-Umweltministerin eine Strophe dazu singen zu müssen, damit auch jeder und jede weiß, welcher Sturm sich da zusammenbrauen kann. Wobei sie in den ersten Zeilen ihres Sirenengesangs betont, für ein „objektives Bild der tatsächlichen Sicherheitslage“ müsste Sachverständigen der IAEO Zugang zum Kraftwerk gewährt werden, um dann in den nächsten Zeilen klar zu machen, dass sie die Fakten wohl schon kennt, was sie in die Binse fasst, die Lage dort sei „unübersichtlich und gefährlich“. Das ist bekanntlich unser Leben generell: unübersichtlich und gefährlich. Aber dass die Situation an einem unter Beschuss liegenden Atomkraftwerk gefährlich sein könnte, das hat wohl außer Frau Lemke bisher niemand geahnt. Da müssen wir ihr für diese Warnung schon dankbar sein. Und außerdem: Bei der Entscheidung über die Verlängerung der Laufzeit der drei deutschen Atomkraftwerke könnte die „Gefährdung von AKWs durch Beschuss“ noch ein tolles Argument gegen den „Streckbetrieb“ werden, so dass zu vermuten steht, der Singsang von Lemke galt der innerdeutschen Atomkraftdebatte und nicht der Ukraine.

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut

Seit Tagen kommen immer neue Vorwürfe gegen die (scheidende) Intendantin des RBB ans Tageslicht. Vorwürfe, die mittlerweile sogar die Generalstaatsanwaltschaft auf den Plan gerufen haben. Zweifelhafte Dienstreisen, die eher den Charakter privater Vergnügungsfahrten hatten, wie etwa eine Reise nach London, private Feiern im Hause Schlesinger, die aber auf Kosten des RBB, also aus dem Gebührensäckel, bezahlt wurden, Begünstigung des Ehemannes (das Zuschanzen von Aufträgen) und dergleichen mehr. Kurz und gut: Saus und Braus im Schlesinger-Haus, gerne bezahlt durch die Rundfunkgebühren. Nun ist die Aufklärung wichtig, ohne Zweifel! Und die Causa Schlesinger wirft ein bezeichnendes Licht auf eine sich selbst als gesellschaftliche Elite verstehende Kaste aus Politikern und Vertretern „gesellschaftlicher Gruppen“ (sitzen bekanntlich in Gremien wie Aufsichtsräten, Rundfunkräten etc.) und Fernseh- und Rundfunkleuten, die offensichtlich großzügig mit dem Geld umgehen, solange es das Geld der Anderen ist, nämlich das der Gemeinschaft der Gebührenzahler. Aber bei aller Aufklärung in der Sache und der Kritik an einer um sich selbst tanzenden Gesellschaftsschicht: Auf lange Sicht ist die ernsthafte Debatte über die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihre Legitimation von Nöten. Die leitete sich bisher aus der Erfahrungen der Nazi-Zeit ab mit der staatlich gelenkten Propaganda im Sinne der von der NSDAP gesteuerten Rundfunk- und Presselandschaft. Die Einrichtung von ARD und später ZDF war in den Kindertagen der BRD sicher eine gute und richtige Entscheidung. Aber die Öffentlich-Rechtlichen haben sich zu einem Moloch entwickelt mit einem riesigen Apparat von Verwaltungs- und Aufsichtsgremien, mit aus dem Ruder laufenden Kosten und mit einer mittlerweile weit verbreiteten Haltung, sich als „Erzieher“ der Bürgerinnen und Bürger zu verstehen, also als eine Einrichtung, die anstatt sachlich-klare Berichterstattung und Aufklärung zu liefern, sich selbst immer mehr als Bevormundungsinstanz versteht. Heute haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, vom Internet als Informationsquelle mal ganz abgesehen, anders als in der Nachkriegszeit die Auswahl aus Dutzenden von in-und ausländischen Fernsehsendern, Streamingdiensten, Pay-TV-Angeboten, Spartenkanälen und Regional- oder Lokalsendern. Ob da Anstalten noch zeitgemäß sind, von denen sich vor allem die jüngere Generation längst abgewandt hat, die sich durch Gebühren finanzieren, die selbst die bezahlen müssen, die die Angebote überhaupt nicht nutzen, ist schon fragwürdig!

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen

Rita Süßmuth, von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages, wird die Aussage zugeschrieben: „In einer Demokratie brauchen Entscheidungen Zeit. Nur die Diktatur ist schnell.“ (Kölner Express, 13.7.1997) Einmal mehr zeigt sich diese Aussage von „Lovely Rita“(The Beatles) als weise und vorausschauend. Während in unserer Demokratie bereits seit Wochen wieder ein konfuser Meinungsstreit über kommenden Corona-Wellen, den passenden Maßnahmenkatalog und die vierte, fünfte und sechste Impfung tobt, hat der Weiseste aller Weisen, der Feldherr aller Feldherren, der liebevolle Vater seines darbenden Volkes, der hochgeschätzte und geliebte Führer Nordkoreas einfach mal eine richtig tolle Moppelkotze abgesondert und verfügt, dass in seinem schönsten Land der Welt Corona „ausgerottet“ ist. Zack – eine Unterschrift unter ein Dekret gesetzt und der Drops ist gelutscht, die Messe gelesen, der Apfel geschält oder, wie unsere niederländischen Nachbarn sagen, de zaak is beklonken! Wäre der nordkoreanische Wunderheiler ein Lauterbach und Lauterbach der nordkoreanische heldischste aller Helden und Verteidiger des Vaterlandes, dann wäre aber keine Rede davon, dass in Nordkorea, einem Land, in dem nach offiziellen Angaben seit Ende April 4,8 Millionen „Fieberfälle“ aufgetreten sind, einfach per Unterschrift das Virus als „besiegt“ gelten würde. Ganz im Gegenteil: da gäbe es einen Lockdown, der 4,8 Millionen Tage dauern würde, also grob gerechnet: 13100 Jahre. Und das wollen wir doch nicht, oder?
Glückliches Nordkorea mit deinem weisen Führer, dem größten Arzt der Menschheitsgeschichte und allseits geliebtem Wunderheiler!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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